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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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U)as wird aus "Lhina werden?

gegenzuarbeiten. Aber auch ein angeblich so fremdenfreundlicher Mann wie
L, Hung-tschang ist der Ansicht, die Eisenbahnen und andre Neuerungen müßten
uicht zu sehr in Abhängigkeit von den Ausländern geraten. Als er in Amerika
war, sagte er einmal: "General Grant, der beste ausländische Freund, den ich
jemals gehabt habe, meinte, als er mich in Tientsin besuchte, China müßte
vor allem darauf sehen, Herr im eignen Hause zu bleiben." Das klingt förm¬
lich rührend. Aber es ist nichts als eine Unmöglichkeit, auf die der Ameri¬
kaner in einer sentimentalen Anwandlung hingewiesen hat. Jedermann von
einigermaßen unbefangnen Urteil würde es China gewiß gönnen, im eignen
Lande alles selbst zu machen, wenn die Mandarinen nur das Zeug dazu hätten.
Doch das haben sie eben nicht. Da sitzt der Haken, den selbst ein so kluger
Mann wie Li Hung-tschang niemals gesehen hat. Vielleicht hat er ihn aber
nur nicht sehen wollen.

Aber selbst abgesehen vom guten oder bösen Willen der Chinesen ist es
sehr fraglich, ob sich die fremden Mächte jemals einigen könnten, das Reich
der Mitte sozusagen in gemeinschaftliche Verwaltung zu nehmen und die
Mandarinen beiseite zu schieben, wobei der Sohn des Himmels dem Namen
nach Herrscher bleiben könnte. Zwar bestand in den siebziger und achtziger
Jahren eine wunderschöne Einigkeit uuter den Gesandten in Peking, solange
es sich nur darum handelte, bei Verfolgungen von Missionaren und bei ähn¬
lichen Anlässen gemeinsame Vorstellungen beim Tsungli Yamen einzureichen,
die regelmüßig ohnmächtig waren und keine Erfolge hatten. Jetzt hat sich aber
eine andre Lage der Dinge in Peking gebildet. Die Zeiten sind ernster ge¬
worden in Ostasien, und die bequeme Harmonie, die sich in den fruchtlosen ge¬
meinsamen Stilübungen der Gesandtschaften in der schwierigen chinesischen Sprache
kundgab, ist längst verflogen. Jeder Gesandte denkt jetzt ausschließlich um die
Wahrung der Interessen seines eignen "Staates.

Deutschland ist nun gegenüber den andern drei hauptsächlich beteiligten
Mächten in dieser Anlegenheit bisher insofern in einer weniger vorteilhaften
Stellung gewesen, als es trotz seiner an zweiter Linie stehenden Handels-
interessen sür seine Kriegsschiffe noch keinen Stützpunkt in China oder an
dessen Grenze hatte. Jetzt haben wir Kiaotschau besetzt und werden es hoffent¬
lich nicht wieder herausgegeben. Die Bucht ist für die Zwecke unsrer Mar-ne
gut geeignet. Leider ist das Hinterland bis auf die dortigen Kohlenlager
lange nicht so viel wert, wie viele andre chinesische Provinzen.

Bei einer durchaus nicht unmöglichen baldigen friedlichen Verteilung des
chinesischen Erbes sollte., wir deshalb unsre Augen auch auf etwas fettere
Bissen richte.,. Werden wir uns zunnüchst über die mutmaßlichen Forderungen
von Rußland. England und Frankreich klar. Zum Glück siegt die Sache
ziemlich einfach, weil jede dieser Mächte ihre natürlich gegebne "Interessen¬
sphäre" hat. Rußland hat längst die breite Hand ans die chinesische Mandschuiei


U)as wird aus «Lhina werden?

gegenzuarbeiten. Aber auch ein angeblich so fremdenfreundlicher Mann wie
L, Hung-tschang ist der Ansicht, die Eisenbahnen und andre Neuerungen müßten
uicht zu sehr in Abhängigkeit von den Ausländern geraten. Als er in Amerika
war, sagte er einmal: „General Grant, der beste ausländische Freund, den ich
jemals gehabt habe, meinte, als er mich in Tientsin besuchte, China müßte
vor allem darauf sehen, Herr im eignen Hause zu bleiben." Das klingt förm¬
lich rührend. Aber es ist nichts als eine Unmöglichkeit, auf die der Ameri¬
kaner in einer sentimentalen Anwandlung hingewiesen hat. Jedermann von
einigermaßen unbefangnen Urteil würde es China gewiß gönnen, im eignen
Lande alles selbst zu machen, wenn die Mandarinen nur das Zeug dazu hätten.
Doch das haben sie eben nicht. Da sitzt der Haken, den selbst ein so kluger
Mann wie Li Hung-tschang niemals gesehen hat. Vielleicht hat er ihn aber
nur nicht sehen wollen.

Aber selbst abgesehen vom guten oder bösen Willen der Chinesen ist es
sehr fraglich, ob sich die fremden Mächte jemals einigen könnten, das Reich
der Mitte sozusagen in gemeinschaftliche Verwaltung zu nehmen und die
Mandarinen beiseite zu schieben, wobei der Sohn des Himmels dem Namen
nach Herrscher bleiben könnte. Zwar bestand in den siebziger und achtziger
Jahren eine wunderschöne Einigkeit uuter den Gesandten in Peking, solange
es sich nur darum handelte, bei Verfolgungen von Missionaren und bei ähn¬
lichen Anlässen gemeinsame Vorstellungen beim Tsungli Yamen einzureichen,
die regelmüßig ohnmächtig waren und keine Erfolge hatten. Jetzt hat sich aber
eine andre Lage der Dinge in Peking gebildet. Die Zeiten sind ernster ge¬
worden in Ostasien, und die bequeme Harmonie, die sich in den fruchtlosen ge¬
meinsamen Stilübungen der Gesandtschaften in der schwierigen chinesischen Sprache
kundgab, ist längst verflogen. Jeder Gesandte denkt jetzt ausschließlich um die
Wahrung der Interessen seines eignen «Staates.

