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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Sozialdemokratie und Flotte

zu einer grundlegenden Umwälzung der Verhältnisse, zur sozialen Revolution
sühren. Aber das ist jedenfalls der Weg einer geregelten Entwicklung unter
möglichster Linderung des letzten Zusammenbruchs, währenddem der Weg der
Kolonialpolitik gerade zu einer maßlosen Steigerung der Wucht des endlichen
Zusammenbruchs dieser wahnwitzigen Wirtschaftsweise, zu einer ungeheuern
Katastrophe, zu einem Eude mit Schrecke" führt. Entweder soziale Reform
und soziale Revolution, oder Weltkrisis und soziale Revolution!
So steht die Entscheidung. Die Regierung und das Kapital wählen den letzten
Weg. Wir stehen vor ereignisschweren Tagen!"

Da haben wir die "gemauserten" Sozialdemokraten, die verdienten Arbeiter¬
freunde, die kein Mensch das Recht haben soll, vaterlandslose Gesellen zu nennen!
Ihr Ziel bleibt die Revolution, und nationale Interessen sind ihnen Unsinn!

In einer kleinen Schrift: "Der nationale Kampf gegen die Sozialdemokratie"
(Leipzig, Grunow) hat im vorigen Sommer Max Lorenz -- ein sich, wie es
scheint, wirklich zu nüchternem Urteil mausernder jugendlicher Schildträger des
Träumers Naumann -- in ganz vortrefflicher Weise die Stellung der Sozial¬
demokratie zur Flottenfrage gekennzeichnet. Die sozialdemokratische Taktik geht
nach ihm dahin: "Man sammelt allen Oppositionsstoff, der sich in einem
halben Jahrhundert aufgehäuft hat. Die sozialistische und die bürgerliche
Demokratie schließen ihr Bündnis. Das vereinigte Heer richtet einen Stoß
gegen die Stelle, die den Lebenspuukt, die Seele des Reichs bedeutet. Nun
wäre es aber zwecklos, unmöglich, gegen die Monarchie, gegen den Monarchen
offiziell den Stoß zu richten. Das machen in der Form die Gefolgsleute
doch nicht mit. Der Schein der Gesetzmäßigkeit, die Form des Parlamentarismus
muß gewahrt werden. Darum kämpft man formell nicht gegen den Monarchen,
sondern gegen die Pläne des Monarchen, gegen die Marinepläne. Das drückt
Schönlcmk bekanntlich so aus: "Die Marinepolitik und der Kampf gegen das
persönliche Regiment sind innig Verbünde", sie Hunger ursachlich zusammen,
und sie werden die Wahlparole sein."" Was der Kaiser als die Politik des
"Größeren Deutschlands" bezeichnet habe, sagt Lorenz an einer andern Stelle,
das gebe am letzten Ende die Möglichkeit, die unsre Zeit bewegende "soziale
Frage" zu "lösen." Die soziale Frage laufe in eine nationale aus, und es
sei die auswärtige Politik, wodurch die Frage der innern Reformarbeit bestimmt
und bedingt werde. Und weiter klagt er: "Das aber ist das große und wahre
Unglück der armen Volksklassen, daß sie nicht nur in materieller Not sind,
sondern daß diese Not auch politische Einsichtslosigkeit und geistige Ver¬
blendung im Gefolge hat. Infolge solcher Einsichtslosigkeit verkeimen sie nicht
nur die Existenznvtwendigkeiten des Staats und werden so staatsgefährlich;
ihre Verblendung verschließt ihnen auch den einzigen Rettungsweg aus ihrer
sozialen Not, läßt sie nicht erkennen, daß soziale Reformen im Innern ohne
die Weiterentwicklung nationaler Macht nach außen hin ein Unding ist. So


Sozialdemokratie und Flotte

zu einer grundlegenden Umwälzung der Verhältnisse, zur sozialen Revolution
sühren. Aber das ist jedenfalls der Weg einer geregelten Entwicklung unter
möglichster Linderung des letzten Zusammenbruchs, währenddem der Weg der
Kolonialpolitik gerade zu einer maßlosen Steigerung der Wucht des endlichen
Zusammenbruchs dieser wahnwitzigen Wirtschaftsweise, zu einer ungeheuern
Katastrophe, zu einem Eude mit Schrecke» führt. Entweder soziale Reform
und soziale Revolution, oder Weltkrisis und soziale Revolution!
So steht die Entscheidung. Die Regierung und das Kapital wählen den letzten
Weg. Wir stehen vor ereignisschweren Tagen!"

Da haben wir die „gemauserten" Sozialdemokraten, die verdienten Arbeiter¬
freunde, die kein Mensch das Recht haben soll, vaterlandslose Gesellen zu nennen!
Ihr Ziel bleibt die Revolution, und nationale Interessen sind ihnen Unsinn!

