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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Der rechte Mann

Vorgehens, welch umsichtiges Maßhalten! Wir haben lediglich in unserm
Interesse gehandelt, keinem zuliebe, aber auch keinem zuleide. Unsre
Interessen laufen parallel mit denen Rußlands, dessen Interessen in Europa
nirgends die unsrigen durchkreuzen, und dessen natürliche Machtentwicklung
wir als aufrichtige Freunde mit neidloser Sympathie begleiten; wir finden es
begreiflich, "wenn Frankreich von Tonking aus neue Verkehrswege sucht,"
und wir denken nicht daran, "berechtigten englischen Interessen entgegen¬
treten zu wollen." Überhaupt sind unsre Beziehungen zu keinem Staate
getrübt worden, auch nicht zu England, mit dem wir für die Erhaltung des
Weltfriedens und für den Kulturfortschritt gern zusammengehen wollen. Wir
denken auch keineswegs an eine Teilung Chinas, die phantasievolle Leute
schon in naher Zukunft erwarten, denn Herr von Bülow vermag nicht
einzusehen, warum ein Reich, das schon seit 4377 Jahren besteht, nicht auch
noch wenigstens 3000 Jahre weiterbestehen soll. Im Gegenteil, wir wollen
China nicht erobern, wir wollen nur friedlich kolonisiren- Ebenso ruhig und
besonnen urteilt er über die orientalische und namentlich über die kretische
Frage. An diesen Dingen hat Deutschland kein unmittelbares Interesse; es
will nur den Frieden und die Gerechtigkeit wahren, es hat deshalb das große
Schwergewicht der deutschen Politik nicht zu Gunsten der Griechen in die
Schale geworfen, da diese den Krieg vom Zaune brachen, und es ist nur
soweit energisch aufgetreten, als es die Rechte der deutschen Gläubiger zu
wahren hatte. Wer Gouverneur von Kreta wird, ist uns gleichgültig; Deutschland
wird jeden anerkennen, über den sich die übrigen Großmächte einigen werden,
aber einen Druck auf den Sultan wird es nicht ausüben, und was aus Kreta
schließlich wird, das ruht im Schoße der unsterblichen Götter.

Nun kann man dasselbe in verschiedner Weise sagen. Herr von Bülow
hat die glückliche Gabe, manches mit guter Laune in eine gewisse humoristische
Beleuchtung zu rücken, wie die naive Frage, ob das chinesische Reich wohl noch
lange bestehen werde; er schlüge gern mit leichtem Anklange Dichterstellen ein,
wie am Schlüsse der zweiten Rede das Citat ans Goethes Faust, und er weiß
oft mit einem glücklichen bildlichen Ausdruck die Dinge zu sinnlicher Anschau¬
lichkeit zu bringen, fast wie Bismarck. "Wir wollen niemandem im Wege stehen,
aber wir verlangen auch einen Platz in der Sonne," sagte er schon im Dezember.
"Ich kann nicht einmal beim Whist meinem Partner Aufschlüsse geben über
jeden Trick," bemerkt er, um seine anfängliche Zurückhaltung in seinen
Äußerungen über die chinesische Frage zu rechtfertigen. Ohne einen festen
Punkt an der chinesischen Küste "würde deutsche Arbeit und Intelligenz für
andrer Leute Äcker den Dünger liefern, statt unsern eignen Garten zu be¬
fruchten." "Wir sind glücklich vorbeigekommen an der Scylla und der Charybdis
menschlicher Entschließungen, Übereilung und Versäumnis." "Wir werden
vorgehen Schritt für Schritt, nicht als Konquistadoren, aber auch nicht als


Der rechte Mann

Vorgehens, welch umsichtiges Maßhalten! Wir haben lediglich in unserm
Interesse gehandelt, keinem zuliebe, aber auch keinem zuleide. Unsre
Interessen laufen parallel mit denen Rußlands, dessen Interessen in Europa
nirgends die unsrigen durchkreuzen, und dessen natürliche Machtentwicklung
wir als aufrichtige Freunde mit neidloser Sympathie begleiten; wir finden es
begreiflich, „wenn Frankreich von Tonking aus neue Verkehrswege sucht,"
und wir denken nicht daran, „berechtigten englischen Interessen entgegen¬
treten zu wollen." Überhaupt sind unsre Beziehungen zu keinem Staate
getrübt worden, auch nicht zu England, mit dem wir für die Erhaltung des
Weltfriedens und für den Kulturfortschritt gern zusammengehen wollen. Wir
denken auch keineswegs an eine Teilung Chinas, die phantasievolle Leute
schon in naher Zukunft erwarten, denn Herr von Bülow vermag nicht
einzusehen, warum ein Reich, das schon seit 4377 Jahren besteht, nicht auch
noch wenigstens 3000 Jahre weiterbestehen soll. Im Gegenteil, wir wollen
China nicht erobern, wir wollen nur friedlich kolonisiren- Ebenso ruhig und
besonnen urteilt er über die orientalische und namentlich über die kretische
Frage. An diesen Dingen hat Deutschland kein unmittelbares Interesse; es
will nur den Frieden und die Gerechtigkeit wahren, es hat deshalb das große
Schwergewicht der deutschen Politik nicht zu Gunsten der Griechen in die
Schale geworfen, da diese den Krieg vom Zaune brachen, und es ist nur
soweit energisch aufgetreten, als es die Rechte der deutschen Gläubiger zu
wahren hatte. Wer Gouverneur von Kreta wird, ist uns gleichgültig; Deutschland
wird jeden anerkennen, über den sich die übrigen Großmächte einigen werden,
aber einen Druck auf den Sultan wird es nicht ausüben, und was aus Kreta
schließlich wird, das ruht im Schoße der unsterblichen Götter.

