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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Kalkulatoren, sondern als tüchtige und kluge Kaufleute, die, wie weiland die
Makkabäer, die Waffe in der einen Hand haben, in der andern aber die Kelle und
den Spaten," und sehr ergötzlich ist der Vergleich des europäischen Konzerts
in der orientalischen Frage mit einem Orchester im Konzertsaal, "in dem wir
(in Konstantinopel) die Flöte diplomatischer Einwirkung bliesen"; "doch, wenn
Dissonanzen laut werden, legen wir die Flöte still auf den Tisch und ver¬
lassen den Konzertsaal." Dergleichen erweckt in dem Zuhörer sofort eine
behagliche Stimmung, er fühlt sich dem Redner nicht nur als Geschäfts¬
mann gegenüber, sondern menschlich nahe, und damit hat dieser seine Sache
schon halb gewonnen.

Und der Erfolg? Der 8. Februar war für den Reichstag zwar kein
großer Tag wie der 6. Februar 1888, aber ein guter Tag. "Sehr richtig!"
"sehr gut"; "lebhafter Beifall," "wiederholter Beifall," "große Heiterkeit,"
diese Bemerkungen folgen im Bericht einander in dichter Reihe. Sie machen
den Eindruck, daß das hohe Haus in einer recht befriedigten, ja vergnügten
Stimmung war, und das ist eine weit bessere Grundlage für vernünftige Be¬
schlüsse als grämliche Verdrossenheit und altkluge Nörgelei. Dem entsprachen
die Reden der Reichsboten. Vom rechten bis zum linken Flügel, von den
Konservativen bis zu den Freisinnigen wurden Anerkennung und Zustimmung
laut. Selbst Eugen Richter stimmte ein, ohne hinterdrein nein zu sagen.
Wenn der Mann, der so manche tüchtige Seiten hat, nur noch zu der Er¬
kenntnis durchdringen wollte, daß er mit seinem ewigen Neinsagen nur die
Geschäfte der Todfeinde des "freisinnigen" Bürgertums besorgt, und daß der
öde Doktrinarismus des "Freisinns" im tiefsten Grunde reaktionär ist, reaktionär
gegen jeden wirklichen Fortschritt Deutschlands zu fester nationaler Geschlossen¬
heit und zur Stellung einer Weltmacht. Ob er selbst nur Freude hat an
dieser verneinenden Thätigkeit? Man kann sichs nicht denken, aber man könnte
sich denken, daß er sie empfände, wenn er dazu hülfe, die unnatürliche Macht¬
stellung des Zentrums zu brechen, die doch nur durch dies unnatürliche Bündnis
des "freisinnigen" Bürgertums mit den blinden deutschen Schildknappen des
staatsfeindlichen Ultramontanismus aufrecht erhalten wird. Daß die Sozial¬
demokratie durch Bebels Mund auch hier nein sagte, in stolzer Jsolirung und
in dem erhebenden Bewußtsein vollendeter Vaterlandslostgkeit, das entsprach
zwar ihrem immer noch gläubig nachgebeteten Dogma, war aber durchaus
unvernünftig, denn es war keine Vertretung des vierten Standes, dessen Ge¬
schäfte die Herren zu führen behaupten, sondern ein Verrat am vierten Stande,
dessen eigenstes Interesse die Ausbreitung unsrer Absatzmärkte ist. Was die
Öffnung Chinas für Europa wirtschaftlich bedeutet, das kann heute noch kein
Mensch sagen; das aber kann man heute schon sagen,^ daß sie unvermeidlich
geworden ist, und daß Deutschland nur die Wahl hat, entweder müßig zuzu-
schn und alles wieder einmal andern zu überlassen, oder Mitzuthun. Wie so


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Kalkulatoren, sondern als tüchtige und kluge Kaufleute, die, wie weiland die
Makkabäer, die Waffe in der einen Hand haben, in der andern aber die Kelle und
den Spaten," und sehr ergötzlich ist der Vergleich des europäischen Konzerts
in der orientalischen Frage mit einem Orchester im Konzertsaal, „in dem wir
(in Konstantinopel) die Flöte diplomatischer Einwirkung bliesen"; „doch, wenn
Dissonanzen laut werden, legen wir die Flöte still auf den Tisch und ver¬
lassen den Konzertsaal." Dergleichen erweckt in dem Zuhörer sofort eine
behagliche Stimmung, er fühlt sich dem Redner nicht nur als Geschäfts¬
mann gegenüber, sondern menschlich nahe, und damit hat dieser seine Sache
schon halb gewonnen.

Und der Erfolg? Der 8. Februar war für den Reichstag zwar kein
großer Tag wie der 6. Februar 1888, aber ein guter Tag. „Sehr richtig!"
„sehr gut"; „lebhafter Beifall," „wiederholter Beifall," „große Heiterkeit,"
diese Bemerkungen folgen im Bericht einander in dichter Reihe. Sie machen
den Eindruck, daß das hohe Haus in einer recht befriedigten, ja vergnügten
Stimmung war, und das ist eine weit bessere Grundlage für vernünftige Be¬
schlüsse als grämliche Verdrossenheit und altkluge Nörgelei. Dem entsprachen
die Reden der Reichsboten. Vom rechten bis zum linken Flügel, von den
Konservativen bis zu den Freisinnigen wurden Anerkennung und Zustimmung
laut. Selbst Eugen Richter stimmte ein, ohne hinterdrein nein zu sagen.
Wenn der Mann, der so manche tüchtige Seiten hat, nur noch zu der Er¬
kenntnis durchdringen wollte, daß er mit seinem ewigen Neinsagen nur die
Geschäfte der Todfeinde des „freisinnigen" Bürgertums besorgt, und daß der
öde Doktrinarismus des „Freisinns" im tiefsten Grunde reaktionär ist, reaktionär
gegen jeden wirklichen Fortschritt Deutschlands zu fester nationaler Geschlossen¬
heit und zur Stellung einer Weltmacht. Ob er selbst nur Freude hat an
dieser verneinenden Thätigkeit? Man kann sichs nicht denken, aber man könnte
sich denken, daß er sie empfände, wenn er dazu hülfe, die unnatürliche Macht¬
stellung des Zentrums zu brechen, die doch nur durch dies unnatürliche Bündnis
des „freisinnigen" Bürgertums mit den blinden deutschen Schildknappen des
staatsfeindlichen Ultramontanismus aufrecht erhalten wird. Daß die Sozial¬
demokratie durch Bebels Mund auch hier nein sagte, in stolzer Jsolirung und
in dem erhebenden Bewußtsein vollendeter Vaterlandslostgkeit, das entsprach
zwar ihrem immer noch gläubig nachgebeteten Dogma, war aber durchaus
unvernünftig, denn es war keine Vertretung des vierten Standes, dessen Ge¬
schäfte die Herren zu führen behaupten, sondern ein Verrat am vierten Stande,
dessen eigenstes Interesse die Ausbreitung unsrer Absatzmärkte ist. Was die
Öffnung Chinas für Europa wirtschaftlich bedeutet, das kann heute noch kein
Mensch sagen; das aber kann man heute schon sagen,^ daß sie unvermeidlich
geworden ist, und daß Deutschland nur die Wahl hat, entweder müßig zuzu-
schn und alles wieder einmal andern zu überlassen, oder Mitzuthun. Wie so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/388>, abgerufen am 08.01.2025.