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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Madlene

daß sie schier in jubelnder Liebe ineinander gesunken wären. Aber der einen
Seele stand immer noch der Rödersfrieder im Weg, und der andern die
Müsers-Madlene. Und es waren doch eben die Seelen dieser beiden Menschen¬
kinder. Der Glaube an die Reinheit, der die Friederseele erfüllte, konnte sich
noch nicht über die Hohe des Stolzes hinwegsehen: und so ging der Frieder zwar
mit seinem guten Glauben vorläufig uoch in den Gründen spazieren; aber die
Einsiedelei ans der Hohe bestand noch. Und der Glaube an den "Gewinn," der
die Madlenenseele erleuchtete, war noch in jungfräulicher Schamhaftigkeit gefangen
also, daß die Madlene vorläufig die Geduld nicht verlor, sich beileibe aber nicht
dem Frieder ein den Hals warf.

Zeit bringt Rosen. Nun wird es Zeit!

Es war anfangs Oktober. Das ist nun freilich nicht die Zeit der Rose".
Im Mcidlenenherzen waren aber trotzdem die Knospen zum Aufbrechen. Denn
zwischen den stützenden Stengeln der Bescheidenheit, Selbstverleugnung, Geduld
und Hoffnung waren die Rvsentriebe der Liebe zeither kräftiger geworden, und
ihre Knospen harrten nur noch eines Sonnenblickes aus dem Friederauge. Und
in den Herzensgründen des Frieder begann es auch zu blühen, und Duft und
Lerchen- und Nachtigallengesang stieg daraus empor und drang hinauf zur Ein¬
siedelei, daß der Zurückgezogne begann, die verdunkelnden Schlinggewächse aus¬
zuroden.

Ich ho fürgelegt; kannst gezuckt, Madlene! rief der Kleine zur Stubenthür
hinein. Madlene setzte eine" Napf in die Ofenröhre und verfügte sich daun in
den Stall. Die Morgenfütternng fand statt. Der Kleine machte sich mit den
Kälbern zu schaffen, und während des Melkens rief ihm Madlene zu: Wir habn
Heuer zu Pfingsten keine Pfannkuchen gesotten; wie wärs denn zur Kirmes? Sie
ist in drei Wochen.

Freilich! Woh is deun mei sogen?

Es paßt heut grad. Du konnst nachher ein Viertel Weizen einfaß. Es ist
dem Müller lieber, wenn er ihn rechtzeitig bekommt. Denn er mag unsern hübschen
uit mit jedem zusammen mahln.

Woh is denn mei sogen?

Willst du 'n denn, oder soll ich ihn in die Musk Schafs?
'

Mir paßts nit rächt; wollt heut s lang Beet anter.

So will ich in die Musk. Bis zum Kochen bin ich wieder da.

Freilich!

Mit dem Viertel Weizen auf dem Rücken ging Madleue am Hans des
Rödersfrieder vorüber. Der stand ebeu am Fenster und wollte sich nach dem
Wetter umsehen, ob es halte. Denn er hatte heute sein Geld für ein ins Hütten-
Wirtshaus in der Schönau verkauftes Schwein zu holen. Als ihm Madlene ins
Ange fiel, fuhr er mit dem Kopf zurück. Die geht in die Hennsemnühl! Alle¬
weil wollt ich ja auch fort. Da läuft sie mir in meinem Weg rum. Herr Gott
im Himmel!

Frieder hatte sich schon ein Stück Brot eingesteckt; das war der letzte und
wichtigste Akt zur Rüstung über Lund. Sein Vater hatte es auch so gehalten
und dem Frieder einmal gesagt: Jung, das merk dir! Wer ein Stück hausbacken
Brot in der Taschen trägt, hat den Hanssegen bei sich, und dem passirt so leicht
nichts! Frieder war in großer Aufregung. Er fuhr nach dem Brot in der
Tasche -- ließ es aber stecken. Er griff nach dem juugeichneu Stock hinter dem
Nhrkcisten -- ließ ihn aber doch lehnen. Er nahm die Mütze ab und strich sich


