Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
U)le soll der Kampf um die Ostmark geführt werden?

vor, die darauf schließen lassen, daß das polnische Element besonders in der
Stadt Posen selbst in starker Zunahme begriffen ist. So oft ich in den letzten
Jahren Gelegenheit hatte, mit einem Bekannten, der nach längerer Abwesenheit
einmal hierher zurückgekehrt war, über unsre Verhältnisse zu sprechen, mußte
ich stets die Bemerkung hören: "Zu meiner Zeit machte Posen viel mehr als
jetzt den Eindruck einer deutschen Stadt. Es muß jetzt hier weit mehr Polen
geben als Deutsche -- man hört ja viel mehr polnisch als deutsch sprechen."
Stimmt diese Beobachtung mit den Thatsachen überein? Die folgenden Zahlen
werden uns darüber belehren.

Nach der Volkszählung vom 2. Dezember 1895 waren unter den (rund)
73200 Einwohnern unsrer Stadt 43593 Katholiken, 23 745 Evangelische und
5810 Juden.

Von diesen waren ihrer Muttersprache nach Polen 38 296, Deutsche 34049,
und etwa 500 Zweisprachige. Zieht man nun von den 43593 Katholiken die
Polen mit 38296 ab, so verbleiben rund 5300 deutsche Katholiken, sodaß
also auf je 1000 katholische Einwohner etwa 878 Polen und 122 Deutsche
entfallen.

Seit 1871 hat sich nun das Zahlenverhältnis der Konfessionen in der
Stadt Posen folgendermaßen entwickelt:

KatholikenEvangelische
(lüll. Dissidenten)JudenGesamtzahl
(lüll. Militär
1871 .. . 2373330368 ,725556374
1880 ,. . 3571722882706365713
1885 ,, , 3796023408671968318
1895 ., , 4359323745581073239

Ergebnis: In fünfundzwanzig Jahren hat die Zahl der Katholiken um
14860, die der Evangelischen (mit Einschluß der etwa 100 christlichen Dissi¬
denten) nur um 3377 zugenommen. Die der Juden ist sogar um 1445 zurück¬
gegangen. Nimmt man an, daß auch 1871 unter den Katholiken etwa 12 Pro¬
zent Deutsche waren, und rechnet man die Evangelischen sämtlich, die Juden
zum weitaus größten Teil der deutsch redenden Bevölkerung zu, so ergiebt
sich in runden Zahlen folgendes Verhältnis der Nationalitäten zu einander:

1871 , . , 25300 Polen und 31000 Deutsche---56300
1895 . , , 38300 Polen und 34000 Deutsche---72300.

Mit andern Worten: Auf je tausend Einwohner aller drei Konfessionen
kamen:

1871 , , , 450 Polen und 550 Deutsche
1895 , . . 530 Polen und 470 Deutsche,

Diese Verschiebung zu Gunsten der Polen wird aber von noch viel größerer
Tragweite, wenn man sich folgende Thatsachen vergegenwärtigt.

Die Polen bilden eine kompakte, in religiösen und nationalen Fragen


U)le soll der Kampf um die Ostmark geführt werden?

vor, die darauf schließen lassen, daß das polnische Element besonders in der
Stadt Posen selbst in starker Zunahme begriffen ist. So oft ich in den letzten
Jahren Gelegenheit hatte, mit einem Bekannten, der nach längerer Abwesenheit
einmal hierher zurückgekehrt war, über unsre Verhältnisse zu sprechen, mußte
ich stets die Bemerkung hören: „Zu meiner Zeit machte Posen viel mehr als
jetzt den Eindruck einer deutschen Stadt. Es muß jetzt hier weit mehr Polen
geben als Deutsche — man hört ja viel mehr polnisch als deutsch sprechen."
Stimmt diese Beobachtung mit den Thatsachen überein? Die folgenden Zahlen
werden uns darüber belehren.

Nach der Volkszählung vom 2. Dezember 1895 waren unter den (rund)
73200 Einwohnern unsrer Stadt 43593 Katholiken, 23 745 Evangelische und
5810 Juden.

Von diesen waren ihrer Muttersprache nach Polen 38 296, Deutsche 34049,
und etwa 500 Zweisprachige. Zieht man nun von den 43593 Katholiken die
Polen mit 38296 ab, so verbleiben rund 5300 deutsche Katholiken, sodaß
also auf je 1000 katholische Einwohner etwa 878 Polen und 122 Deutsche
entfallen.

