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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das Wirtshausleben in Italien

und poesieloser. Immer aber wird man zuvorkommender Aufnahme und
liebenswürdiger Behandlung gewiß sein. Eine Ausnahme machen lediglich
solche riswrkMi, die für den Fremdenfang bestimmt und demgemäß von un¬
kundigen Fremden überfüllt sind.

Früh geht man in das Caso; bei guter Jahreszeit nimmt man hier
seine Tasse zu sich (Preis 15 oder 20 Centestmi), dazu etwas Gebäck, vor der
Thür an einem Marmortischchen auf offnem Markte und beginnt so das süd¬
liche Bummelleben in höchst stimmungsvoller, behaglicher Weise gleich am
Morgen. Weilt man längere Zeit in einer Stadt, und hat man in ihr
irgendwelche Geschäfte, so wird man sich der Abkürzung halber von seineu
Wirtsleuten heißes Wasser und Semmeln geben lassen und sich selbst Kakao
bereiten. Auch des Abends kann man sehr wohl in seiner Stube speisen, die
dienstbeflissene Wirtin besorgt gern kalte Küche und einen schilfnmflochtenen
Fiasko Wem. Um etwas warmes zu sich zu nehmen, wird man aber mittags
und abends in eine Trattvrie gehen, wobei man je nach Tagesplan, Ver¬
hältnissen und Gesellschaft den Schwerpunkt mehr auf die Mittags- oder die
Abendmahlzeit legen wird. Auf diese Verschiedenheiten kann im folgenden
selbstverständlich keine Rücksicht genommen werden, es sei deshalb die italienische
Küche in deren einzelnen Teilen nach der üblichen Anordnung größerer Mahl¬
zeiten beschrieben.

Von den Suppen (öuxxg,, nimostra) habe ich keinen günstigen Eindruck
erhalten. Die Fleischbrühen sind fast- und kraftlos und werden vom Italiener
nur selten begehrt; eher läßt sich noch den Gemüsesuppen ein gewisser Ge¬
schmack abgewinnen, zumal wenn man nach Landessitte Parmesankäse darauf
streut. Für einzelne, nicht für jeden, bilden Fischsuppen (allg. mai'inÄjg,) eine
Delikatesse. Als Eingangsgericht wählt aber der Italiener vorzugsweise seinen
geliebte" Risotto (Reisbrei) oder Maccheroni. Die Mannigfaltigkeit, die er
bei der Herstellung dieser Gerichte entfaltet, ist erstaunlich. Man bereitet die
Nudeln in den verschiedensten Größen und Formen und bezeichnet sie darnach
spÄAUstti, vöriuivölli u. ä. Sie werden entweder einfach in Wasser gekocht
(dazu dann Parmesankäse) oder mit Tomaten (ick su^o, con poiriidoro) an¬
gerichtet. Eine große Feinheit sind dabei als Zuthat das Innere des Huhns
(Leber, Herz) und die Hahnenknmme. Reis oder Maecheroni, pastetenartig ge¬
backen, heißen Timballo ti Riso usw. Die niedlichen mit Parmesankäse ge¬
füllten Figurennudeln aus Bologna (torwllwi) sind neuerdings vom Handel in
Deutschland eingeführt und geben gleichfalls ein leckeres Vorgericht.

Eine bedeutende Rolle in der Ernährung spielt in dem meerumschlungnen
Lande selbstverständlich das Fischgericht, das der deutscheu Sitte entsprechend
an dieser Stelle erwähnt sei, obwohl es der Italiener gern uach dem Braten
ißt. Ein Besuch des Fischmarktes in Neapel gehört zu den größten Über¬
raschungen. Mit Bewunderung erkennt man hier die unendliche Vielheit der
Formen, die das südliche Wasser gebiert; und in den herrlichsten schönsten
Farben, sogar durchleuchtenden Schmelz gleich, schimmern und glitzern die
Tierchen. Ein besondres und lehrreiches Vergnügen bereitet es, auf antiken
Mosaikfußbödeu und Wandgemälden zu verfolgen, wie die Alten genau dieselben
Fischarten zu speisen pflegten, wie ihre heutigen Nachkommen. Wie denn
überhaupt den jetzigen Italienern und namentlich den Römern trotz allem
politischem Radikalismus ein erstaunlich konservativer Sinn innewohnt; Fuhr¬
wesen und Weiubetrieb stehen in der römischen Campagna noch genau auf


Das Wirtshausleben in Italien

und poesieloser. Immer aber wird man zuvorkommender Aufnahme und
liebenswürdiger Behandlung gewiß sein. Eine Ausnahme machen lediglich
solche riswrkMi, die für den Fremdenfang bestimmt und demgemäß von un¬
kundigen Fremden überfüllt sind.

