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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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begründeter Durst gestillt wird, desto vollständiger ist die Erholung, an der
doch in vielen Füllen auch die Familie teilnimmt.

Ein Höhepunkt wirtshäuslicher Entwicklung ist in den Restaurationen an
Aussichtspunkten erreicht, wo ein seines Weges und des Lohnes seiner Mühe
frohes Publikum verkehrt. Hier ist an schönen Tagen ungeheurer Durst zu
bewältigen, während die Küche kalt zu sein pflegt. Aber Wirt und Kellner
dürfen hier uicht nur für die Gewährung materieller Genüsse vorbereitet sem.
man verlangt von ihnen Nnturgefühl und Orientirung. Ist keine Orientirungs-
tafel vorhanden, dann wohnt ihnen sogar eine hohe Autorität inne. auf die
man sich allerdings nicht blind verlassen darf; denn diesen Kellnertopographen
kommt es bisweilen nicht darauf an, die Berge bunt am Horizont durch¬
einander zu werfen. Nur die Städte und Kirchtürme halten sie fest, denn
darin werden sie kontrollirt. Will doch jeder Gast seineu heimatlichen Kirch¬
turm wiedererkennen. Es giebt in Deutschland Städte, die man sich ohne
ihre Ausflugsberge gar nicht mehr denken kann. Daß diese Höhen immer
mehr auch im Winter besucht werden, wo die Mühe größer, aber der Ausblick
Heller zu sein pflegt, bezeugt die Vertiefung des Naturgefühls. Aussichtstürme
sind auf manchen wohlgelegnen Bergen lange vor der Begründung der Gelnrgs-
vereine und Touristen klnbs von Menschenfreunden errichtet worden, die ihren
Mitbürgern eine gesunde Freude zugänglicher machen wollten. Natürlich übt
immer der ruinengekrönte Berg eine besondre Anziehung aus, auch wenn es kein
Heidelberger Schloß ist, und so giebt es denn in Deutschland bald keine Ruine
mehr, die nicht wenigstens mit einer Sommerwirtschaft verbunden wäre. Die
einst einsame Rudelsburg ist seit Jahren an Sonntagen mehr Bierwirtschaft als
Ruine, und auf den alten Schlössern von Heidelberg und Baden sind Restau¬
rationen "ersten Ranges" eingerichtet. Matthisson würde dort heute, trotz der
mehrfach in alten Mauerlöchern augebrachten brummenden Äolsharfen, auch
beim schlechtesten Wetter nicht die Ruhe und Stimmung zu einer "Elegie in
den Mauern eines alten Schlosses" finden; dagegen würden die hohen Preise
und der öde Luxus seiue Seele vielleicht zu einem Klagelied von der Länge
eines abschreckend splendid gedruckten "Menü" stimmen.

Für den Freund der Einsamkeit sind diese Orte entweiht. Und so hat
ja auch der Naturfreund den Erguß sonn- und festtäglicher Vergnügungswall¬
fahrer in die stille" Wälder und Thäler zu beklagen. Was die Menge an
ziemlich oberflächlichem Naturgenuß gewinnt, geht dem Einzelnen an tiefern
Eindrücken verloren. Die Sache will aber nicht egoistisch betrachtet werden,
sondern wir müssen die Steigerung des Erholungsbedürfnisses in Betracht
ziehen, an der vor allem die' städtischen Menschenanhäufungen schuld sind.
Man hat die Leute hereingezogen in die Städte, wo sie Mangel an Licht
und Luft leiden. Die Industrie, der Handel wollte es so, und die andern
schauten diesem Zustrom lange Zeit mit Vergnügen an. Wenn es nun die
Zusammengepferchten an ihren spärlichen Feiertagen ins Freie hinaustreibt, so


begründeter Durst gestillt wird, desto vollständiger ist die Erholung, an der
doch in vielen Füllen auch die Familie teilnimmt.

Ein Höhepunkt wirtshäuslicher Entwicklung ist in den Restaurationen an
Aussichtspunkten erreicht, wo ein seines Weges und des Lohnes seiner Mühe
frohes Publikum verkehrt. Hier ist an schönen Tagen ungeheurer Durst zu
bewältigen, während die Küche kalt zu sein pflegt. Aber Wirt und Kellner
dürfen hier uicht nur für die Gewährung materieller Genüsse vorbereitet sem.
man verlangt von ihnen Nnturgefühl und Orientirung. Ist keine Orientirungs-
tafel vorhanden, dann wohnt ihnen sogar eine hohe Autorität inne. auf die
man sich allerdings nicht blind verlassen darf; denn diesen Kellnertopographen
kommt es bisweilen nicht darauf an, die Berge bunt am Horizont durch¬
einander zu werfen. Nur die Städte und Kirchtürme halten sie fest, denn
darin werden sie kontrollirt. Will doch jeder Gast seineu heimatlichen Kirch¬
turm wiedererkennen. Es giebt in Deutschland Städte, die man sich ohne
ihre Ausflugsberge gar nicht mehr denken kann. Daß diese Höhen immer
mehr auch im Winter besucht werden, wo die Mühe größer, aber der Ausblick
Heller zu sein pflegt, bezeugt die Vertiefung des Naturgefühls. Aussichtstürme
sind auf manchen wohlgelegnen Bergen lange vor der Begründung der Gelnrgs-
vereine und Touristen klnbs von Menschenfreunden errichtet worden, die ihren
Mitbürgern eine gesunde Freude zugänglicher machen wollten. Natürlich übt
immer der ruinengekrönte Berg eine besondre Anziehung aus, auch wenn es kein
Heidelberger Schloß ist, und so giebt es denn in Deutschland bald keine Ruine
mehr, die nicht wenigstens mit einer Sommerwirtschaft verbunden wäre. Die
einst einsame Rudelsburg ist seit Jahren an Sonntagen mehr Bierwirtschaft als
Ruine, und auf den alten Schlössern von Heidelberg und Baden sind Restau¬
rationen „ersten Ranges" eingerichtet. Matthisson würde dort heute, trotz der
mehrfach in alten Mauerlöchern augebrachten brummenden Äolsharfen, auch
beim schlechtesten Wetter nicht die Ruhe und Stimmung zu einer „Elegie in
den Mauern eines alten Schlosses" finden; dagegen würden die hohen Preise
und der öde Luxus seiue Seele vielleicht zu einem Klagelied von der Länge
eines abschreckend splendid gedruckten „Menü" stimmen.

Für den Freund der Einsamkeit sind diese Orte entweiht. Und so hat
ja auch der Naturfreund den Erguß sonn- und festtäglicher Vergnügungswall¬
fahrer in die stille» Wälder und Thäler zu beklagen. Was die Menge an
ziemlich oberflächlichem Naturgenuß gewinnt, geht dem Einzelnen an tiefern
Eindrücken verloren. Die Sache will aber nicht egoistisch betrachtet werden,
sondern wir müssen die Steigerung des Erholungsbedürfnisses in Betracht
ziehen, an der vor allem die' städtischen Menschenanhäufungen schuld sind.
Man hat die Leute hereingezogen in die Städte, wo sie Mangel an Licht
und Luft leiden. Die Industrie, der Handel wollte es so, und die andern
schauten diesem Zustrom lange Zeit mit Vergnügen an. Wenn es nun die
Zusammengepferchten an ihren spärlichen Feiertagen ins Freie hinaustreibt, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/39>, abgerufen am 07.01.2025.