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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Kunstausstellungen und Künstlervereine in Berlin

die Thon- oder Wachsmodelle dafür fertigt u. tgi. in. Daß die frische Ur¬
sprünglichkeit der Erfindung dabei zum ungeschmälerten Ausdruck komme, ist
eine Hauptsache, und die andre, daß das neue Kunstprodukt in keinem Zuge
an keine der historischen Stilarten erinnere, die als endgiltig abgeschlossen und
erschöpft gelten, "Neue Formen!" ist das Losungswort, neue Formen um
jeden Preis, selbst um den des guten Geschmacks.

Diese Bewegung ist nicht aus deutschem Boden entsprossen. Sie ist, wie
so viele andre Neuerungen auf dem Gebiete der modernen Kunst, fast zu
gleicher Zeit von Frankreich und England ausgegangen; und als drittes im
Bunde ist Belgien hinzugetreten, um Deutschland mit den Erzeugnissen dieser
neuen Kunst zu überfluten. Sie sind leider bei uns auf allzu fruchtbaren
Boden gefallen und haben ein Heer von Nachahmern auf die Beine gebracht,
die ihre Vorbilder noch durch Übertreibungen in den Schatten zu stellen suchen.
Alle diese wunderlichen Sachen bekommt man jetzt, frisch von Paris, London
und Brüssel bezogen, in Berlin zuerst bei Keller und Reiner zu sehen, und
im Verein damit Ölgemälde, Aquarelle, Bildwerke, graphische Blätter von
Künstlern aller Nationen, die sich den Vernichtungskampf gegen die Kunststile
der Vergangenheit zur Aufgabe gemacht und zunächst an die Stelle des Stils
die Stillosigleit gesetzt haben. Daß unter diesen Kunstwerken auch die Plakate
nicht fehlen, mit denen sich die neueste Kunst in liebevollem, pädagogischen
Eifer zum Volke Herabgclassen hat, ist selbstverständlich.

Noch eine andre Errungenschaft des modernen Kunsttreibens ist vom Aus¬
lande her in das deutsche Kunstleben, nicht zu seinem Heile, eingedrungen.
Man hat den Deutschen von jeher ihre Neigung, sich von der Allgemeinheit
loszulösen und in großen und kleinen Vereinigungen Sonderbestrebungen zu
Verfolger, zum Vorwurf gemacht. Man hat im In- und Auslande genug
über die deutsche "Vereinsmeierei" gespottet und schließlich in der Vereins¬
meierei eine spezifisch deutsche Volkskrankheit zu erkennen geglaubt. Diese
Meinung mag jahrzehntelang berechtigt gewesen sein; aber sie ist es längst
nicht mehr. Gewisse Abarten des Vereinswesens sind sogar in England ungleich
weiter verbreitet als bei uns. Man denke nur an die zahllosen Sportver¬
einigungen in England, die Nuder-, Segel-, Regatta-, Feast-, Fußball¬
klubs u. tgi. in., und Frankreich und Belgien haben den zweifelhaften Vorzug
gehabt, das Vereins-, Sekten- und Cliquenwesen auch unter den bildenden
Künstlern heimisch zu machen. Daß sich die in großen Städten lebenden
Künstler zu örtlichen Vereinigungen zusammenthun, daß dann diese einzelnen
Vereinigungen in einem Lande eine Genossenschaft bilden, um gemeinsame
Interessen im In- und Auslande zu wahren, ist begreiflich und notwendig.
Wenn große Ziele durch Zusammenwirken vieler Kräfte erreicht werden sollen,
ist es ebenso notwendig, daß persönliche Interessen hinter diese Ziele zurück¬
treten müssen. Wer aber glaubt, daß ein solches gewissermaßen ideales Ver¬
hältnis auf die Deiner aufrecht erhalten werden kann, der versteht sich schlecht


Kunstausstellungen und Künstlervereine in Berlin

die Thon- oder Wachsmodelle dafür fertigt u. tgi. in. Daß die frische Ur¬
sprünglichkeit der Erfindung dabei zum ungeschmälerten Ausdruck komme, ist
eine Hauptsache, und die andre, daß das neue Kunstprodukt in keinem Zuge
an keine der historischen Stilarten erinnere, die als endgiltig abgeschlossen und
erschöpft gelten, „Neue Formen!" ist das Losungswort, neue Formen um
jeden Preis, selbst um den des guten Geschmacks.

Diese Bewegung ist nicht aus deutschem Boden entsprossen. Sie ist, wie
so viele andre Neuerungen auf dem Gebiete der modernen Kunst, fast zu
gleicher Zeit von Frankreich und England ausgegangen; und als drittes im
Bunde ist Belgien hinzugetreten, um Deutschland mit den Erzeugnissen dieser
neuen Kunst zu überfluten. Sie sind leider bei uns auf allzu fruchtbaren
Boden gefallen und haben ein Heer von Nachahmern auf die Beine gebracht,
die ihre Vorbilder noch durch Übertreibungen in den Schatten zu stellen suchen.
Alle diese wunderlichen Sachen bekommt man jetzt, frisch von Paris, London
und Brüssel bezogen, in Berlin zuerst bei Keller und Reiner zu sehen, und
im Verein damit Ölgemälde, Aquarelle, Bildwerke, graphische Blätter von
Künstlern aller Nationen, die sich den Vernichtungskampf gegen die Kunststile
der Vergangenheit zur Aufgabe gemacht und zunächst an die Stelle des Stils
die Stillosigleit gesetzt haben. Daß unter diesen Kunstwerken auch die Plakate
nicht fehlen, mit denen sich die neueste Kunst in liebevollem, pädagogischen
Eifer zum Volke Herabgclassen hat, ist selbstverständlich.

Noch eine andre Errungenschaft des modernen Kunsttreibens ist vom Aus¬
lande her in das deutsche Kunstleben, nicht zu seinem Heile, eingedrungen.
Man hat den Deutschen von jeher ihre Neigung, sich von der Allgemeinheit
loszulösen und in großen und kleinen Vereinigungen Sonderbestrebungen zu
Verfolger, zum Vorwurf gemacht. Man hat im In- und Auslande genug
über die deutsche „Vereinsmeierei" gespottet und schließlich in der Vereins¬
meierei eine spezifisch deutsche Volkskrankheit zu erkennen geglaubt. Diese
Meinung mag jahrzehntelang berechtigt gewesen sein; aber sie ist es längst
nicht mehr. Gewisse Abarten des Vereinswesens sind sogar in England ungleich
weiter verbreitet als bei uns. Man denke nur an die zahllosen Sportver¬
einigungen in England, die Nuder-, Segel-, Regatta-, Feast-, Fußball¬
klubs u. tgi. in., und Frankreich und Belgien haben den zweifelhaften Vorzug
gehabt, das Vereins-, Sekten- und Cliquenwesen auch unter den bildenden
Künstlern heimisch zu machen. Daß sich die in großen Städten lebenden
Künstler zu örtlichen Vereinigungen zusammenthun, daß dann diese einzelnen
Vereinigungen in einem Lande eine Genossenschaft bilden, um gemeinsame
Interessen im In- und Auslande zu wahren, ist begreiflich und notwendig.
Wenn große Ziele durch Zusammenwirken vieler Kräfte erreicht werden sollen,
ist es ebenso notwendig, daß persönliche Interessen hinter diese Ziele zurück¬
treten müssen. Wer aber glaubt, daß ein solches gewissermaßen ideales Ver¬
hältnis auf die Deiner aufrecht erhalten werden kann, der versteht sich schlecht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/494>, abgerufen am 09.01.2025.