Madlene

daß sie schier in jubelnder Liebe ineinander gesunken wären. Aber der einen
Seele stand immer noch der Rödersfrieder im Weg, und der andern die
Müsers-Madlene. Und es waren doch eben die Seelen dieser beiden Menschen¬
kinder. Der Glaube an die Reinheit, der die Friederseele erfüllte, konnte sich
noch nicht über die Hohe des Stolzes hinwegsehen: und so ging der Frieder zwar
mit seinem guten Glauben vorläufig uoch in den Gründen spazieren; aber die
Einsiedelei ans der Hohe bestand noch. Und der Glaube an den „Gewinn," der
die Madlenenseele erleuchtete, war noch in jungfräulicher Schamhaftigkeit gefangen
also, daß die Madlene vorläufig die Geduld nicht verlor, sich beileibe aber nicht
dem Frieder ein den Hals warf.

Zeit bringt Rosen. Nun wird es Zeit!

Es war anfangs Oktober. Das ist nun freilich nicht die Zeit der Rose».
Im Mcidlenenherzen waren aber trotzdem die Knospen zum Aufbrechen. Denn
zwischen den stützenden Stengeln der Bescheidenheit, Selbstverleugnung, Geduld
und Hoffnung waren die Rvsentriebe der Liebe zeither kräftiger geworden, und
ihre Knospen harrten nur noch eines Sonnenblickes aus dem Friederauge. Und
in den Herzensgründen des Frieder begann es auch zu blühen, und Duft und
Lerchen- und Nachtigallengesang stieg daraus empor und drang hinauf zur Ein¬
siedelei, daß der Zurückgezogne begann, die verdunkelnden Schlinggewächse aus¬
zuroden.

Ich ho fürgelegt; kannst gezuckt, Madlene! rief der Kleine zur Stubenthür
hinein. Madlene setzte eine» Napf in die Ofenröhre und verfügte sich daun in
den Stall. Die Morgenfütternng fand statt. Der Kleine machte sich mit den
Kälbern zu schaffen, und während des Melkens rief ihm Madlene zu: Wir habn
Heuer zu Pfingsten keine Pfannkuchen gesotten; wie wärs denn zur Kirmes? Sie
ist in drei Wochen.

Freilich! Woh is deun mei sogen?

Es paßt heut grad. Du konnst nachher ein Viertel Weizen einfaß. Es ist
dem Müller lieber, wenn er ihn rechtzeitig bekommt. Denn er mag unsern hübschen
uit mit jedem zusammen mahln.

Woh is denn mei sogen?

Willst du 'n denn, oder soll ich ihn in die Musk Schafs?
'

Mir paßts nit rächt; wollt heut s lang Beet anter.

So will ich in die Musk. Bis zum Kochen bin ich wieder da.

Freilich!

Mit dem Viertel Weizen auf dem Rücken ging Madleue am Hans des
Rödersfrieder vorüber. Der stand ebeu am Fenster und wollte sich nach dem
Wetter umsehen, ob es halte. Denn er hatte heute sein Geld für ein ins Hütten-
Wirtshaus in der Schönau verkauftes Schwein zu holen. Als ihm Madlene ins
Ange fiel, fuhr er mit dem Kopf zurück. Die geht in die Hennsemnühl! Alle¬
weil wollt ich ja auch fort. Da läuft sie mir in meinem Weg rum. Herr Gott
im Himmel!

Frieder hatte sich schon ein Stück Brot eingesteckt; das war der letzte und
wichtigste Akt zur Rüstung über Lund. Sein Vater hatte es auch so gehalten
und dem Frieder einmal gesagt: Jung, das merk dir! Wer ein Stück hausbacken
Brot in der Taschen trägt, hat den Hanssegen bei sich, und dem passirt so leicht
nichts! Frieder war in großer Aufregung. Er fuhr nach dem Brot in der
Tasche — ließ es aber stecken. Er griff nach dem juugeichneu Stock hinter dem
Nhrkcisten — ließ ihn aber doch lehnen. Er nahm die Mütze ab und strich sich