Früh geht man in das Caso; bei guter Jahreszeit nimmt man hier
seine Tasse zu sich (Preis 15 oder 20 Centestmi), dazu etwas Gebäck, vor der
Thür an einem Marmortischchen auf offnem Markte und beginnt so das süd¬
liche Bummelleben in höchst stimmungsvoller, behaglicher Weise gleich am
Morgen. Weilt man längere Zeit in einer Stadt, und hat man in ihr
irgendwelche Geschäfte, so wird man sich der Abkürzung halber von seineu
Wirtsleuten heißes Wasser und Semmeln geben lassen und sich selbst Kakao
bereiten. Auch des Abends kann man sehr wohl in seiner Stube speisen, die
dienstbeflissene Wirtin besorgt gern kalte Küche und einen schilfnmflochtenen
Fiasko Wem. Um etwas warmes zu sich zu nehmen, wird man aber mittags
und abends in eine Trattvrie gehen, wobei man je nach Tagesplan, Ver¬
hältnissen und Gesellschaft den Schwerpunkt mehr auf die Mittags- oder die
Abendmahlzeit legen wird. Auf diese Verschiedenheiten kann im folgenden
selbstverständlich keine Rücksicht genommen werden, es sei deshalb die italienische
Küche in deren einzelnen Teilen nach der üblichen Anordnung größerer Mahl¬
zeiten beschrieben.

Von den Suppen (öuxxg,, nimostra) habe ich keinen günstigen Eindruck
erhalten. Die Fleischbrühen sind fast- und kraftlos und werden vom Italiener
nur selten begehrt; eher läßt sich noch den Gemüsesuppen ein gewisser Ge¬
schmack abgewinnen, zumal wenn man nach Landessitte Parmesankäse darauf
streut. Für einzelne, nicht für jeden, bilden Fischsuppen (allg. mai'inÄjg,) eine
Delikatesse. Als Eingangsgericht wählt aber der Italiener vorzugsweise seinen
geliebte» Risotto (Reisbrei) oder Maccheroni. Die Mannigfaltigkeit, die er
bei der Herstellung dieser Gerichte entfaltet, ist erstaunlich. Man bereitet die
Nudeln in den verschiedensten Größen und Formen und bezeichnet sie darnach
spÄAUstti, vöriuivölli u. ä. Sie werden entweder einfach in Wasser gekocht
(dazu dann Parmesankäse) oder mit Tomaten (ick su^o, con poiriidoro) an¬
gerichtet. Eine große Feinheit sind dabei als Zuthat das Innere des Huhns
(Leber, Herz) und die Hahnenknmme. Reis oder Maecheroni, pastetenartig ge¬
backen, heißen Timballo ti Riso usw. Die niedlichen mit Parmesankäse ge¬
füllten Figurennudeln aus Bologna (torwllwi) sind neuerdings vom Handel in
Deutschland eingeführt und geben gleichfalls ein leckeres Vorgericht.

Eine bedeutende Rolle in der Ernährung spielt in dem meerumschlungnen
Lande selbstverständlich das Fischgericht, das der deutscheu Sitte entsprechend
an dieser Stelle erwähnt sei, obwohl es der Italiener gern uach dem Braten
ißt. Ein Besuch des Fischmarktes in Neapel gehört zu den größten Über¬
raschungen. Mit Bewunderung erkennt man hier die unendliche Vielheit der
Formen, die das südliche Wasser gebiert; und in den herrlichsten schönsten
Farben, sogar durchleuchtenden Schmelz gleich, schimmern und glitzern die
Tierchen. Ein besondres und lehrreiches Vergnügen bereitet es, auf antiken
Mosaikfußbödeu und Wandgemälden zu verfolgen, wie die Alten genau dieselben
Fischarten zu speisen pflegten, wie ihre heutigen Nachkommen. Wie denn
überhaupt den jetzigen Italienern und namentlich den Römern trotz allem
politischem Radikalismus ein erstaunlich konservativer Sinn innewohnt; Fuhr¬
wesen und Weiubetrieb stehen in der römischen Campagna noch genau auf