Seit 1871 hat sich nun das Zahlenverhältnis der Konfessionen in der
Stadt Posen folgendermaßen entwickelt:

KatholikenEvangelische
(lüll. Dissidenten)JudenGesamtzahl
(lüll. Militär
1871 .. . 2373330368 ,725556374
1880 ,. . 3571722882706365713
1885 ,, , 3796023408671968318
1895 ., , 4359323745581073239

Ergebnis: In fünfundzwanzig Jahren hat die Zahl der Katholiken um
14860, die der Evangelischen (mit Einschluß der etwa 100 christlichen Dissi¬
denten) nur um 3377 zugenommen. Die der Juden ist sogar um 1445 zurück¬
gegangen. Nimmt man an, daß auch 1871 unter den Katholiken etwa 12 Pro¬
zent Deutsche waren, und rechnet man die Evangelischen sämtlich, die Juden
zum weitaus größten Teil der deutsch redenden Bevölkerung zu, so ergiebt
sich in runden Zahlen folgendes Verhältnis der Nationalitäten zu einander:

1871 , . , 25300 Polen und 31000 Deutsche---56300
1895 . , , 38300 Polen und 34000 Deutsche---72300.

Mit andern Worten: Auf je tausend Einwohner aller drei Konfessionen
kamen:

1871 , , , 450 Polen und 550 Deutsche
1895 , . . 530 Polen und 470 Deutsche,

Diese Verschiebung zu Gunsten der Polen wird aber von noch viel größerer
Tragweite, wenn man sich folgende Thatsachen vergegenwärtigt.

