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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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zu behaupten, dieses Überwiegen des Humanismus sei die Ursache unsers wirt¬
schaftlichen Niedergangs -- aber ein Symptom davon ist es ganz gewiß. Und
auch das steht fest, daß wir da auf einer falschen Bahn sind, und daß es hohe
Zeit wäre, die Verkehrtheit dieser Entwicklung einzusehen und ihr nach Möglich¬
keit entgegen zu wirken. Der Hauptanstoß zur Besserung muß freilich aus dem
deutschen Bürgertum selbst kommen; es muß sich aufraffen aus der dumpfen
Apathie, in die es verfallen ist. Aber zum Aufraffen gehört Vertrauen und
Hoffnung, denn wo diese nicht vorhanden sind, da fehlt auch der Mut zur
That. Es ist nötig, daß das deutsche Bürgertum das Vertrauen gewinnt, es
werde endlich auch für unsern Osten in wirtschaftlicher Beziehung eine bessere
Zeit anbrechen. Ihm dies Vertrauen oder wenigstens diese Hoffnung einzu¬
flößen, dazu ist vor allem die Stantsregierung selbst berufen. Aber nicht
durch Worte würde sie dies zu leisten vermögen, sondern allein durch die That.

Was hat nun die Regierung bisher für die Hebung des städtischen Bttrger-
standes in unsrer Provinz geleistet?

Selbst der Verfasser des kürzlich in diesen Blättern erschienenen Aufsatzes
"Aus unsrer Ostmark" -- obwohl er sonst mit seiner Anerkennung staatlicher
Leistungen nicht karge -- weiß darüber nur wenig zu vermelden: ,,Manches
ist übrigens schon durch den Staat für den deutschen Nührstand der Städte
geschehen, in Posen durch die Gründung der Baugewerkschule*) und die Er¬
öffnung einer Königlichen Gewerbe- und Haushaltungsschule für Mädchen, in
Bromberg durch die Schaffung einer gewerblichen Fortbildungsschule." Aber
das ist auch alles, was er anführen kann. Daß aber dies auch nicht im ent¬
ferntesten genügt, um den oben erwähnten Zweck (die Hebung des Bürgertums)
zu erreichen, das braucht doch nicht erst bewiesen zu werden.

Welches sind nun die Thaten und Leistungen der Regierung, die geeignet
wären, dem deutschen Bürger zu neuem wirtschaftlichen Aufschwung die Bahn
frei zu machen?

Zum Teil vermögen dazu gewisse Verwaltungsmaßregeln beizutragen,
die alle von dem gemeinsamen Grundsatz diktirt sein müßten, auf dem wirt¬
schaftlichen Gebiet zunächst die lokalen Interessen der wichtigern Städte dieser
Provinz zu fördern. Für die Stadt Posen besonders wären etwa folgende
Maßregeln ins Auge zu fassen:

1. Die Einverleibung der Vororte. Der Haupteinwcmd gegen diese Ände¬
rung -- die für die Stadt Posen dadurch eintretende Notwendigkeit, dann
die für ihre Finanzen wichtige Schlachtsteuer aufzugeben -- wird hinfällig
von dem Augenblick um, wo der schon in der Anlage begriffne Schlacht- und
Viehhof vollendet sein wird. Alles sür den städtischen Verbrauch bestimmte
Vieh wird in Zukunft nur dort geschlachtet werden dürfen, wodurch dann
anch die Steuererhebung außerordentlich erleichtert wird.



Deren prächtiges Gebäude übrigens auf städtische Kosten errichtet worden ist!

zu behaupten, dieses Überwiegen des Humanismus sei die Ursache unsers wirt¬
schaftlichen Niedergangs — aber ein Symptom davon ist es ganz gewiß. Und
auch das steht fest, daß wir da auf einer falschen Bahn sind, und daß es hohe
Zeit wäre, die Verkehrtheit dieser Entwicklung einzusehen und ihr nach Möglich¬
keit entgegen zu wirken. Der Hauptanstoß zur Besserung muß freilich aus dem
deutschen Bürgertum selbst kommen; es muß sich aufraffen aus der dumpfen
Apathie, in die es verfallen ist. Aber zum Aufraffen gehört Vertrauen und
Hoffnung, denn wo diese nicht vorhanden sind, da fehlt auch der Mut zur
That. Es ist nötig, daß das deutsche Bürgertum das Vertrauen gewinnt, es
werde endlich auch für unsern Osten in wirtschaftlicher Beziehung eine bessere
Zeit anbrechen. Ihm dies Vertrauen oder wenigstens diese Hoffnung einzu¬
flößen, dazu ist vor allem die Stantsregierung selbst berufen. Aber nicht
durch Worte würde sie dies zu leisten vermögen, sondern allein durch die That.

Was hat nun die Regierung bisher für die Hebung des städtischen Bttrger-
standes in unsrer Provinz geleistet?

