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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Aunstansstelluiigon und Künstlervereine in Berlin

wobei sie sich aber auf einzelne Kunstzweige beschränkten: auf Aquarelle,
Gouachemalereien, Zeichnungen und die Erzeugnisse der graphischen Künste.
Die "Gesellschaft deutscher Aquarellmaler," die vor etwa fünf Jahren in die
Öffentlichkeit trat und die Hoffnung erweckte, es würde in ihr ein Seitenstück
zu der berühmten Londoner Looist/ c>k xg,we.6i'8 in v^ehr-oolour erwachsen,
veranstaltete bei Auster und Ruthardt ihre ersten Ausstellungen, und es schien
anfangs, als käme auch dieser neue Kunstsalon einem Bedürfnis entgegen.
Aber das Publikum fand in der Pflege von Spezialitäten keine volle Be¬
friedigung, die Käufer blieben aus, und damit zogen sich auch die Künstler
zurück. Die Unternehmer verloren schließlich die Lust, und nur noch selten
öffnen sich ihre Räume für Sonderausstellungen. So sah man dort in den
letzten Monaten eine vollständige Sammlung der Lithographien und Algra-
phien, d. h. der Abdrücke von Zeichnungen ans Aluminiumplatten, deren Aus¬
führung den seltsamen Frankfurter Maler Hans Thoma, der bald den Spuren
der alten deutschen Meister folgt, bald auf den Pfaden Böcklins wandelt,
während der letzten Jahre fast ausschließlich beschäftigt hat, ferner eine Reihe
von Aquarellen holländischer Maler, die den erfreulichen Beweis lieferten,
daß noch nicht alle holländischen Künstler dem von Frankreich eingeführten
Impressionismus und Naturalismus mit Haut und Haaren verfallen sind.

Im Herbst vorigen Jahres sind noch zwei neue Kunstausstellungslokale
eingerichtet worden, von denen eines zugleich der modernsten künstlerischen
Produktion eine neue Heim- und Marktstätte eröffnen will. Man muß schon
zu einem Superlativ greifen, um die Richtung der Kunst unsrer Zeit gebührend
zu kennzeichnen, die der neue Kunstsalon von Keller und Reiner an der
Potsdamerstraße vorzugsweise vertritt. Es ist nicht mehr die Malerei und
die Plastik allein, die nach neuen Idealen, neuem Inhalt und nach neuen
Ausdrucksmittelu dafür sucht, sondern auch die angewandte Kunst, die Kunst,
die ins Leben dringen und dieses mit ihren Blüten schmücken will. Es ist
ungefähr dasselbe, was man früher Kunstgewerbe oder Kunsthandwerk nannte.
Während aber diese Thätigkeit früher in ebenso viele Zweige zerfiel, als es
Rohstoffe gab, während man früher von Kunstschreinern, Kunstschlossern, Kunst-
tvpfern usw. sprach, die sich selbst die Entwürfe zu ihren Arbeiten zeichneten
oder von Architekten zeichnen ließen, tritt die neue "dekorative Kunst," wie
man jetzt statt Kunsthandwerk sagt, als etwas Ganzes und zugleich Universelles
auf. Der Maler, der Zeichner ist jetzt der führende Geist, und der Kunst¬
handwerker soll nach der Meinung dieser Neuerer wieder zum Handwerker
hinabgedrückt werden, der nur die Absichten, die Ideen jener in Gestalt zu
bringen hat, ohne sich dabei etwas eignes zu denken. Es kommt auch nicht selten
vor, daß der Erfinder selbst die Ausführung in die Hand nimmt, die Kunstglüser
selbst bläst, die Thongefäße selbst auf der Töpferscheibe dreht, sie bemalt und dann
im Ofen brennt, kleine Metallgegenstände selbst gießt und ziselirt oder doch


Grenzboten I 1898 W
Aunstansstelluiigon und Künstlervereine in Berlin

wobei sie sich aber auf einzelne Kunstzweige beschränkten: auf Aquarelle,
Gouachemalereien, Zeichnungen und die Erzeugnisse der graphischen Künste.
Die „Gesellschaft deutscher Aquarellmaler," die vor etwa fünf Jahren in die
Öffentlichkeit trat und die Hoffnung erweckte, es würde in ihr ein Seitenstück
zu der berühmten Londoner Looist/ c>k xg,we.6i'8 in v^ehr-oolour erwachsen,
veranstaltete bei Auster und Ruthardt ihre ersten Ausstellungen, und es schien
anfangs, als käme auch dieser neue Kunstsalon einem Bedürfnis entgegen.
Aber das Publikum fand in der Pflege von Spezialitäten keine volle Be¬
friedigung, die Käufer blieben aus, und damit zogen sich auch die Künstler
zurück. Die Unternehmer verloren schließlich die Lust, und nur noch selten
öffnen sich ihre Räume für Sonderausstellungen. So sah man dort in den
letzten Monaten eine vollständige Sammlung der Lithographien und Algra-
phien, d. h. der Abdrücke von Zeichnungen ans Aluminiumplatten, deren Aus¬
führung den seltsamen Frankfurter Maler Hans Thoma, der bald den Spuren
der alten deutschen Meister folgt, bald auf den Pfaden Böcklins wandelt,
während der letzten Jahre fast ausschließlich beschäftigt hat, ferner eine Reihe
von Aquarellen holländischer Maler, die den erfreulichen Beweis lieferten,
daß noch nicht alle holländischen Künstler dem von Frankreich eingeführten
Impressionismus und Naturalismus mit Haut und Haaren verfallen sind.

