Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene Distelerute, oder besser und besser bis hinauf zur tausendfältigen Weizenernte. Der In das Madlenenherz hatte er viel des bösen Samens getragen. Aber trotz Aber der Herr der Ernte, der Frieder, kommt nicht; und Madlene trägt ihm Das Korn auf dem Kilzmcmnsacker war von der Madlene um Sonntag Gegen dies Geschoß war jedoch Madlene nunmehr gehörnt. Und ich Mann! Woh is denn mei sogen! So war der Türkendres in dem Müsershaus schon zum Spielball des Mut¬ Seit vierzehn Tagen hatte der Rödersfrieder seine Krücke zwar hinter den Am Sonntagnachmittag brannte er sein Pfeifchen an, ging zur hintern Thür Madlene Distelerute, oder besser und besser bis hinauf zur tausendfältigen Weizenernte. Der In das Madlenenherz hatte er viel des bösen Samens getragen. Aber trotz Aber der Herr der Ernte, der Frieder, kommt nicht; und Madlene trägt ihm Das Korn auf dem Kilzmcmnsacker war von der Madlene um Sonntag Gegen dies Geschoß war jedoch Madlene nunmehr gehörnt. Und ich Mann! Woh is denn mei sogen! So war der Türkendres in dem Müsershaus schon zum Spielball des Mut¬ Seit vierzehn Tagen hatte der Rödersfrieder seine Krücke zwar hinter den Am Sonntagnachmittag brannte er sein Pfeifchen an, ging zur hintern Thür <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227294"/> <fw type="header" place="top"> Madlene</fw><lb/> <p xml:id="ID_1359" prev="#ID_1358"> Distelerute, oder besser und besser bis hinauf zur tausendfältigen Weizenernte. Der<lb/> Same der Liebe und des Hasses fällt da hinein in den Mutterboden des Herzens,<lb/> der Same der Hoffnung, Geduld, Bescheidenheit, Selbstverleugnung — der Selbst¬<lb/> sucht, des Hochmuts, der Ungeduld, Verzaguug und Verzweiflung; o wer könnte<lb/> alle die Gräser und Kräutlein, Hecke» und Schlinggewächse aufzählen, deren Samen<lb/> da keimen und wachsen! Die vermaledeite Welt hat viel schlimmen Samen, und<lb/> der Wind steht ihr nur gar zu gern zu Diensten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1360"> In das Madlenenherz hatte er viel des bösen Samens getragen. Aber trotz<lb/> Granpelwetter und Unkraut hat die Saat der Liebe zwischen den stützenden Stengeln<lb/> der Bescheidenheit, Selbstverleugnung, Geduld und Hoffnung die Übermacht ge¬<lb/> wonnen, und es klang nun in diesem Herzen berauschend das alte, ewige Lied:<lb/> Reif zur Ernte!</p><lb/> <p xml:id="ID_1361"> Aber der Herr der Ernte, der Frieder, kommt nicht; und Madlene trägt ihm<lb/> die Ernte nicht zu. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1362"> Das Korn auf dem Kilzmcmnsacker war von der Madlene um Sonntag<lb/> vor dem Sichelmnrkt als reif zur Ernte erkannt und am Tag nach dem Sichel¬<lb/> markt auch geschnitten worden. Da hatte beim Schneiden die Madlene, die sehr<lb/> „aufgeräumt" gewesen war, dem Kleinen vom Döhlerskätterle her ein paar Holz¬<lb/> äpfelchen zugeworfen. Und der Kleine hatte, ohne sich aufzurichten, in ganz neuer<lb/> Melodie mit ungewöhnlich langgedehnten i gefragt: Ich? Er hatte sich nicht auf¬<lb/> gerichtet, weil sonst Himmel und Erde um ihn herum hätte bemerken können, wie<lb/> er feuerrot geworden war. Die Sicheln hatten aber darnach beim Halmdurch¬<lb/> schneiden viel lauter gesungen, und das hatte deu Kleinen mehr geärgert als die<lb/> Holzäpfelchen, sodaß er immer eifriger drauflos schnitt. Und je lauter seine Sichel<lb/> sang, desto rackriger wurde er, sodaß er herausplatzte: Ich könnt zum Türkendres<lb/> bald Schwager sagen, sagen die Leut.</p><lb/> <p xml:id="ID_1363"> Gegen dies Geschoß war jedoch Madlene nunmehr gehörnt. Und ich Mann!<lb/> hatte sie schnell erwidert.</p><lb/> <p xml:id="ID_1364"> Woh is denn mei sogen!</p><lb/> <p xml:id="ID_1365"> So war der Türkendres in dem Müsershaus schon zum Spielball des Mut¬<lb/> willens geworden. Wenn man aber den Teufel an die Wand malt, läßt er nicht<lb/> lange auf sich warten. Es war noch uicht alles bewältigt, was reif zur Ernte war,<lb/> da erschien plötzlich der Türkendres. Als er in selbstgefälliger Nachlässigkeit zum<lb/> erstenmal durchs Dorf ging, strichen die Schwalben vor ihm durch die Luft mit<lb/> dem Schreckruf: Ziwitt! Zilvitt! als hätte» sie die Gegenwart eines Falken oder<lb/> einer Katze anzuzeigen; die prahlerische gelbe Uhrkette mochte sie gereizt haben.<lb/> Die alte Dorflinde schüttelte ihr ehrwürdiges Haupt und rauschte es über die Dächer<lb/> hinweg den Holunderbänmen hinter den Scheunen und Backöfen zu: Der Türken¬<lb/> dres ist da! daß sie zusammenschauerten. Und unter den Dächern und auf der<lb/> Gasse, in Gärten, Flur und Wald ging es von Mund zu Mund: Der Türkendres<lb/> ist da!