Selbst der Verfasser des kürzlich in diesen Blättern erschienenen Aufsatzes
„Aus unsrer Ostmark" — obwohl er sonst mit seiner Anerkennung staatlicher
Leistungen nicht karge — weiß darüber nur wenig zu vermelden: ,,Manches
ist übrigens schon durch den Staat für den deutschen Nührstand der Städte
geschehen, in Posen durch die Gründung der Baugewerkschule*) und die Er¬
öffnung einer Königlichen Gewerbe- und Haushaltungsschule für Mädchen, in
Bromberg durch die Schaffung einer gewerblichen Fortbildungsschule." Aber
das ist auch alles, was er anführen kann. Daß aber dies auch nicht im ent¬
ferntesten genügt, um den oben erwähnten Zweck (die Hebung des Bürgertums)
zu erreichen, das braucht doch nicht erst bewiesen zu werden.

Welches sind nun die Thaten und Leistungen der Regierung, die geeignet
wären, dem deutschen Bürger zu neuem wirtschaftlichen Aufschwung die Bahn
frei zu machen?

Zum Teil vermögen dazu gewisse Verwaltungsmaßregeln beizutragen,
die alle von dem gemeinsamen Grundsatz diktirt sein müßten, auf dem wirt¬
schaftlichen Gebiet zunächst die lokalen Interessen der wichtigern Städte dieser
Provinz zu fördern. Für die Stadt Posen besonders wären etwa folgende
Maßregeln ins Auge zu fassen:

1. Die Einverleibung der Vororte. Der Haupteinwcmd gegen diese Ände¬
rung — die für die Stadt Posen dadurch eintretende Notwendigkeit, dann
die für ihre Finanzen wichtige Schlachtsteuer aufzugeben — wird hinfällig
von dem Augenblick um, wo der schon in der Anlage begriffne Schlacht- und
Viehhof vollendet sein wird. Alles sür den städtischen Verbrauch bestimmte
Vieh wird in Zukunft nur dort geschlachtet werden dürfen, wodurch dann
anch die Steuererhebung außerordentlich erleichtert wird.



Deren prächtiges Gebäude übrigens auf städtische Kosten errichtet worden ist!
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[0431] zu behaupten, dieses Überwiegen des Humanismus sei die Ursache unsers wirt¬ schaftlichen Niedergangs — aber ein Symptom davon ist es ganz gewiß. Und auch das steht fest, daß wir da auf einer falschen Bahn sind, und daß es hohe Zeit wäre, die Verkehrtheit dieser Entwicklung einzusehen und ihr nach Möglich¬ keit entgegen zu wirken. Der Hauptanstoß zur Besserung muß freilich aus dem deutschen Bürgertum selbst kommen; es muß sich aufraffen aus der dumpfen Apathie, in die es verfallen ist. Aber zum Aufraffen gehört Vertrauen und Hoffnung, denn wo diese nicht vorhanden sind, da fehlt auch der Mut zur That. Es ist nötig, daß das deutsche Bürgertum das Vertrauen gewinnt, es werde endlich auch für unsern Osten in wirtschaftlicher Beziehung eine bessere Zeit anbrechen. Ihm dies Vertrauen oder wenigstens diese Hoffnung einzu¬ flößen, dazu ist vor allem die Stantsregierung selbst berufen. Aber nicht durch Worte würde sie dies zu leisten vermögen, sondern allein durch die That. Was hat nun die Regierung bisher für die Hebung des städtischen Bttrger- standes in unsrer Provinz geleistet? Selbst der Verfasser des kürzlich in diesen Blättern erschienenen Aufsatzes „Aus unsrer Ostmark" — obwohl er sonst mit seiner Anerkennung staatlicher Leistungen nicht karge — weiß darüber nur wenig zu vermelden: ,,Manches ist übrigens schon durch den Staat für den deutschen Nührstand der Städte geschehen, in Posen durch die Gründung der Baugewerkschule*) und die Er¬ öffnung einer Königlichen Gewerbe- und Haushaltungsschule für Mädchen, in Bromberg durch die Schaffung einer gewerblichen Fortbildungsschule." Aber das ist auch alles, was er anführen kann. Daß aber dies auch nicht im ent¬ ferntesten genügt, um den oben erwähnten Zweck (die Hebung des Bürgertums) zu erreichen, das braucht doch nicht erst bewiesen zu werden. Welches sind nun die Thaten und Leistungen der Regierung, die geeignet wären, dem deutschen Bürger zu neuem wirtschaftlichen Aufschwung die Bahn frei zu machen? Zum Teil vermögen dazu gewisse Verwaltungsmaßregeln beizutragen, die alle von dem gemeinsamen Grundsatz diktirt sein müßten, auf dem wirt¬ schaftlichen Gebiet zunächst die lokalen Interessen der wichtigern Städte dieser Provinz zu fördern. Für die Stadt Posen besonders wären etwa folgende Maßregeln ins Auge zu fassen: 1. Die Einverleibung der Vororte. Der Haupteinwcmd gegen diese Ände¬ rung — die für die Stadt Posen dadurch eintretende Notwendigkeit, dann die für ihre Finanzen wichtige Schlachtsteuer aufzugeben — wird hinfällig von dem Augenblick um, wo der schon in der Anlage begriffne Schlacht- und Viehhof vollendet sein wird. Alles sür den städtischen Verbrauch bestimmte Vieh wird in Zukunft nur dort geschlachtet werden dürfen, wodurch dann anch die Steuererhebung außerordentlich erleichtert wird. Deren prächtiges Gebäude übrigens auf städtische Kosten errichtet worden ist!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/431>, abgerufen am 09.01.2025.