Im Herbst vorigen Jahres sind noch zwei neue Kunstausstellungslokale
eingerichtet worden, von denen eines zugleich der modernsten künstlerischen
Produktion eine neue Heim- und Marktstätte eröffnen will. Man muß schon
zu einem Superlativ greifen, um die Richtung der Kunst unsrer Zeit gebührend
zu kennzeichnen, die der neue Kunstsalon von Keller und Reiner an der
Potsdamerstraße vorzugsweise vertritt. Es ist nicht mehr die Malerei und
die Plastik allein, die nach neuen Idealen, neuem Inhalt und nach neuen
Ausdrucksmittelu dafür sucht, sondern auch die angewandte Kunst, die Kunst,
die ins Leben dringen und dieses mit ihren Blüten schmücken will. Es ist
ungefähr dasselbe, was man früher Kunstgewerbe oder Kunsthandwerk nannte.
Während aber diese Thätigkeit früher in ebenso viele Zweige zerfiel, als es
Rohstoffe gab, während man früher von Kunstschreinern, Kunstschlossern, Kunst-
tvpfern usw. sprach, die sich selbst die Entwürfe zu ihren Arbeiten zeichneten
oder von Architekten zeichnen ließen, tritt die neue „dekorative Kunst," wie
man jetzt statt Kunsthandwerk sagt, als etwas Ganzes und zugleich Universelles
auf. Der Maler, der Zeichner ist jetzt der führende Geist, und der Kunst¬
handwerker soll nach der Meinung dieser Neuerer wieder zum Handwerker
hinabgedrückt werden, der nur die Absichten, die Ideen jener in Gestalt zu
bringen hat, ohne sich dabei etwas eignes zu denken. Es kommt auch nicht selten
vor, daß der Erfinder selbst die Ausführung in die Hand nimmt, die Kunstglüser
selbst bläst, die Thongefäße selbst auf der Töpferscheibe dreht, sie bemalt und dann
im Ofen brennt, kleine Metallgegenstände selbst gießt und ziselirt oder doch


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[0493] Aunstansstelluiigon und Künstlervereine in Berlin wobei sie sich aber auf einzelne Kunstzweige beschränkten: auf Aquarelle, Gouachemalereien, Zeichnungen und die Erzeugnisse der graphischen Künste. Die „Gesellschaft deutscher Aquarellmaler," die vor etwa fünf Jahren in die Öffentlichkeit trat und die Hoffnung erweckte, es würde in ihr ein Seitenstück zu der berühmten Londoner Looist/ c>k xg,we.6i'8 in v^ehr-oolour erwachsen, veranstaltete bei Auster und Ruthardt ihre ersten Ausstellungen, und es schien anfangs, als käme auch dieser neue Kunstsalon einem Bedürfnis entgegen. Aber das Publikum fand in der Pflege von Spezialitäten keine volle Be¬ friedigung, die Käufer blieben aus, und damit zogen sich auch die Künstler zurück. Die Unternehmer verloren schließlich die Lust, und nur noch selten öffnen sich ihre Räume für Sonderausstellungen. So sah man dort in den letzten Monaten eine vollständige Sammlung der Lithographien und Algra- phien, d. h. der Abdrücke von Zeichnungen ans Aluminiumplatten, deren Aus¬ führung den seltsamen Frankfurter Maler Hans Thoma, der bald den Spuren der alten deutschen Meister folgt, bald auf den Pfaden Böcklins wandelt, während der letzten Jahre fast ausschließlich beschäftigt hat, ferner eine Reihe von Aquarellen holländischer Maler, die den erfreulichen Beweis lieferten, daß noch nicht alle holländischen Künstler dem von Frankreich eingeführten Impressionismus und Naturalismus mit Haut und Haaren verfallen sind. Im Herbst vorigen Jahres sind noch zwei neue Kunstausstellungslokale eingerichtet worden, von denen eines zugleich der modernsten künstlerischen Produktion eine neue Heim- und Marktstätte eröffnen will. Man muß schon zu einem Superlativ greifen, um die Richtung der Kunst unsrer Zeit gebührend zu kennzeichnen, die der neue Kunstsalon von Keller und Reiner an der Potsdamerstraße vorzugsweise vertritt. Es ist nicht mehr die Malerei und die Plastik allein, die nach neuen Idealen, neuem Inhalt und nach neuen Ausdrucksmittelu dafür sucht, sondern auch die angewandte Kunst, die Kunst, die ins Leben dringen und dieses mit ihren Blüten schmücken will. Es ist ungefähr dasselbe, was man früher Kunstgewerbe oder Kunsthandwerk nannte. Während aber diese Thätigkeit früher in ebenso viele Zweige zerfiel, als es Rohstoffe gab, während man früher von Kunstschreinern, Kunstschlossern, Kunst- tvpfern usw. sprach, die sich selbst die Entwürfe zu ihren Arbeiten zeichneten oder von Architekten zeichnen ließen, tritt die neue „dekorative Kunst," wie man jetzt statt Kunsthandwerk sagt, als etwas Ganzes und zugleich Universelles auf. Der Maler, der Zeichner ist jetzt der führende Geist, und der Kunst¬ handwerker soll nach der Meinung dieser Neuerer wieder zum Handwerker hinabgedrückt werden, der nur die Absichten, die Ideen jener in Gestalt zu bringen hat, ohne sich dabei etwas eignes zu denken. Es kommt auch nicht selten vor, daß der Erfinder selbst die Ausführung in die Hand nimmt, die Kunstglüser selbst bläst, die Thongefäße selbst auf der Töpferscheibe dreht, sie bemalt und dann im Ofen brennt, kleine Metallgegenstände selbst gießt und ziselirt oder doch Grenzboten I 1898 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/493>, abgerufen am 09.01.2025.