Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Bellamys Gleichheit Schon in den ersten Tagen -- es ist Ende September -- stellt sich West Herr West prüft alsbald seine Vcmkzettel ans ihren innern Wert, indem Ungeheuer ist natürlich der Unterschied zwischen Fabriken, wie sie West Bellamys Gleichheit Schon in den ersten Tagen — es ist Ende September — stellt sich West Herr West prüft alsbald seine Vcmkzettel ans ihren innern Wert, indem Ungeheuer ist natürlich der Unterschied zwischen Fabriken, wie sie West <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0366" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227268"/> <fw type="header" place="top"> Bellamys Gleichheit</fw><lb/> <p xml:id="ID_1255"> Schon in den ersten Tagen — es ist Ende September — stellt sich West<lb/> in Begleitung von Dr. Leete bei der zuständigen Bankfiliale in Boston vor<lb/> und läßt sich dort sein Konto mit den auf deu Rest des Jahres noch fallenden<lb/> 1075,41 Dollars eröffnen. Er nimmt gleich Bankzettel (vouviiers) im Betrage<lb/> von dreihundert Dollars mit und läßt den Rest im Depot, genau so. wie er<lb/> es hundert Jahre früher bei seiner damaligen Bank gemacht haben würde.<lb/> Geld ist, wie gesagt, völlig abgeschafft, aber die ganze Wissenschaft des Bank¬<lb/> wesens überhaupt ist ja von Anbeginn gewesen, das wirkliche, das geprägte<lb/> Geld überflüssig zu machen und abzuschaffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1256"> Herr West prüft alsbald seine Vcmkzettel ans ihren innern Wert, indem<lb/> er Miß Leete und eine Freundin von ihr, die Generaldirektorin einer Papier¬<lb/> fabrik, zum Frühstück einlädt, und findet zu seiner Beruhigung, daß er in dem<lb/> staatlichen Palastrestaurant für sich und seine Damen die auserlesensten Gerichte<lb/> dafür bekommt, unbekannte Gerichte von einer Feinheit und Mannigfaltigkeit<lb/> des Geschmacks, wie er sie sich seinerzeit in Boston für irgend welchen Betrag<lb/> der damaligen Greeubacks nicht hätte verschaffen können. Dabei ist die Mahl¬<lb/> zeit unverhältnismäßig billig, denn das Haushalten ist auch vergesellschaftet<lb/> und wird nur noch von der Nation im Dienste aller Einzelnen streng ohne<lb/> jeden Nutzen betrieben. Man ist aber nicht gezwungen, immer erst sein Haus<lb/> zu verlassen, um sein Frühstück oder sein Diner einzunehmen, sondern man kann<lb/> von Hause aus telephonisch alles bestellen; die Küche des Viertels liefert dann<lb/> binnen einer Minute alles Gewünschte durch ein weitverbreitetes pneumatisches<lb/> Nöhrennetz ins Haus. Die Gefäße, in denen die Speisen befördert werden,<lb/> sind ans einer Art von Papierstoff hergestellt. In solchen Gefäßen werden<lb/> sie auch wieder erwärmt, aber nicht durch Feuer von außen, sondern durch<lb/> Einführung elektrischer Drähte von innen. Gekocht wird infolge dessen anch<lb/> auf sehr hübschen, aus Holz geschnitzten Herden. Wie die Indianer einst das<lb/> Wasser in Töpfe» von Birkenrinde kochten, indem sie erhitzte Steine hinein<lb/> warfen, so kochen wieder die Kinder der neuen Zeit: die Geschichte von der<lb/> ewig aufsteigenden Spirallinie. Servirt wird auf Geschirr, das aus einer<lb/> andern Papiermasse besteht und so hübsch ist, daß sich unser Porzellan nicht<lb/> entfernt damit würde vergleichen lassen. Kein Geschirr wird zweimal benutzt,<lb/> ebenso wenig die Leibwäsche, die Kleider, die wieder aus einem andern papier¬<lb/> artigen Stoff angefertigt sind. Um sich wirkliche Reinlichkeit zu sichern, hat<lb/> man das Waschfaß ganz abgeschafft. Ist irgend ein Stoff so schmutzig ge¬<lb/> worden, daß man wünschen möchte, ihn zu waschen, so wirft man ihn weg,<lb/> oder vielmehr alles wandert in die verschiednen Fabriken zurück, um wieder<lb/> in neue Sachen umgeschaffen zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1257" next="#ID_1258"> Ungeheuer ist natürlich der Unterschied zwischen Fabriken, wie sie West<lb/> nun sieht, und denen, die er gekannt hat. Damals niedrige Räume, die Decke<lb/> aus rohen Balken, die Wände aus nackten oder weißgekalkten Ziegelsteinen,<lb/> alles der Raumersparnis wegen so mit Maschinerie vollgestopft, daß für die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0366]
Bellamys Gleichheit
Schon in den ersten Tagen — es ist Ende September — stellt sich West
in Begleitung von Dr. Leete bei der zuständigen Bankfiliale in Boston vor
und läßt sich dort sein Konto mit den auf deu Rest des Jahres noch fallenden
1075,41 Dollars eröffnen. Er nimmt gleich Bankzettel (vouviiers) im Betrage
von dreihundert Dollars mit und läßt den Rest im Depot, genau so. wie er
es hundert Jahre früher bei seiner damaligen Bank gemacht haben würde.