Die Polen bilden eine kompakte, in religiösen und nationalen Fragen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0359" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227261"/>
          <fw type="header" place="top"> U)le soll der Kampf um die Ostmark geführt werden?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1220" prev="#ID_1219"> vor, die darauf schließen lassen, daß das polnische Element besonders in der<lb/>
Stadt Posen selbst in starker Zunahme begriffen ist. So oft ich in den letzten<lb/>
Jahren Gelegenheit hatte, mit einem Bekannten, der nach längerer Abwesenheit<lb/>
einmal hierher zurückgekehrt war, über unsre Verhältnisse zu sprechen, mußte<lb/>
ich stets die Bemerkung hören: &#x201E;Zu meiner Zeit machte Posen viel mehr als<lb/>
jetzt den Eindruck einer deutschen Stadt. Es muß jetzt hier weit mehr Polen<lb/>
geben als Deutsche &#x2014; man hört ja viel mehr polnisch als deutsch sprechen."<lb/>
Stimmt diese Beobachtung mit den Thatsachen überein? Die folgenden Zahlen<lb/>
werden uns darüber belehren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1221"> Nach der Volkszählung vom 2. Dezember 1895 waren unter den (rund)<lb/>
73200 Einwohnern unsrer Stadt 43593 Katholiken, 23 745 Evangelische und<lb/>
5810 Juden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1222"> Von diesen waren ihrer Muttersprache nach Polen 38 296, Deutsche 34049,<lb/>
und etwa 500 Zweisprachige. Zieht man nun von den 43593 Katholiken die<lb/>
Polen mit 38296 ab, so verbleiben rund 5300 deutsche Katholiken, sodaß<lb/>
also auf je 1000 katholische Einwohner etwa 878 Polen und 122 Deutsche<lb/>
entfallen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1223"> Seit 1871 hat sich nun das Zahlenverhältnis der Konfessionen in der<lb/>
Stadt Posen folgendermaßen entwickelt:</p><lb/>
          <list>
            <item> KatholikenEvangelische<lb/>
(lüll. Dissidenten)JudenGesamtzahl<lb/>
(lüll. Militär</item>
            <item> 1871 ..  . 2373330368 ,725556374</item>
            <item> 1880 ,.  . 3571722882706365713</item>
            <item> 1885 ,,  , 3796023408671968318</item>
            <item> 1895 .,  , 4359323745581073239</item>
          </list><lb/>
          <p xml:id="ID_1224" next="#ID_1225"> Ergebnis: In fünfundzwanzig Jahren hat die Zahl der Katholiken um<lb/>
14860, die der Evangelischen (mit Einschluß der etwa 100 christlichen Dissi¬<lb/>
denten) nur um 3377 zugenommen. Die der Juden ist sogar um 1445 zurück¬<lb/>
gegangen. Nimmt man an, daß auch 1871 unter den Katholiken etwa 12 Pro¬<lb/>
zent Deutsche waren, und rechnet man die Evangelischen sämtlich, die Juden<lb/>
zum weitaus größten Teil der deutsch redenden Bevölkerung zu, so ergiebt<lb/>
sich in runden Zahlen folgendes Verhältnis der Nationalitäten zu einander:</p><lb/>
          <list>
            <item> 1871 , . , 25300 Polen und 31000 Deutsche---56300</item>
            <item> 1895  .  ,  ,  38300 Polen und 34000 Deutsche---72300.</item>
          </list><lb/>
          <p xml:id="ID_1225" prev="#ID_1224"> Mit andern Worten: Auf je tausend Einwohner aller drei Konfessionen<lb/>
kamen:</p><lb/>
          <list>
            <item> 1871  ,  ,  , 450 Polen und 550 Deutsche</item>
            <item> 1895  ,  .  . 530 Polen und 470 Deutsche,</item>
          </list><lb/>
          <p xml:id="ID_1226"> Diese Verschiebung zu Gunsten der Polen wird aber von noch viel größerer<lb/>
Tragweite, wenn man sich folgende Thatsachen vergegenwärtigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1227" next="#ID_1228"> Die Polen bilden eine kompakte, in religiösen und nationalen Fragen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0359] U)le soll der Kampf um die Ostmark geführt werden? vor, die darauf schließen lassen, daß das polnische Element besonders in der Stadt Posen selbst in starker Zunahme begriffen ist. So oft ich in den letzten Jahren Gelegenheit hatte, mit einem Bekannten, der nach längerer Abwesenheit einmal hierher zurückgekehrt war, über unsre Verhältnisse zu sprechen, mußte ich stets die Bemerkung hören: „Zu meiner Zeit machte Posen viel mehr als jetzt den Eindruck einer deutschen Stadt. Es muß jetzt hier weit mehr Polen geben als Deutsche — man hört ja viel mehr polnisch als deutsch sprechen." Stimmt diese Beobachtung mit den Thatsachen überein? Die folgenden Zahlen werden uns darüber belehren. Nach der Volkszählung vom 2. Dezember 1895 waren unter den (rund) 73200 Einwohnern unsrer Stadt 43593 Katholiken, 23 745 Evangelische und 5810 Juden. Von diesen waren ihrer Muttersprache nach Polen 38 296, Deutsche 34049, und etwa 500 Zweisprachige. Zieht man nun von den 43593 Katholiken die Polen mit 38296 ab, so verbleiben rund 5300 deutsche Katholiken, sodaß also auf je 1000 katholische Einwohner etwa 878 Polen und 122 Deutsche entfallen. Seit 1871 hat sich nun das Zahlenverhältnis der Konfessionen in der Stadt Posen folgendermaßen entwickelt: KatholikenEvangelische (lüll. Dissidenten)JudenGesamtzahl (lüll. Militär 1871 .. . 2373330368 ,725556374 1880 ,. . 3571722882706365713 1885 ,, , 3796023408671968318 1895 ., , 4359323745581073239 Ergebnis: In fünfundzwanzig Jahren hat die Zahl der Katholiken um 14860, die der Evangelischen (mit Einschluß der etwa 100 christlichen Dissi¬ denten) nur um 3377 zugenommen. Die der Juden ist sogar um 1445 zurück¬ gegangen. Nimmt man an, daß auch 1871 unter den Katholiken etwa 12 Pro¬ zent Deutsche waren, und rechnet man die Evangelischen sämtlich, die Juden zum weitaus größten Teil der deutsch redenden Bevölkerung zu, so ergiebt sich in runden Zahlen folgendes Verhältnis der Nationalitäten zu einander: 1871 , . , 25300 Polen und 31000 Deutsche---56300 1895 . , , 38300 Polen und 34000 Deutsche---72300. Mit andern Worten: Auf je tausend Einwohner aller drei Konfessionen kamen: 1871 , , , 450 Polen und 550 Deutsche 1895 , . . 530 Polen und 470 Deutsche, Diese Verschiebung zu Gunsten der Polen wird aber von noch viel größerer Tragweite, wenn man sich folgende Thatsachen vergegenwärtigt. Die Polen bilden eine kompakte, in religiösen und nationalen Fragen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/359
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/359>, abgerufen am 09.01.2025.