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[0448] Das Wirtshausleben in Italien und poesieloser. Immer aber wird man zuvorkommender Aufnahme und liebenswürdiger Behandlung gewiß sein. Eine Ausnahme machen lediglich solche riswrkMi, die für den Fremdenfang bestimmt und demgemäß von un¬ kundigen Fremden überfüllt sind. Früh geht man in das Caso; bei guter Jahreszeit nimmt man hier seine Tasse zu sich (Preis 15 oder 20 Centestmi), dazu etwas Gebäck, vor der Thür an einem Marmortischchen auf offnem Markte und beginnt so das süd¬ liche Bummelleben in höchst stimmungsvoller, behaglicher Weise gleich am Morgen. Weilt man längere Zeit in einer Stadt, und hat man in ihr irgendwelche Geschäfte, so wird man sich der Abkürzung halber von seineu Wirtsleuten heißes Wasser und Semmeln geben lassen und sich selbst Kakao bereiten. Auch des Abends kann man sehr wohl in seiner Stube speisen, die dienstbeflissene Wirtin besorgt gern kalte Küche und einen schilfnmflochtenen Fiasko Wem. Um etwas warmes zu sich zu nehmen, wird man aber mittags und abends in eine Trattvrie gehen, wobei man je nach Tagesplan, Ver¬ hältnissen und Gesellschaft den Schwerpunkt mehr auf die Mittags- oder die Abendmahlzeit legen wird. Auf diese Verschiedenheiten kann im folgenden selbstverständlich keine Rücksicht genommen werden, es sei deshalb die italienische Küche in deren einzelnen Teilen nach der üblichen Anordnung größerer Mahl¬ zeiten beschrieben. Von den Suppen (öuxxg,, nimostra) habe ich keinen günstigen Eindruck erhalten. Die Fleischbrühen sind fast- und kraftlos und werden vom Italiener nur selten begehrt; eher läßt sich noch den Gemüsesuppen ein gewisser Ge¬ schmack abgewinnen, zumal wenn man nach Landessitte Parmesankäse darauf streut. Für einzelne, nicht für jeden, bilden Fischsuppen (allg. mai'inÄjg,) eine Delikatesse. Als Eingangsgericht wählt aber der Italiener vorzugsweise seinen geliebte» Risotto (Reisbrei) oder Maccheroni. Die Mannigfaltigkeit, die er bei der Herstellung dieser Gerichte entfaltet, ist erstaunlich. Man bereitet die Nudeln in den verschiedensten Größen und Formen und bezeichnet sie darnach spÄAUstti, vöriuivölli u. ä. Sie werden entweder einfach in Wasser gekocht (dazu dann Parmesankäse) oder mit Tomaten (ick su^o, con poiriidoro) an¬ gerichtet. Eine große Feinheit sind dabei als Zuthat das Innere des Huhns (Leber, Herz) und die Hahnenknmme. Reis oder Maecheroni, pastetenartig ge¬ backen, heißen Timballo ti Riso usw. Die niedlichen mit Parmesankäse ge¬ füllten Figurennudeln aus Bologna (torwllwi) sind neuerdings vom Handel in Deutschland eingeführt und geben gleichfalls ein leckeres Vorgericht. Eine bedeutende Rolle in der Ernährung spielt in dem meerumschlungnen Lande selbstverständlich das Fischgericht, das der deutscheu Sitte entsprechend an dieser Stelle erwähnt sei, obwohl es der Italiener gern uach dem Braten ißt. Ein Besuch des Fischmarktes in Neapel gehört zu den größten Über¬ raschungen. Mit Bewunderung erkennt man hier die unendliche Vielheit der Formen, die das südliche Wasser gebiert; und in den herrlichsten schönsten Farben, sogar durchleuchtenden Schmelz gleich, schimmern und glitzern die Tierchen. Ein besondres und lehrreiches Vergnügen bereitet es, auf antiken Mosaikfußbödeu und Wandgemälden zu verfolgen, wie die Alten genau dieselben Fischarten zu speisen pflegten, wie ihre heutigen Nachkommen. Wie denn überhaupt den jetzigen Italienern und namentlich den Römern trotz allem politischem Radikalismus ein erstaunlich konservativer Sinn innewohnt; Fuhr¬ wesen und Weiubetrieb stehen in der römischen Campagna noch genau auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/448>, abgerufen am 07.01.2025.