</p><lb/> <p xml:id="ID_1366"> Seit vierzehn Tagen hatte der Rödersfrieder seine Krücke zwar hinter den<lb/> Kleiderschrank gelehnt; aber zu eiuer Flucht vor dem Ruf: Der Türkendres ist da!<lb/> war sein Bein doch noch nicht tüchtig genug. Er mußte das Unabänderliche über<lb/> sich ergehen lassen, wie sehr er auch dabei litt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1367" next="#ID_1368"> Am Sonntagnachmittag brannte er sein Pfeifchen an, ging zur hintern Thür<lb/> hinaus durch den Obstgarten und freute sich der reichen Apfeltracht, mit der ihn<lb/> die treuen Bäume anlachten. Es war recht heiß; seine Hemdärmel leuchteten,<lb/> und seine pelzverbrämte Mütze mit der Goldtroddel war just noch so schön wie<lb/> vor acht Jahren, und es zog ihn hinten auf der Wiese nieder in den Schatten der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0392]
Madlene
Distelerute, oder besser und besser bis hinauf zur tausendfältigen Weizenernte. Der
Same der Liebe und des Hasses fällt da hinein in den Mutterboden des Herzens,
der Same der Hoffnung, Geduld, Bescheidenheit, Selbstverleugnung — der Selbst¬
sucht, des Hochmuts, der Ungeduld, Verzaguug und Verzweiflung; o wer könnte
alle die Gräser und Kräutlein, Hecke» und Schlinggewächse aufzählen, deren Samen
da keimen und wachsen! Die vermaledeite Welt hat viel schlimmen Samen, und
der Wind steht ihr nur gar zu gern zu Diensten.
In das Madlenenherz hatte er viel des bösen Samens getragen. Aber trotz
Granpelwetter und Unkraut hat die Saat der Liebe zwischen den stützenden Stengeln
der Bescheidenheit, Selbstverleugnung, Geduld und Hoffnung die Übermacht ge¬
wonnen, und es klang nun in diesem Herzen berauschend das alte, ewige Lied:
Reif zur Ernte!
Aber der Herr der Ernte, der Frieder, kommt nicht; und Madlene trägt ihm
die Ernte nicht zu. —
Das Korn auf dem Kilzmcmnsacker war von der Madlene um Sonntag
vor dem Sichelmnrkt als reif zur Ernte erkannt und am Tag nach dem Sichel¬
markt auch geschnitten worden. Da hatte beim Schneiden die Madlene, die sehr
„aufgeräumt" gewesen war, dem Kleinen vom Döhlerskätterle her ein paar Holz¬
äpfelchen zugeworfen. Und der Kleine hatte, ohne sich aufzurichten, in ganz neuer
Melodie mit ungewöhnlich langgedehnten i gefragt: Ich? Er hatte sich nicht auf¬
gerichtet, weil sonst Himmel und Erde um ihn herum hätte bemerken können, wie
er feuerrot geworden war. Die Sicheln hatten aber darnach beim Halmdurch¬
schneiden viel lauter gesungen, und das hatte deu Kleinen mehr geärgert als die
Holzäpfelchen, sodaß er immer eifriger drauflos schnitt. Und je lauter seine Sichel
sang, desto rackriger wurde er, sodaß er herausplatzte: Ich könnt zum Türkendres
bald Schwager sagen, sagen die Leut.
Gegen dies Geschoß war jedoch Madlene nunmehr gehörnt. Und ich Mann!
hatte sie schnell erwidert.
Woh is denn mei sogen!
So war der Türkendres in dem Müsershaus schon zum Spielball des Mut¬
willens geworden. Wenn man aber den Teufel an die Wand malt, läßt er nicht
lange auf sich warten. Es war noch uicht alles bewältigt, was reif zur Ernte war,
da erschien plötzlich der Türkendres. Als er in selbstgefälliger Nachlässigkeit zum
erstenmal durchs Dorf ging, strichen die Schwalben vor ihm durch die Luft mit
dem Schreckruf: Ziwitt! Zilvitt! als hätte» sie die Gegenwart eines Falken oder
einer Katze anzuzeigen; die prahlerische gelbe Uhrkette mochte sie gereizt haben.
Die alte Dorflinde schüttelte ihr ehrwürdiges Haupt und rauschte es über die Dächer
hinweg den Holunderbänmen hinter den Scheunen und Backöfen zu: Der Türken¬
dres ist da! daß sie zusammenschauerten. Und unter den Dächern und auf der
Gasse, in Gärten, Flur und Wald ging es von Mund zu Mund: Der Türkendres
ist da!
Seit vierzehn Tagen hatte der Rödersfrieder seine Krücke zwar hinter den
Kleiderschrank gelehnt; aber zu eiuer Flucht vor dem Ruf: Der Türkendres ist da!
war sein Bein doch noch nicht tüchtig genug. Er mußte das Unabänderliche über
sich ergehen lassen, wie sehr er auch dabei litt.
Am Sonntagnachmittag brannte er sein Pfeifchen an, ging zur hintern Thür
hinaus durch den Obstgarten und freute sich der reichen Apfeltracht, mit der ihn
die treuen Bäume anlachten. Es war recht heiß; seine Hemdärmel leuchteten,
und seine pelzverbrämte Mütze mit der Goldtroddel war just noch so schön wie
vor acht Jahren, und es zog ihn hinten auf der Wiese nieder in den Schatten der
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