Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene Hecke, wo ihn einst die Madlene mit dem Grashälmlein unter der Nase gekitzelt Ruht sichs gut, Frieder? Wollt einmal nach meimn Hafer guck drob" am Sie stemmte beide Hände auf die Hüften und machte bei jedem Kraftausdruck Er will gewiß um die Müsersmadlene anhält. Die Madlene hätt ihn vor Ja! sagte der Frieder und wandte sich seinem Hans zu. Die Bärbel rief ihm Es litt den Frieder nicht im Hans. Er schritt bald wieder durch den Obst¬ Da saß er "nieder auf der Höhe wie vor acht Jahren und schaute in die Frieder erschrak vor seiner eignen Stimme, und es war ihm, als erwache er Madlene Hecke, wo ihn einst die Madlene mit dem Grashälmlein unter der Nase gekitzelt Ruht sichs gut, Frieder? Wollt einmal nach meimn Hafer guck drob» am Sie stemmte beide Hände auf die Hüften und machte bei jedem Kraftausdruck Er will gewiß um die Müsersmadlene anhält. Die Madlene hätt ihn vor Ja! sagte der Frieder und wandte sich seinem Hans zu. Die Bärbel rief ihm Es litt den Frieder nicht im Hans. Er schritt bald wieder durch den Obst¬ Da saß er »nieder auf der Höhe wie vor acht Jahren und schaute in die Frieder erschrak vor seiner eignen Stimme, und es war ihm, als erwache er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0393" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227295"/> <fw type="header" place="top"> Madlene</fw><lb/> <p xml:id="ID_1368" prev="#ID_1367"> Hecke, wo ihn einst die Madlene mit dem Grashälmlein unter der Nase gekitzelt<lb/> hatte. Auf demselben Wiesenpfad, wo damals die Madlene herangekommen war,<lb/> näherte sich jetzt die Matthesensbärbel. An einem lieben Sonntag plaudert sichs<lb/> doch noch besser als bei der Arbeit. War das Plaudern für die Bärbel an den<lb/> Wochentagen nur Arbeitswürze, so konnte sie sich ihm am Sonntag als Selbstzweck<lb/> mit völliger Hingabe widmen, und darum verfiel an diesem Tag ihrem Mundwerk<lb/> ein Kreis von viel beträchtlicheren Radius — räumlich und persönlich. Räumlich<lb/> lag der kommenden Bärbel der Rödersfrieder ja wohl nahe; aber seine Person lag<lb/> ihr doch eigentlich fern. An einem Werkeltag wäre er vielleicht verschont geblieben;<lb/> aber heute fiel er in den Kreis des Bärbelbedürfnisses.</p><lb/> <p xml:id="ID_1369"> Ruht sichs gut, Frieder? Wollt einmal nach meimn Hafer guck drob» am<lb/> Bart, ob wir ihn enorm schneiden könne«. Ist heut wieder recht warm. Hases<lb/> schon gehört? Der Türkeudres ist da! Man folles doch nit mein'n, wie der<lb/> Mensch sein Glück machen kann, wenn er in die Welt geht. Du lieber Gott! Wie<lb/> er noch in die Schul ging — du liebe Zeit! Da kam er manchmal zu mir ge¬<lb/> schlichen, weil ihm vor Hunger der Magen krumm hing. Nun guckt ihn alleweil<lb/> an! In Nürnberg hätt er Pferde und Kutschen verkauft, weils bei uus kein'n<lb/> ordentlichen Pferdestall gäb. Sollt mans den» mein'n? Er spielt mit den Gold¬<lb/> stücken, wie wir nit mit den Pfennigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1370"> Sie stemmte beide Hände auf die Hüften und machte bei jedem Kraftausdruck<lb/> eine Verbeugung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1371"> Er will gewiß um die Müsersmadlene anhält. Die Madlene hätt ihn vor<lb/> acht Jahrn schon gern genommn, Wenns ihre Lent hätten gelitten. Derwegen wär<lb/> er in die Fremd. Alleweil ist sie ihr eigner Herr; und der ewig Reichtum! Herr<lb/> Jeses! Da braucht er nit erst groß um sie anzuhalten. Hat das Weiberleut Glück!<lb/> S ist drübernaus!</p><lb/> <p xml:id="ID_1372"> Ja! sagte der Frieder und wandte sich seinem Hans zu. Die Bärbel rief ihm<lb/> noch nach: Na, die Triltschenchristel ist auch nit ganz ohne!</p><lb/> <p xml:id="ID_1373"> Es litt den Frieder nicht im Hans. Er schritt bald wieder durch den Obst¬<lb/> garten, über die Wiese, an der Feldlehne empor; unter dem Pelzgebräm setzten sich<lb/> Schweißperlen an auf der Stiru. Immer höher stieg er, über die Kartoffelfelder<lb/> hinaus zwischen Wacholderbüschen und rotblühendem Heidekraut aufwärts, daß ihm<lb/> dicke salzige Tropfen über die Wangen rannen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1374"> Da saß er »nieder auf der Höhe wie vor acht Jahren und schaute in die<lb/> Welt hinaus. Und der Flug seiner Gedanken riß ihn bis nach Wien. Da sah<lb/> er Menschen rennen in den Straßen und Kutschen fahren. Aus einer mit rotem<lb/> Plüsch ausgeschlagnen machte ihm der Türkendres eine lange Nase. Die Höhe<lb/> des Stolzes, auf der sich Frieder bis zur Stunde tapfer behauptet hatte, begann<lb/> Zu schwanken, daß der Unglückliche trunken hinabstürzte in die Tiefe. Es dauerte<lb/> geraume Zeit, ehe ihm das Bewußtsein wiederkehrte. Er fühlte sich aufgerichtet,<lb/> von zwei starken Armen fest umschlungen, gepreßt an einen mächtig wogenden<lb/> Busen. Madlene! schrie Frieder ans, laut, daß es den Berg hinabschallte wie ein<lb/> Hilferuf.