Nun kann man dasselbe in verschiedner Weise sagen. Herr von Bülow
hat die glückliche Gabe, manches mit guter Laune in eine gewisse humoristische
Beleuchtung zu rücken, wie die naive Frage, ob das chinesische Reich wohl noch
lange bestehen werde; er schlüge gern mit leichtem Anklange Dichterstellen ein,
wie am Schlüsse der zweiten Rede das Citat ans Goethes Faust, und er weiß
oft mit einem glücklichen bildlichen Ausdruck die Dinge zu sinnlicher Anschau¬
lichkeit zu bringen, fast wie Bismarck. „Wir wollen niemandem im Wege stehen,
aber wir verlangen auch einen Platz in der Sonne," sagte er schon im Dezember.
»Ich kann nicht einmal beim Whist meinem Partner Aufschlüsse geben über
jeden Trick," bemerkt er, um seine anfängliche Zurückhaltung in seinen
Äußerungen über die chinesische Frage zu rechtfertigen. Ohne einen festen
Punkt an der chinesischen Küste „würde deutsche Arbeit und Intelligenz für
andrer Leute Äcker den Dünger liefern, statt unsern eignen Garten zu be¬
fruchten." „Wir sind glücklich vorbeigekommen an der Scylla und der Charybdis
menschlicher Entschließungen, Übereilung und Versäumnis." „Wir werden
vorgehen Schritt für Schritt, nicht als Konquistadoren, aber auch nicht als


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[0387] Der rechte Mann Vorgehens, welch umsichtiges Maßhalten! Wir haben lediglich in unserm Interesse gehandelt, keinem zuliebe, aber auch keinem zuleide. Unsre Interessen laufen parallel mit denen Rußlands, dessen Interessen in Europa nirgends die unsrigen durchkreuzen, und dessen natürliche Machtentwicklung wir als aufrichtige Freunde mit neidloser Sympathie begleiten; wir finden es begreiflich, „wenn Frankreich von Tonking aus neue Verkehrswege sucht," und wir denken nicht daran, „berechtigten englischen Interessen entgegen¬ treten zu wollen." Überhaupt sind unsre Beziehungen zu keinem Staate getrübt worden, auch nicht zu England, mit dem wir für die Erhaltung des Weltfriedens und für den Kulturfortschritt gern zusammengehen wollen. Wir denken auch keineswegs an eine Teilung Chinas, die phantasievolle Leute schon in naher Zukunft erwarten, denn Herr von Bülow vermag nicht einzusehen, warum ein Reich, das schon seit 4377 Jahren besteht, nicht auch noch wenigstens 3000 Jahre weiterbestehen soll. Im Gegenteil, wir wollen China nicht erobern, wir wollen nur friedlich kolonisiren- Ebenso ruhig und besonnen urteilt er über die orientalische und namentlich über die kretische Frage. An diesen Dingen hat Deutschland kein unmittelbares Interesse; es will nur den Frieden und die Gerechtigkeit wahren, es hat deshalb das große Schwergewicht der deutschen Politik nicht zu Gunsten der Griechen in die Schale geworfen, da diese den Krieg vom Zaune brachen, und es ist nur soweit energisch aufgetreten, als es die Rechte der deutschen Gläubiger zu wahren hatte. Wer Gouverneur von Kreta wird, ist uns gleichgültig; Deutschland wird jeden anerkennen, über den sich die übrigen Großmächte einigen werden, aber einen Druck auf den Sultan wird es nicht ausüben, und was aus Kreta schließlich wird, das ruht im Schoße der unsterblichen Götter. Nun kann man dasselbe in verschiedner Weise sagen. Herr von Bülow hat die glückliche Gabe, manches mit guter Laune in eine gewisse humoristische Beleuchtung zu rücken, wie die naive Frage, ob das chinesische Reich wohl noch lange bestehen werde; er schlüge gern mit leichtem Anklange Dichterstellen ein, wie am Schlüsse der zweiten Rede das Citat ans Goethes Faust, und er weiß oft mit einem glücklichen bildlichen Ausdruck die Dinge zu sinnlicher Anschau¬ lichkeit zu bringen, fast wie Bismarck. „Wir wollen niemandem im Wege stehen, aber wir verlangen auch einen Platz in der Sonne," sagte er schon im Dezember. »Ich kann nicht einmal beim Whist meinem Partner Aufschlüsse geben über jeden Trick," bemerkt er, um seine anfängliche Zurückhaltung in seinen Äußerungen über die chinesische Frage zu rechtfertigen. Ohne einen festen Punkt an der chinesischen Küste „würde deutsche Arbeit und Intelligenz für andrer Leute Äcker den Dünger liefern, statt unsern eignen Garten zu be¬ fruchten." „Wir sind glücklich vorbeigekommen an der Scylla und der Charybdis menschlicher Entschließungen, Übereilung und Versäumnis." „Wir werden vorgehen Schritt für Schritt, nicht als Konquistadoren, aber auch nicht als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/387>, abgerufen am 07.01.2025.