Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Das ZVirtshausleben in Italien hielten wir in Capri, aber auch in Salerno, Amalfi usw. stets ein sauberes In Nord- und Mittelitalien und auch in Neapel wird es vom Wirt in Das ZVirtshausleben in Italien hielten wir in Capri, aber auch in Salerno, Amalfi usw. stets ein sauberes In Nord- und Mittelitalien und auch in Neapel wird es vom Wirt in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0447" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227349"/> <fw type="header" place="top"> Das ZVirtshausleben in Italien</fw><lb/> <p xml:id="ID_1576" prev="#ID_1575"> hielten wir in Capri, aber auch in Salerno, Amalfi usw. stets ein sauberes<lb/> Päckchen mit gutem Fleisch, Käse, Brot, Orangen und eine Flasche Wein als<lb/> Frühstück. Ja der Gedanke, daß der Wirt für den bedungnen Preis voll¬<lb/> kommen für das äußere Wohl seines Gastes zu sorgen habe, wird so weit<lb/> durchgeführt, daß einem mir bekannten namhaften Berliner Künstler, als er<lb/> zwischen voll^ioiuz und xrguM in der am Hafen liegenden suevursiils des<lb/> Pagano mit Freunden einen Nachmittagsschoppen getrunken hatte, die Annahme<lb/> einer Bezahlung hierfür rundweg abgelehnt wurde, mit dem Bemerken, daß er<lb/> ja in Pension sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1577" next="#ID_1578"> In Nord- und Mittelitalien und auch in Neapel wird es vom Wirt in<lb/> der Regel nicht vorausgesetzt, daß man, wenn man bei ihm nächtigt, Kaffee<lb/> oder sonst eine Mahlzeit bei ihm einnimmt. Die hierdurch ermöglichte Un-<lb/> gebundenheit ist bei der Größe der Hauptstädte und bei der Fülle ihrer Sehens¬<lb/> würdigkeiten sehr angenehm; man ist durch keinerlei Rücksichten gezwungen,<lb/> sich Unbequemlichkeiten in der Ausführung seines Tagesplans oder im Genuß<lb/> plötzlich auftauchender Vorteile aufzuerlegen. Man verkehrt vielmehr in den<lb/> zahlreichen Cafvs und Wirtshäusern, den sogenannten Trattorien, wo man nach<lb/> der Karte je nach Bedürfnis, Laune und Geldbeutel speisen und trinken kann.<lb/> Alles wird in ihnen einzeln berechnet; bietet sich hierdurch für die Kellner<lb/> eine herrliche Gelegenheit, den Landesunkundigen zu betrügen, und stimmte<lb/> das Konto in den ersten Wochen meines italienischen Aufenthalts nur aus¬<lb/> nahmsweise, so habe ich später niemals mehr zu Klagen Anlaß gehabt. Die<lb/> in Deutschland sehr beliebte Einrichtung, für einen festen Preis eine bestimmte<lb/> Anzahl von Gängen zu liefern, ist in Italien (wenn man von den Hotels<lb/> absieht) nicht recht verbreitet; unter anderen ist sie in Genua, Siena und<lb/> Florenz zu treffen, wo man für eine verhältnismäßig geringe Summe (andert¬<lb/> halb bis vier Lire) eine gute Reihenfolge der ausgezeichnetsten Speisen erhält.<lb/> Das einzelne Fleisch- oder Fischgericht wird mit sechzig bis hundertzwanzig<lb/> Centesimi berechnet (meist siebzig bis achtzig Centesimi), das Gemüse mit<lb/> dreißig bis sechzig, meist vierzig Centesimi, der Nachtisch mit dreißig bis<lb/> vierzig Centesimi. Das Brötchen kostet fünf Centesimi. An Trinkgeld giebt<lb/> man fünf bis zehn Prozent der verbrauchten Summe. Eine große und über¬<lb/> raschende Annehmlichkeit dieser Wirtschaften besteht darin, daß man sich so¬<lb/> gleich bei der Bestellung von der Güte der Fische oder des Fleisches über¬<lb/> zeugen kann; der Kellner bringt auf Wunsch bereitwillig die rohen, unbereiteteu<lb/> Stücke heran und nimmt ebenso Speisen, die in der Küche verdorben oder<lb/> mißraten find, auf Verlangen des Gastes ohne weiteres zurück. Die äußere<lb/> Einrichtung und Ausstattung ist natürlich recht verschieden; in den Trattorien<lb/> von Labö in Genua, Boncicmi in Florenz, Le Venete in Rom und andern<lb/> werden selbst die in Bezug aus Geschmack und Sauberkeit verwöhntesten deutschen<lb/> Damen sich wohl und behaglich fühlen. Daneben trifft man Trattorien, die<lb/> hinsichtlich der Reinlichkeit gleichfalls zu Klagen keinen Anlaß bieten, aber sich<lb/> einen noch ursprünglichem nationalen Charakter bewahrt haben. Wie gemütlich<lb/> sitzt es sich z. B. bei Tito Costa in Genua, wo in der Mitte der gewölbten<lb/> Halle hinter einem erhöhten Katheder der Direttore der Wirtschaft sitzt, und<lb/> rings um ihn die köstlichsten, noch unbereiteten Gemüse. Geflügel und Deli¬<lb/> katessen aller Art in südlicher Farbenpracht höchst geschmackvoll und eigenartig<lb/> angeordnet zur Auswahl und Bestellung bereit liegen. An solchen Orten ist<lb/> es eine Kunst, kein Feinschmecker zu werden. Andre Trattorien sind einfacher</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0447]
Das ZVirtshausleben in Italien
hielten wir in Capri, aber auch in Salerno, Amalfi usw. stets ein sauberes
Päckchen mit gutem Fleisch, Käse, Brot, Orangen und eine Flasche Wein als
Frühstück. Ja der Gedanke, daß der Wirt für den bedungnen Preis voll¬
kommen für das äußere Wohl seines Gastes zu sorgen habe, wird so weit
durchgeführt, daß einem mir bekannten namhaften Berliner Künstler, als er
zwischen voll^ioiuz und xrguM in der am Hafen liegenden suevursiils des
Pagano mit Freunden einen Nachmittagsschoppen getrunken hatte, die Annahme
einer Bezahlung hierfür rundweg abgelehnt wurde, mit dem Bemerken, daß er
ja in Pension sei.
