Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene vielleicht vom roten Beercnschimmer über ihr. Oder ist es die Rosenpracht der Reif zur Ernte! Der Herr der Ernte naht. Halt ein, Madlene! Schon Sie hat ihn. erblickt; aber stille stehen kann sie nicht. Fliehen? Das kann Guten Morgen, Madlene! Guten Morgen! Sie gehen neben einander dahin unter dem roten Beerenschimmer -- still. So scigs ihr doch, Frieder, dn hättest nichts von ihr gewußt -- gar nichts! Ist dein Bein wieder geheilt? Ja, Madlene! Wenn ich daran denk! Ach, dn lieber Gott! Wieder die Nun sags ihm, Madlene! An jenem Abend, da dn den Frieder mit ge- Er weiß es! Ach, er muß es wissen. Soll ichs ihm noch sagen, was er Madlene, ich hab manchmal darau gedacht, was du an mir gethan hast. S war Christenpflicht. Jedwedes andre hales auch gethan. Die Rede verdroß deu Frieder ein wenig. Es war dem Frieder, als lag er In dem Frieder begann es zu finden und zu woge". Madlene vielleicht vom roten Beercnschimmer über ihr. Oder ist es die Rosenpracht der Reif zur Ernte! Der Herr der Ernte naht. Halt ein, Madlene! Schon Sie hat ihn. erblickt; aber stille stehen kann sie nicht. Fliehen? Das kann Guten Morgen, Madlene! Guten Morgen! Sie gehen neben einander dahin unter dem roten Beerenschimmer — still. So scigs ihr doch, Frieder, dn hättest nichts von ihr gewußt — gar nichts! Ist dein Bein wieder geheilt? Ja, Madlene! Wenn ich daran denk! Ach, dn lieber Gott! Wieder die Nun sags ihm, Madlene! An jenem Abend, da dn den Frieder mit ge- Er weiß es! Ach, er muß es wissen. Soll ichs ihm noch sagen, was er Madlene, ich hab manchmal darau gedacht, was du an mir gethan hast. S war Christenpflicht. Jedwedes andre hales auch gethan. Die Rede verdroß deu Frieder ein wenig. Es war dem Frieder, als lag er In dem Frieder begann es zu finden und zu woge«. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227354"/> <fw type="header" place="top"> Madlene</fw><lb/> <p xml:id="ID_1605" prev="#ID_1604"> vielleicht vom roten Beercnschimmer über ihr. Oder ist es die Rosenpracht der<lb/> Liebe?</p><lb/> <p xml:id="ID_1606"> Reif zur Ernte! Der Herr der Ernte naht. Halt ein, Madlene! Schon<lb/> um dich! Nur noch zehn Schritte hat er zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1607"> Sie hat ihn. erblickt; aber stille stehen kann sie nicht. Fliehen? Das kann<lb/> sie nicht, will sie nicht. Er kommt, er kommt! Er ist da! O diese Last auf<lb/> dem Rucken! Hinweg mit ihr! Empor, Haupt! Frei, wogende Brust! Umfaßt<lb/> ihn, ihr starken Arme, und laßt ihn nimmer wieder! So jubelt es in ihr, »ut<lb/> der Jubel null sie zertrümmern. Aber Madlene schreitet still dahin, ohne umzu¬<lb/> schauen, ohne sich aufzurichten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1608"> Guten Morgen, Madlene!</p><lb/> <p xml:id="ID_1609"> Guten Morgen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1610"> Sie gehen neben einander dahin unter dem roten Beerenschimmer — still.</p><lb/> <p xml:id="ID_1611"> So scigs ihr doch, Frieder, dn hättest nichts von ihr gewußt — gar nichts!<lb/> lind du müßtest heute dein Schweinsgeld holen ! Nichts sagt er, der Frieder. Er<lb/> muß nicht recht bei Trost sein; denu er lehnt in Gedanken an einer Straßenecke<lb/> in Wien und läßt sich ans eiuer plüschbeschlagnen Kutsche heraus vom Türkendresen<lb/> eine lange Nase machen. Und dabei schreitet er der Madlene zur Seite, als ge¬<lb/> schähe es von Rechts wegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1612"> Ist dein Bein wieder geheilt?</p><lb/> <p xml:id="ID_1613"> Ja, Madlene! Wenn ich daran denk! Ach, dn lieber Gott! Wieder die<lb/> unbeschreibliche Melodie.</p><lb/> <p xml:id="ID_1614"> Nun sags ihm, Madlene! 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Er stellte sich vor, der Türkendres<lb/> käm, oder die Matthcsensbärbel. oder die Triltschenchristel: jedes von ihnen half<lb/> ihm. Er stellte sich vor, wie er dem oder den, gedankt, und wie jedes vou thuen<lb/> die That mit Selbstzufriedenheit erzählt und auch ausgeschmückt haben würde. Der<lb/> Madlene hatte er bis heute noch nicht gedankt, und sie hatte nie von der Ge¬<lb/> schichte erzählt — das wußte er. Es war eben ein Unterschied zwischen der That<lb/> der Madlene und der Erfüllung der Christenpflicht. Es wäre eine andre That<lb/> gewesen, wenn sie von einer andern Person vollbracht, worden wäre. Das wurde<lb/> dem Frieder nun erst klar. Nicht die That hatte den tiefe» Eindruck auf ihn ge¬<lb/> macht, sondern das Wesen, an das die That geknüpft war. Daß diese That sich<lb/> durch dieses Wesen vollzogen hatte, hatte sie dem Frieder zum Wendepunkt seines<lb/> Lebeus erhoben. Er hatte das noch nie so gefühlt. Und plötzlich ging es in ihm<lb/> auf wie neues Leben. Vorhin der Gruß von ihr hatte auch anders geklungen<lb/> wie aus einem andern Munde. Wie wonnig mußte es sein, wenn all ihr Thun<lb/> dir gälte! Herr Gott im Himmel!</p><lb/> <p xml:id="ID_1619"> In dem Frieder begann es zu finden und zu woge«.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0452]
Madlene
vielleicht vom roten Beercnschimmer über ihr. Oder ist es die Rosenpracht der
Liebe?
