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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Wie soll der Kampf "in die Gstinark geführt werden?

berechtigte Maßnahme. Ihre Aufhebung hat natürlich vorzugsweise die Landwirt¬
schaft des Ostens geschädigt. Daß aber diese ein solches Opfer bringen mußte, das
wäre doch nur dann billig und gerecht gewesen, wenn gerade sie von dem
russischen Handelsvertrag besondre Vorteile zu erwarten gehabt hätte.

Es sind aber auch Differentialtarife für die Personenbeförderung zu er¬
streben, vielleicht in der Form, daß über eine gewisse Kilometerzahl hinaus
der Fahrpreis keine weitere Steigerung erfährt. Dadurch würde für die Be¬
wohner der östlichen Provinzen der große materielle Nachteil, der sich für sie
aus der geographischen Lage ihrer Wohnsitze ergiebt, bedeutend gemildert
werden. Das bisherige System der Tarifirung legt gerade den Bewohnern
des Ostens eine unverhältnismäßig hohe Eisenbahnstcuer auf; durch ihre
Ermäßigung würde dem Deutschen, der hierher verschlagen wird, sein Los
erträglicher gemacht werden, denn jetzt ist die Versetzung nach Posen namentlich
für viele der weniger bemittelten Beamten gleichbedeutend mit einer Ver¬
bannung.

Aber mich unsre Eisenbahnverbindungen müssen besser werden. Hamburg,
Hannover, Kassel, Breslau -- sie alle haben weit schnellere Verbindungen
mit andern Mittelpunkten des Verkehrs, insbesondre mit Berlin.

4. Zweckmäßigere Einrichtungen aus dem Gebiet der Schule. Ich
habe schou oben auf das Mißverhältnis hingewiesen, das in der Stadt Posen
zwischen der Zahl der humanistisch und der realistisch vorgebildeten Schüler
höherer Lehranstalten besteht. Noch greller tritt dieses Mißverhältnis hervor,
wenn man sämtliche höhere Schulen der Provinz, soweit sie eine allgemeine
und uicht bloß eine fachmüßige Bildung zu vermitteln bestimmt sind, zum
Vergleich heranzieht. Da ergiebt sich nämlich, daß auf je 100 Schüler dieser
höhern Lehranstalten nicht weniger als 86,6 Humanisten kommen!

Nun mag man eine noch so hohe Meinung von dem Wert der klassischen
Bildung haben -- man wird doch zugeben müssen, daß es eine Verkehrtheit
ist, sie allen aufzuzwingen, die überhaupt nach höherer Bildung streben. Und
bei uns wird sie thatsächlich fast allen aufgezwungen, denn nur in zwei
Städten (Bromberg und Posen) bestehen neben den humanistischen auch noch
realistische Bildungsanstalten. Das sind doch keine gesunden Zustünde I Die
Überfüllung der studirten Berufe ist noch uicht einmal die schlimmste ihrer
Folgen. Als solche betrachte ich vielmehr diese: wer das Gymnasium durch¬
gemacht hat, besitzt -- wie doch wohl allgemein zugestanden werden wird --
die Grundlagen einer gelehrten Bildung. Aber eben deshalb hüte er sich selbst
"o ixso zu etwas "Höheren" berufen, und dieses Höhere ist natürlich eine
Stellung innerhalb der sogenannten "leitenden Kreise." Die Folge ist, daß
im allgemeinen nur uoch die Gymnasialschüler sich einem, gewerblichen Beruf
zuwenden, die auf dem Gymnasium, nicht weiter kommen konnten -- mit einem
Wort, der Schund. Dadurch wird aber das Ansehen der produktiven. Stunde
und Berufsarten noch mehr herabgedrückt. Dazu kommt dann noch der weitere


Wie soll der Kampf »in die Gstinark geführt werden?

berechtigte Maßnahme. Ihre Aufhebung hat natürlich vorzugsweise die Landwirt¬
schaft des Ostens geschädigt. Daß aber diese ein solches Opfer bringen mußte, das
wäre doch nur dann billig und gerecht gewesen, wenn gerade sie von dem
russischen Handelsvertrag besondre Vorteile zu erwarten gehabt hätte.

Es sind aber auch Differentialtarife für die Personenbeförderung zu er¬
streben, vielleicht in der Form, daß über eine gewisse Kilometerzahl hinaus
der Fahrpreis keine weitere Steigerung erfährt. Dadurch würde für die Be¬
wohner der östlichen Provinzen der große materielle Nachteil, der sich für sie
aus der geographischen Lage ihrer Wohnsitze ergiebt, bedeutend gemildert
werden. Das bisherige System der Tarifirung legt gerade den Bewohnern
des Ostens eine unverhältnismäßig hohe Eisenbahnstcuer auf; durch ihre
Ermäßigung würde dem Deutschen, der hierher verschlagen wird, sein Los
erträglicher gemacht werden, denn jetzt ist die Versetzung nach Posen namentlich
für viele der weniger bemittelten Beamten gleichbedeutend mit einer Ver¬
bannung.

Aber mich unsre Eisenbahnverbindungen müssen besser werden. Hamburg,
Hannover, Kassel, Breslau — sie alle haben weit schnellere Verbindungen
mit andern Mittelpunkten des Verkehrs, insbesondre mit Berlin.

4. Zweckmäßigere Einrichtungen aus dem Gebiet der Schule. Ich
habe schou oben auf das Mißverhältnis hingewiesen, das in der Stadt Posen
zwischen der Zahl der humanistisch und der realistisch vorgebildeten Schüler
höherer Lehranstalten besteht. Noch greller tritt dieses Mißverhältnis hervor,
wenn man sämtliche höhere Schulen der Provinz, soweit sie eine allgemeine
und uicht bloß eine fachmüßige Bildung zu vermitteln bestimmt sind, zum
Vergleich heranzieht. Da ergiebt sich nämlich, daß auf je 100 Schüler dieser
höhern Lehranstalten nicht weniger als 86,6 Humanisten kommen!

Nun mag man eine noch so hohe Meinung von dem Wert der klassischen
Bildung haben — man wird doch zugeben müssen, daß es eine Verkehrtheit
ist, sie allen aufzuzwingen, die überhaupt nach höherer Bildung streben. Und
bei uns wird sie thatsächlich fast allen aufgezwungen, denn nur in zwei
Städten (Bromberg und Posen) bestehen neben den humanistischen auch noch
realistische Bildungsanstalten. Das sind doch keine gesunden Zustünde I Die
Überfüllung der studirten Berufe ist noch uicht einmal die schlimmste ihrer
Folgen. Als solche betrachte ich vielmehr diese: wer das Gymnasium durch¬
gemacht hat, besitzt — wie doch wohl allgemein zugestanden werden wird —
die Grundlagen einer gelehrten Bildung. Aber eben deshalb hüte er sich selbst
«o ixso zu etwas „Höheren" berufen, und dieses Höhere ist natürlich eine
Stellung innerhalb der sogenannten „leitenden Kreise." Die Folge ist, daß
im allgemeinen nur uoch die Gymnasialschüler sich einem, gewerblichen Beruf
zuwenden, die auf dem Gymnasium, nicht weiter kommen konnten — mit einem
Wort, der Schund. Dadurch wird aber das Ansehen der produktiven. Stunde
und Berufsarten noch mehr herabgedrückt. Dazu kommt dann noch der weitere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/433>, abgerufen am 09.01.2025.