Geld ist, wie gesagt, völlig abgeschafft, aber die ganze Wissenschaft des Bank¬
wesens überhaupt ist ja von Anbeginn gewesen, das wirkliche, das geprägte
Geld überflüssig zu machen und abzuschaffen.
Herr West prüft alsbald seine Vcmkzettel ans ihren innern Wert, indem
er Miß Leete und eine Freundin von ihr, die Generaldirektorin einer Papier¬
fabrik, zum Frühstück einlädt, und findet zu seiner Beruhigung, daß er in dem
staatlichen Palastrestaurant für sich und seine Damen die auserlesensten Gerichte
dafür bekommt, unbekannte Gerichte von einer Feinheit und Mannigfaltigkeit
des Geschmacks, wie er sie sich seinerzeit in Boston für irgend welchen Betrag
der damaligen Greeubacks nicht hätte verschaffen können. Dabei ist die Mahl¬
zeit unverhältnismäßig billig, denn das Haushalten ist auch vergesellschaftet
und wird nur noch von der Nation im Dienste aller Einzelnen streng ohne
jeden Nutzen betrieben. Man ist aber nicht gezwungen, immer erst sein Haus
zu verlassen, um sein Frühstück oder sein Diner einzunehmen, sondern man kann
von Hause aus telephonisch alles bestellen; die Küche des Viertels liefert dann
binnen einer Minute alles Gewünschte durch ein weitverbreitetes pneumatisches
Nöhrennetz ins Haus. Die Gefäße, in denen die Speisen befördert werden,
sind ans einer Art von Papierstoff hergestellt. In solchen Gefäßen werden
sie auch wieder erwärmt, aber nicht durch Feuer von außen, sondern durch
Einführung elektrischer Drähte von innen. Gekocht wird infolge dessen anch
auf sehr hübschen, aus Holz geschnitzten Herden. Wie die Indianer einst das
Wasser in Töpfe» von Birkenrinde kochten, indem sie erhitzte Steine hinein
warfen, so kochen wieder die Kinder der neuen Zeit: die Geschichte von der
ewig aufsteigenden Spirallinie. Servirt wird auf Geschirr, das aus einer
andern Papiermasse besteht und so hübsch ist, daß sich unser Porzellan nicht
entfernt damit würde vergleichen lassen. Kein Geschirr wird zweimal benutzt,
ebenso wenig die Leibwäsche, die Kleider, die wieder aus einem andern papier¬
artigen Stoff angefertigt sind. Um sich wirkliche Reinlichkeit zu sichern, hat
man das Waschfaß ganz abgeschafft. Ist irgend ein Stoff so schmutzig ge¬
worden, daß man wünschen möchte, ihn zu waschen, so wirft man ihn weg,
oder vielmehr alles wandert in die verschiednen Fabriken zurück, um wieder
in neue Sachen umgeschaffen zu werden.
Ungeheuer ist natürlich der Unterschied zwischen Fabriken, wie sie West
nun sieht, und denen, die er gekannt hat. Damals niedrige Räume, die Decke
aus rohen Balken, die Wände aus nackten oder weißgekalkten Ziegelsteinen,
alles der Raumersparnis wegen so mit Maschinerie vollgestopft, daß für die
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