Reif zur Ernte! Der Herr der Ernte naht. Halt ein, Madlene! Schon
um dich! Nur noch zehn Schritte hat er zu machen.
Sie hat ihn. erblickt; aber stille stehen kann sie nicht. Fliehen? Das kann
sie nicht, will sie nicht. Er kommt, er kommt! Er ist da! O diese Last auf
dem Rucken! Hinweg mit ihr! Empor, Haupt! Frei, wogende Brust! Umfaßt
ihn, ihr starken Arme, und laßt ihn nimmer wieder! So jubelt es in ihr, »ut
der Jubel null sie zertrümmern. Aber Madlene schreitet still dahin, ohne umzu¬
schauen, ohne sich aufzurichten.
Guten Morgen, Madlene!
Guten Morgen!
Sie gehen neben einander dahin unter dem roten Beerenschimmer — still.
So scigs ihr doch, Frieder, dn hättest nichts von ihr gewußt — gar nichts!
lind du müßtest heute dein Schweinsgeld holen ! Nichts sagt er, der Frieder. Er
muß nicht recht bei Trost sein; denu er lehnt in Gedanken an einer Straßenecke
in Wien und läßt sich ans eiuer plüschbeschlagnen Kutsche heraus vom Türkendresen
eine lange Nase machen. Und dabei schreitet er der Madlene zur Seite, als ge¬
schähe es von Rechts wegen.
Ist dein Bein wieder geheilt?
Ja, Madlene! Wenn ich daran denk! Ach, dn lieber Gott! Wieder die
unbeschreibliche Melodie.
Nun sags ihm, Madlene! An jenem Abend, da dn den Frieder mit ge-
brochnem Bein an der Brust getragen hattest, war es dir zum Bewußtsein ge¬
kommen, daß du ihm mit Leib und Seele angehörst und nimmermehr von ihm
lassen kannst. Und das hast dn ihm sagen wollen. Sags ihm doch, Madlene!
Er weiß es! Ach, er muß es wissen. Soll ichs ihm noch sagen, was er
wissen muß? Und sie schritt neben dem Frieder dahin, als neben dem aus ihrem,
Herzen heransgetrctnen Geheimnis.
Madlene, ich hab manchmal darau gedacht, was du an mir gethan hast.
S war Christenpflicht. Jedwedes andre hales auch gethan.
Die Rede verdroß deu Frieder ein wenig. Es war dem Frieder, als lag er
wieder im Schnee unter der Holzlast mit gebrochnem Bein. Er stellte sich vor,
der Grundel käm. Der Grundel half ihm auch. Er stellte sich vor, der Türkendres
käm, oder die Matthcsensbärbel. oder die Triltschenchristel: jedes von ihnen half
ihm. Er stellte sich vor, wie er dem oder den, gedankt, und wie jedes vou thuen
die That mit Selbstzufriedenheit erzählt und auch ausgeschmückt haben würde. Der
Madlene hatte er bis heute noch nicht gedankt, und sie hatte nie von der Ge¬
schichte erzählt — das wußte er. Es war eben ein Unterschied zwischen der That
der Madlene und der Erfüllung der Christenpflicht. Es wäre eine andre That
gewesen, wenn sie von einer andern Person vollbracht, worden wäre. Das wurde
dem Frieder nun erst klar. Nicht die That hatte den tiefe» Eindruck auf ihn ge¬
macht, sondern das Wesen, an das die That geknüpft war. Daß diese That sich
durch dieses Wesen vollzogen hatte, hatte sie dem Frieder zum Wendepunkt seines
Lebeus erhoben. Er hatte das noch nie so gefühlt. Und plötzlich ging es in ihm
auf wie neues Leben. Vorhin der Gruß von ihr hatte auch anders geklungen
wie aus einem andern Munde. Wie wonnig mußte es sein, wenn all ihr Thun
dir gälte! Herr Gott im Himmel!
In dem Frieder begann es zu finden und zu woge«.
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