In Nord- und Mittelitalien und auch in Neapel wird es vom Wirt in
der Regel nicht vorausgesetzt, daß man, wenn man bei ihm nächtigt, Kaffee
oder sonst eine Mahlzeit bei ihm einnimmt. Die hierdurch ermöglichte Un-
gebundenheit ist bei der Größe der Hauptstädte und bei der Fülle ihrer Sehens¬
würdigkeiten sehr angenehm; man ist durch keinerlei Rücksichten gezwungen,
sich Unbequemlichkeiten in der Ausführung seines Tagesplans oder im Genuß
plötzlich auftauchender Vorteile aufzuerlegen. Man verkehrt vielmehr in den
zahlreichen Cafvs und Wirtshäusern, den sogenannten Trattorien, wo man nach
der Karte je nach Bedürfnis, Laune und Geldbeutel speisen und trinken kann.
Alles wird in ihnen einzeln berechnet; bietet sich hierdurch für die Kellner
eine herrliche Gelegenheit, den Landesunkundigen zu betrügen, und stimmte
das Konto in den ersten Wochen meines italienischen Aufenthalts nur aus¬
nahmsweise, so habe ich später niemals mehr zu Klagen Anlaß gehabt. Die
in Deutschland sehr beliebte Einrichtung, für einen festen Preis eine bestimmte
Anzahl von Gängen zu liefern, ist in Italien (wenn man von den Hotels
absieht) nicht recht verbreitet; unter anderen ist sie in Genua, Siena und
Florenz zu treffen, wo man für eine verhältnismäßig geringe Summe (andert¬
halb bis vier Lire) eine gute Reihenfolge der ausgezeichnetsten Speisen erhält.
Das einzelne Fleisch- oder Fischgericht wird mit sechzig bis hundertzwanzig
Centesimi berechnet (meist siebzig bis achtzig Centesimi), das Gemüse mit
dreißig bis sechzig, meist vierzig Centesimi, der Nachtisch mit dreißig bis
vierzig Centesimi. Das Brötchen kostet fünf Centesimi. An Trinkgeld giebt
man fünf bis zehn Prozent der verbrauchten Summe. Eine große und über¬
raschende Annehmlichkeit dieser Wirtschaften besteht darin, daß man sich so¬
gleich bei der Bestellung von der Güte der Fische oder des Fleisches über¬
zeugen kann; der Kellner bringt auf Wunsch bereitwillig die rohen, unbereiteteu
Stücke heran und nimmt ebenso Speisen, die in der Küche verdorben oder
mißraten find, auf Verlangen des Gastes ohne weiteres zurück. Die äußere
Einrichtung und Ausstattung ist natürlich recht verschieden; in den Trattorien
von Labö in Genua, Boncicmi in Florenz, Le Venete in Rom und andern
werden selbst die in Bezug aus Geschmack und Sauberkeit verwöhntesten deutschen
Damen sich wohl und behaglich fühlen. Daneben trifft man Trattorien, die
hinsichtlich der Reinlichkeit gleichfalls zu Klagen keinen Anlaß bieten, aber sich
einen noch ursprünglichem nationalen Charakter bewahrt haben. Wie gemütlich
sitzt es sich z. B. bei Tito Costa in Genua, wo in der Mitte der gewölbten
Halle hinter einem erhöhten Katheder der Direttore der Wirtschaft sitzt, und
rings um ihn die köstlichsten, noch unbereiteten Gemüse. Geflügel und Deli¬
katessen aller Art in südlicher Farbenpracht höchst geschmackvoll und eigenartig
angeordnet zur Auswahl und Bestellung bereit liegen. An solchen Orten ist
es eine Kunst, kein Feinschmecker zu werden. Andre Trattorien sind einfacher
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