Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene Vor dem kleinen Spiegel das Haar hübsch aus der Stirn -- behielt aber die Soll ich hinterdrein gehn wie ein stöckischer Esel? Soll ich durchs Feld Was hast du gethan, Frieder? Das sind die Äpfel der Jduu! Aber erschreck Im Norden, vom Meer umspült, wohnen auch Leute, und vor mehr als Frieder eilte auf einem Feldpfad den rotblitzenden Vvgelbecrbäumeu am Berg- Madlene Vor dem kleinen Spiegel das Haar hübsch aus der Stirn — behielt aber die Soll ich hinterdrein gehn wie ein stöckischer Esel? Soll ich durchs Feld Was hast du gethan, Frieder? Das sind die Äpfel der Jduu! Aber erschreck Im Norden, vom Meer umspült, wohnen auch Leute, und vor mehr als Frieder eilte auf einem Feldpfad den rotblitzenden Vvgelbecrbäumeu am Berg- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227353"/> <fw type="header" place="top"> Madlene</fw><lb/> <p xml:id="ID_1600" prev="#ID_1599"> Vor dem kleinen Spiegel das Haar hübsch aus der Stirn — behielt aber die<lb/> Mütze in der Hand. Er schob den Fensterschieber zurück und sah noch einmal<lb/> nach dem Wetter, aber so, als trug es die Madlene im Korb. Dann flog der<lb/> Schieber zu, die Mütze auf den Kopf und der Stock hinter dem Uhrkasten vor,<lb/> und der Frieder stand vor der Tischecke, als bete er ein Vaterunser.</p><lb/> <p xml:id="ID_1601"> Soll ich hinterdrein gehn wie ein stöckischer Esel? Soll ich durchs Feld<lb/> Hintenweg ihr voraus elln wie ein schämiger Munk? Ich könnt mein Geld auch<lb/> morgen sollt. Herr Gott im Himmel! Ich sags ihr, daß ich mein Geld heut<lb/> sollt müßt, und daß ich nichts, gar nichts von ihr gewußt hätt. Hernach mag<lb/> sie denkn, was sie will. — Ich geh, Mutter! rief er uoch in die Küche, und<lb/> denn flog er durch die Hintere Thür und den Garten. Und dabei raffte er etliche<lb/> prächtige, rotwangige Äpfel zu sich, die im fahlen, wirren Herbstgras lagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1602"> Was hast du gethan, Frieder? Das sind die Äpfel der Jduu! Aber erschreck<lb/> nur nicht! sie hat sie für dich fallen lassen. Horch, Frieder, was es für ein Be¬<lb/> wandtnis damit hat!</p><lb/> <p xml:id="ID_1603"> Im Norden, vom Meer umspült, wohnen auch Leute, und vor mehr als<lb/> tausend Jahren haben schon ihre Vorfahren da gewohnt. Nach dem Völkerstamm-<lb/> baum sind wir mit ihnen verwandt. In jener uralten Zeit kannten die Leute<lb/> das Kreuz uoch nicht und beteten zu Göttern und Göttinnen. Im Grund ge¬<lb/> nommen war das uicht so dumm, wie viele Leute heut glauben. Denn der ewige,<lb/> einige Gott wußte auch damals schon recht gut, daß die Menschheit ihn nun ein¬<lb/> mal nicht fassen und verstehen kann, und hat sich von den Deutschen und Nordischen<lb/> der alten Zeit die zersplitterte Verehrung gern gefallen lassen. Denn es war<lb/> doch eben nur eine Zersplitterung der als Eins unfaßbare» Allgewalt, die in den<lb/> Göttern und Göttinnen zum Vorschein kam. Und die Jdun ist eine von den<lb/> nordischen Göttinnen. Ihr ist die Hegung und Erhaltung alles Naturlebens an¬<lb/> vertraut. Das Wiesen-, Saat- und Waldgrün des Frühlings und Sommers ist<lb/> ihr Werk. Die keimbergenden Früchte stehen in ihrer Hut. Neues Naturleben<lb/> und Jugend spendet ihre Macht. Drum ging auch die Sage, daß die Himmlischen<lb/> ihre Jugend und unvergängliche Schönheit nnr dem Genuß der Äpfel zu verdanken<lb/> hätten, die in der Verwahrung der Jdun standen. Und als einmal die Jdun von<lb/> einem tückischen Riesen geraubt worden war, begannen die Götter alt und grau<lb/> zu werde«. Aber die Jduu wurde wieder zurückgewonnen, und dn war große<lb/> Freude im Himmelreich; denn nun waren auch die Äpfel wieder zum Genuß in<lb/> Bereitschaft, ° und Jugend und Schönheit begann sich wieder zu entfalten. Der<lb/> Raub der Jduu zielt auf den Winter, ihre beglückende Rückkehr auf den Frühling. —<lb/> Nun horch, Frieder! Die Herbststürme brechen herein: die Jdun wird schon vom<lb/> Riesen gefesselt. Und weil sie 's so gut mit dir meint, hat sie dir eine Hand<lb/> voll ihrer schönsten Äpfel aus der Luft herunter, durch die sie der sturmbeschwingte<lb/> Riese trägt, in den Garten geworfen, von denen dn freilich steif und fest glaubst, sie seien<lb/> an deinen Bäumen gewachsen. Wenn du aufgemerkt hast, Frieder, so weißt du<lb/> nun, was für einen Schatz du in der Tasche trägst: Lebensverjüngung, Keime zu<lb/> neuen Lebewesen! Bewahre sie ins gebührliche Gehege!</p><lb/> <p xml:id="ID_1604" next="#ID_1605"> Frieder eilte auf einem Feldpfad den rotblitzenden Vvgelbecrbäumeu am Berg-<lb/> "eg zu. Zwischen diesen Bäumen war sie mit dem Verunglückten ausgangs Februar<lb/> dahingeflogen, und er hatte gerufen: Madlene! Das sind die Zeugen, die damals<lb/> als arme, kahle Leute im Frost gen Himmel starrten. Heute neigen sie ihre Zweige<lb/> mit schimmernder Beerenlast. Wie ein Schwall von Segensgrnßen schwebt es über<lb/> der rüstig schreitenden Madlene. Und es glühen wieder ihre Wangen, heute</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0451]
Madlene
Vor dem kleinen Spiegel das Haar hübsch aus der Stirn — behielt aber die
Mütze in der Hand. Er schob den Fensterschieber zurück und sah noch einmal
nach dem Wetter, aber so, als trug es die Madlene im Korb. Dann flog der
Schieber zu, die Mütze auf den Kopf und der Stock hinter dem Uhrkasten vor,
und der Frieder stand vor der Tischecke, als bete er ein Vaterunser.