Deutschland ist nun gegenüber den andern drei hauptsächlich beteiligten
Mächten in dieser Anlegenheit bisher insofern in einer weniger vorteilhaften
Stellung gewesen, als es trotz seiner an zweiter Linie stehenden Handels-
interessen sür seine Kriegsschiffe noch keinen Stützpunkt in China oder an
dessen Grenze hatte. Jetzt haben wir Kiaotschau besetzt und werden es hoffent¬
lich nicht wieder herausgegeben. Die Bucht ist für die Zwecke unsrer Mar-ne
gut geeignet. Leider ist das Hinterland bis auf die dortigen Kohlenlager
lange nicht so viel wert, wie viele andre chinesische Provinzen.

Bei einer durchaus nicht unmöglichen baldigen friedlichen Verteilung des
chinesischen Erbes sollte., wir deshalb unsre Augen auch auf etwas fettere
Bissen richte.,. Werden wir uns zunnüchst über die mutmaßlichen Forderungen
von Rußland. England und Frankreich klar. Zum Glück siegt die Sache
ziemlich einfach, weil jede dieser Mächte ihre natürlich gegebne „Interessen¬
sphäre" hat. Rußland hat längst die breite Hand ans die chinesische Mandschuiei


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[0045] U)as wird aus «Lhina werden? gegenzuarbeiten. Aber auch ein angeblich so fremdenfreundlicher Mann wie L, Hung-tschang ist der Ansicht, die Eisenbahnen und andre Neuerungen müßten uicht zu sehr in Abhängigkeit von den Ausländern geraten. Als er in Amerika war, sagte er einmal: „General Grant, der beste ausländische Freund, den ich jemals gehabt habe, meinte, als er mich in Tientsin besuchte, China müßte vor allem darauf sehen, Herr im eignen Hause zu bleiben." Das klingt förm¬ lich rührend. Aber es ist nichts als eine Unmöglichkeit, auf die der Ameri¬ kaner in einer sentimentalen Anwandlung hingewiesen hat. Jedermann von einigermaßen unbefangnen Urteil würde es China gewiß gönnen, im eignen Lande alles selbst zu machen, wenn die Mandarinen nur das Zeug dazu hätten. Doch das haben sie eben nicht. Da sitzt der Haken, den selbst ein so kluger Mann wie Li Hung-tschang niemals gesehen hat. Vielleicht hat er ihn aber nur nicht sehen wollen. Aber selbst abgesehen vom guten oder bösen Willen der Chinesen ist es sehr fraglich, ob sich die fremden Mächte jemals einigen könnten, das Reich der Mitte sozusagen in gemeinschaftliche Verwaltung zu nehmen und die Mandarinen beiseite zu schieben, wobei der Sohn des Himmels dem Namen nach Herrscher bleiben könnte. Zwar bestand in den siebziger und achtziger Jahren eine wunderschöne Einigkeit uuter den Gesandten in Peking, solange es sich nur darum handelte, bei Verfolgungen von Missionaren und bei ähn¬ lichen Anlässen gemeinsame Vorstellungen beim Tsungli Yamen einzureichen, die regelmüßig ohnmächtig waren und keine Erfolge hatten. Jetzt hat sich aber eine andre Lage der Dinge in Peking gebildet. Die Zeiten sind ernster ge¬ worden in Ostasien, und die bequeme Harmonie, die sich in den fruchtlosen ge¬ meinsamen Stilübungen der Gesandtschaften in der schwierigen chinesischen Sprache kundgab, ist längst verflogen. Jeder Gesandte denkt jetzt ausschließlich um die Wahrung der Interessen seines eignen «Staates. Deutschland ist nun gegenüber den andern drei hauptsächlich beteiligten Mächten in dieser Anlegenheit bisher insofern in einer weniger vorteilhaften Stellung gewesen, als es trotz seiner an zweiter Linie stehenden Handels- interessen sür seine Kriegsschiffe noch keinen Stützpunkt in China oder an dessen Grenze hatte. Jetzt haben wir Kiaotschau besetzt und werden es hoffent¬ lich nicht wieder herausgegeben. Die Bucht ist für die Zwecke unsrer Mar-ne gut geeignet. Leider ist das Hinterland bis auf die dortigen Kohlenlager lange nicht so viel wert, wie viele andre chinesische Provinzen. Bei einer durchaus nicht unmöglichen baldigen friedlichen Verteilung des chinesischen Erbes sollte., wir deshalb unsre Augen auch auf etwas fettere Bissen richte.,. Werden wir uns zunnüchst über die mutmaßlichen Forderungen von Rußland. England und Frankreich klar. Zum Glück siegt die Sache ziemlich einfach, weil jede dieser Mächte ihre natürlich gegebne „Interessen¬ sphäre" hat. Rußland hat längst die breite Hand ans die chinesische Mandschuiei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/45>, abgerufen am 07.01.2025.