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[0450] Madlene daß sie schier in jubelnder Liebe ineinander gesunken wären. Aber der einen Seele stand immer noch der Rödersfrieder im Weg, und der andern die Müsers-Madlene. Und es waren doch eben die Seelen dieser beiden Menschen¬ kinder. Der Glaube an die Reinheit, der die Friederseele erfüllte, konnte sich noch nicht über die Hohe des Stolzes hinwegsehen: und so ging der Frieder zwar mit seinem guten Glauben vorläufig uoch in den Gründen spazieren; aber die Einsiedelei ans der Hohe bestand noch. Und der Glaube an den „Gewinn," der die Madlenenseele erleuchtete, war noch in jungfräulicher Schamhaftigkeit gefangen also, daß die Madlene vorläufig die Geduld nicht verlor, sich beileibe aber nicht dem Frieder ein den Hals warf. Zeit bringt Rosen. Nun wird es Zeit! Es war anfangs Oktober. Das ist nun freilich nicht die Zeit der Rose». Im Mcidlenenherzen waren aber trotzdem die Knospen zum Aufbrechen. Denn zwischen den stützenden Stengeln der Bescheidenheit, Selbstverleugnung, Geduld und Hoffnung waren die Rvsentriebe der Liebe zeither kräftiger geworden, und ihre Knospen harrten nur noch eines Sonnenblickes aus dem Friederauge. Und in den Herzensgründen des Frieder begann es auch zu blühen, und Duft und Lerchen- und Nachtigallengesang stieg daraus empor und drang hinauf zur Ein¬ siedelei, daß der Zurückgezogne begann, die verdunkelnden Schlinggewächse aus¬ zuroden. Ich ho fürgelegt; kannst gezuckt, Madlene! rief der Kleine zur Stubenthür hinein. Madlene setzte eine» Napf in die Ofenröhre und verfügte sich daun in den Stall. Die Morgenfütternng fand statt. Der Kleine machte sich mit den Kälbern zu schaffen, und während des Melkens rief ihm Madlene zu: Wir habn Heuer zu Pfingsten keine Pfannkuchen gesotten; wie wärs denn zur Kirmes? Sie ist in drei Wochen. Freilich! Woh is deun mei sogen? Es paßt heut grad. Du konnst nachher ein Viertel Weizen einfaß. Es ist dem Müller lieber, wenn er ihn rechtzeitig bekommt. Denn er mag unsern hübschen uit mit jedem zusammen mahln. Woh is denn mei sogen? Willst du 'n denn, oder soll ich ihn in die Musk Schafs? ' Mir paßts nit rächt; wollt heut s lang Beet anter. So will ich in die Musk. Bis zum Kochen bin ich wieder da. Freilich! Mit dem Viertel Weizen auf dem Rücken ging Madleue am Hans des Rödersfrieder vorüber. Der stand ebeu am Fenster und wollte sich nach dem Wetter umsehen, ob es halte. Denn er hatte heute sein Geld für ein ins Hütten- Wirtshaus in der Schönau verkauftes Schwein zu holen. Als ihm Madlene ins Ange fiel, fuhr er mit dem Kopf zurück. Die geht in die Hennsemnühl! Alle¬ weil wollt ich ja auch fort. Da läuft sie mir in meinem Weg rum. Herr Gott im Himmel! Frieder hatte sich schon ein Stück Brot eingesteckt; das war der letzte und wichtigste Akt zur Rüstung über Lund. Sein Vater hatte es auch so gehalten und dem Frieder einmal gesagt: Jung, das merk dir! Wer ein Stück hausbacken Brot in der Taschen trägt, hat den Hanssegen bei sich, und dem passirt so leicht nichts! Frieder war in großer Aufregung. Er fuhr nach dem Brot in der Tasche — ließ es aber stecken. Er griff nach dem juugeichneu Stock hinter dem Nhrkcisten — ließ ihn aber doch lehnen. Er nahm die Mütze ab und strich sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/450>, abgerufen am 07.01.2025.