Soll ich hinterdrein gehn wie ein stöckischer Esel? Soll ich durchs Feld
Hintenweg ihr voraus elln wie ein schämiger Munk? Ich könnt mein Geld auch
morgen sollt. Herr Gott im Himmel! Ich sags ihr, daß ich mein Geld heut
sollt müßt, und daß ich nichts, gar nichts von ihr gewußt hätt. Hernach mag
sie denkn, was sie will. — Ich geh, Mutter! rief er uoch in die Küche, und
denn flog er durch die Hintere Thür und den Garten. Und dabei raffte er etliche
prächtige, rotwangige Äpfel zu sich, die im fahlen, wirren Herbstgras lagen.
Was hast du gethan, Frieder? Das sind die Äpfel der Jduu! Aber erschreck
nur nicht! sie hat sie für dich fallen lassen. Horch, Frieder, was es für ein Be¬
wandtnis damit hat!
Im Norden, vom Meer umspült, wohnen auch Leute, und vor mehr als
tausend Jahren haben schon ihre Vorfahren da gewohnt. Nach dem Völkerstamm-
baum sind wir mit ihnen verwandt. In jener uralten Zeit kannten die Leute
das Kreuz uoch nicht und beteten zu Göttern und Göttinnen. Im Grund ge¬
nommen war das uicht so dumm, wie viele Leute heut glauben. Denn der ewige,
einige Gott wußte auch damals schon recht gut, daß die Menschheit ihn nun ein¬
mal nicht fassen und verstehen kann, und hat sich von den Deutschen und Nordischen
der alten Zeit die zersplitterte Verehrung gern gefallen lassen. Denn es war
doch eben nur eine Zersplitterung der als Eins unfaßbare» Allgewalt, die in den
Göttern und Göttinnen zum Vorschein kam. Und die Jdun ist eine von den
nordischen Göttinnen. Ihr ist die Hegung und Erhaltung alles Naturlebens an¬
vertraut. Das Wiesen-, Saat- und Waldgrün des Frühlings und Sommers ist
ihr Werk. Die keimbergenden Früchte stehen in ihrer Hut. Neues Naturleben
und Jugend spendet ihre Macht. Drum ging auch die Sage, daß die Himmlischen
ihre Jugend und unvergängliche Schönheit nnr dem Genuß der Äpfel zu verdanken
hätten, die in der Verwahrung der Jdun standen. Und als einmal die Jdun von
einem tückischen Riesen geraubt worden war, begannen die Götter alt und grau
zu werde«. Aber die Jduu wurde wieder zurückgewonnen, und dn war große
Freude im Himmelreich; denn nun waren auch die Äpfel wieder zum Genuß in
Bereitschaft, ° und Jugend und Schönheit begann sich wieder zu entfalten. Der
Raub der Jduu zielt auf den Winter, ihre beglückende Rückkehr auf den Frühling. —
Nun horch, Frieder! Die Herbststürme brechen herein: die Jdun wird schon vom
Riesen gefesselt. Und weil sie 's so gut mit dir meint, hat sie dir eine Hand
voll ihrer schönsten Äpfel aus der Luft herunter, durch die sie der sturmbeschwingte
Riese trägt, in den Garten geworfen, von denen dn freilich steif und fest glaubst, sie seien
an deinen Bäumen gewachsen. Wenn du aufgemerkt hast, Frieder, so weißt du
nun, was für einen Schatz du in der Tasche trägst: Lebensverjüngung, Keime zu
neuen Lebewesen! Bewahre sie ins gebührliche Gehege!
Frieder eilte auf einem Feldpfad den rotblitzenden Vvgelbecrbäumeu am Berg-
"eg zu. Zwischen diesen Bäumen war sie mit dem Verunglückten ausgangs Februar
dahingeflogen, und er hatte gerufen: Madlene! Das sind die Zeugen, die damals
als arme, kahle Leute im Frost gen Himmel starrten. Heute neigen sie ihre Zweige
mit schimmernder Beerenlast. Wie ein Schwall von Segensgrnßen schwebt es über
der rüstig schreitenden Madlene. Und es glühen wieder ihre Wangen, heute
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