</p><lb/> <p xml:id="ID_1375"> Frieder erschrak vor seiner eignen Stimme, und es war ihm, als erwache er<lb/> aus einem Traum. Seine Seele loderte glühend ans und hing um einer leuchtenden<lb/> Mädchengestalt und las ans der Blüte des Leides uuter zitterndem Tau himm-<lb/> lischer Offenbarung der Keuschheit und Reine, der sich das Genieine und Niedre,<lb/> Verwüstung und Schmutz nicht nahen dürfen. Und Frieder erhob sich; seine<lb/> Wangen brannten, sein Auge flammte Begeisterung, und er streckte die Arme empor<lb/> und rief: Es kann nicht sein, Madlene!</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0393]
Madlene
Hecke, wo ihn einst die Madlene mit dem Grashälmlein unter der Nase gekitzelt
hatte. Auf demselben Wiesenpfad, wo damals die Madlene herangekommen war,
näherte sich jetzt die Matthesensbärbel. An einem lieben Sonntag plaudert sichs
doch noch besser als bei der Arbeit. War das Plaudern für die Bärbel an den
Wochentagen nur Arbeitswürze, so konnte sie sich ihm am Sonntag als Selbstzweck
mit völliger Hingabe widmen, und darum verfiel an diesem Tag ihrem Mundwerk
ein Kreis von viel beträchtlicheren Radius — räumlich und persönlich. Räumlich
lag der kommenden Bärbel der Rödersfrieder ja wohl nahe; aber seine Person lag
ihr doch eigentlich fern. An einem Werkeltag wäre er vielleicht verschont geblieben;
aber heute fiel er in den Kreis des Bärbelbedürfnisses.
Ruht sichs gut, Frieder? Wollt einmal nach meimn Hafer guck drob» am
Bart, ob wir ihn enorm schneiden könne«. Ist heut wieder recht warm. Hases
schon gehört? Der Türkeudres ist da! Man folles doch nit mein'n, wie der
Mensch sein Glück machen kann, wenn er in die Welt geht. Du lieber Gott! Wie
er noch in die Schul ging — du liebe Zeit! Da kam er manchmal zu mir ge¬
schlichen, weil ihm vor Hunger der Magen krumm hing. Nun guckt ihn alleweil
an! In Nürnberg hätt er Pferde und Kutschen verkauft, weils bei uus kein'n
ordentlichen Pferdestall gäb. Sollt mans den» mein'n? Er spielt mit den Gold¬
stücken, wie wir nit mit den Pfennigen.
Sie stemmte beide Hände auf die Hüften und machte bei jedem Kraftausdruck
eine Verbeugung.
Er will gewiß um die Müsersmadlene anhält. Die Madlene hätt ihn vor
acht Jahrn schon gern genommn, Wenns ihre Lent hätten gelitten. Derwegen wär
er in die Fremd. Alleweil ist sie ihr eigner Herr; und der ewig Reichtum! Herr
Jeses! Da braucht er nit erst groß um sie anzuhalten. Hat das Weiberleut Glück!
S ist drübernaus!
Ja! sagte der Frieder und wandte sich seinem Hans zu. Die Bärbel rief ihm
noch nach: Na, die Triltschenchristel ist auch nit ganz ohne!
Es litt den Frieder nicht im Hans. Er schritt bald wieder durch den Obst¬
garten, über die Wiese, an der Feldlehne empor; unter dem Pelzgebräm setzten sich
Schweißperlen an auf der Stiru. Immer höher stieg er, über die Kartoffelfelder
hinaus zwischen Wacholderbüschen und rotblühendem Heidekraut aufwärts, daß ihm
dicke salzige Tropfen über die Wangen rannen.
Da saß er »nieder auf der Höhe wie vor acht Jahren und schaute in die
Welt hinaus. Und der Flug seiner Gedanken riß ihn bis nach Wien. Da sah
er Menschen rennen in den Straßen und Kutschen fahren. Aus einer mit rotem
Plüsch ausgeschlagnen machte ihm der Türkendres eine lange Nase. Die Höhe
des Stolzes, auf der sich Frieder bis zur Stunde tapfer behauptet hatte, begann
Zu schwanken, daß der Unglückliche trunken hinabstürzte in die Tiefe. Es dauerte
geraume Zeit, ehe ihm das Bewußtsein wiederkehrte. Er fühlte sich aufgerichtet,
von zwei starken Armen fest umschlungen, gepreßt an einen mächtig wogenden
Busen. Madlene! schrie Frieder ans, laut, daß es den Berg hinabschallte wie ein
Hilferuf.
Frieder erschrak vor seiner eignen Stimme, und es war ihm, als erwache er
aus einem Traum. Seine Seele loderte glühend ans und hing um einer leuchtenden
Mädchengestalt und las ans der Blüte des Leides uuter zitterndem Tau himm-
lischer Offenbarung der Keuschheit und Reine, der sich das Genieine und Niedre,
Verwüstung und Schmutz nicht nahen dürfen. Und Frieder erhob sich; seine
Wangen brannten, sein Auge flammte Begeisterung, und er streckte die Arme empor
und rief: Es kann nicht sein, Madlene!
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