In einer kleinen Schrift: „Der nationale Kampf gegen die Sozialdemokratie"
(Leipzig, Grunow) hat im vorigen Sommer Max Lorenz — ein sich, wie es
scheint, wirklich zu nüchternem Urteil mausernder jugendlicher Schildträger des
Träumers Naumann — in ganz vortrefflicher Weise die Stellung der Sozial¬
demokratie zur Flottenfrage gekennzeichnet. Die sozialdemokratische Taktik geht
nach ihm dahin: „Man sammelt allen Oppositionsstoff, der sich in einem
halben Jahrhundert aufgehäuft hat. Die sozialistische und die bürgerliche
Demokratie schließen ihr Bündnis. Das vereinigte Heer richtet einen Stoß
gegen die Stelle, die den Lebenspuukt, die Seele des Reichs bedeutet. Nun
wäre es aber zwecklos, unmöglich, gegen die Monarchie, gegen den Monarchen
offiziell den Stoß zu richten. Das machen in der Form die Gefolgsleute
doch nicht mit. Der Schein der Gesetzmäßigkeit, die Form des Parlamentarismus
muß gewahrt werden. Darum kämpft man formell nicht gegen den Monarchen,
sondern gegen die Pläne des Monarchen, gegen die Marinepläne. Das drückt
Schönlcmk bekanntlich so aus: »Die Marinepolitik und der Kampf gegen das
persönliche Regiment sind innig Verbünde», sie Hunger ursachlich zusammen,
und sie werden die Wahlparole sein.«" Was der Kaiser als die Politik des
„Größeren Deutschlands" bezeichnet habe, sagt Lorenz an einer andern Stelle,
das gebe am letzten Ende die Möglichkeit, die unsre Zeit bewegende „soziale
Frage" zu „lösen." Die soziale Frage laufe in eine nationale aus, und es
sei die auswärtige Politik, wodurch die Frage der innern Reformarbeit bestimmt
und bedingt werde. Und weiter klagt er: „Das aber ist das große und wahre
Unglück der armen Volksklassen, daß sie nicht nur in materieller Not sind,
sondern daß diese Not auch politische Einsichtslosigkeit und geistige Ver¬
blendung im Gefolge hat. Infolge solcher Einsichtslosigkeit verkeimen sie nicht
nur die Existenznvtwendigkeiten des Staats und werden so staatsgefährlich;
ihre Verblendung verschließt ihnen auch den einzigen Rettungsweg aus ihrer
sozialen Not, läßt sie nicht erkennen, daß soziale Reformen im Innern ohne
die Weiterentwicklung nationaler Macht nach außen hin ein Unding ist. So


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[0353] Sozialdemokratie und Flotte zu einer grundlegenden Umwälzung der Verhältnisse, zur sozialen Revolution sühren. Aber das ist jedenfalls der Weg einer geregelten Entwicklung unter möglichster Linderung des letzten Zusammenbruchs, währenddem der Weg der Kolonialpolitik gerade zu einer maßlosen Steigerung der Wucht des endlichen Zusammenbruchs dieser wahnwitzigen Wirtschaftsweise, zu einer ungeheuern Katastrophe, zu einem Eude mit Schrecke» führt. Entweder soziale Reform und soziale Revolution, oder Weltkrisis und soziale Revolution! So steht die Entscheidung. Die Regierung und das Kapital wählen den letzten Weg. Wir stehen vor ereignisschweren Tagen!" Da haben wir die „gemauserten" Sozialdemokraten, die verdienten Arbeiter¬ freunde, die kein Mensch das Recht haben soll, vaterlandslose Gesellen zu nennen! Ihr Ziel bleibt die Revolution, und nationale Interessen sind ihnen Unsinn! In einer kleinen Schrift: „Der nationale Kampf gegen die Sozialdemokratie" (Leipzig, Grunow) hat im vorigen Sommer Max Lorenz — ein sich, wie es scheint, wirklich zu nüchternem Urteil mausernder jugendlicher Schildträger des Träumers Naumann — in ganz vortrefflicher Weise die Stellung der Sozial¬ demokratie zur Flottenfrage gekennzeichnet. Die sozialdemokratische Taktik geht nach ihm dahin: „Man sammelt allen Oppositionsstoff, der sich in einem halben Jahrhundert aufgehäuft hat. Die sozialistische und die bürgerliche Demokratie schließen ihr Bündnis. Das vereinigte Heer richtet einen Stoß gegen die Stelle, die den Lebenspuukt, die Seele des Reichs bedeutet. Nun wäre es aber zwecklos, unmöglich, gegen die Monarchie, gegen den Monarchen offiziell den Stoß zu richten. Das machen in der Form die Gefolgsleute doch nicht mit. Der Schein der Gesetzmäßigkeit, die Form des Parlamentarismus muß gewahrt werden. Darum kämpft man formell nicht gegen den Monarchen, sondern gegen die Pläne des Monarchen, gegen die Marinepläne. Das drückt Schönlcmk bekanntlich so aus: »Die Marinepolitik und der Kampf gegen das persönliche Regiment sind innig Verbünde», sie Hunger ursachlich zusammen, und sie werden die Wahlparole sein.«" Was der Kaiser als die Politik des „Größeren Deutschlands" bezeichnet habe, sagt Lorenz an einer andern Stelle, das gebe am letzten Ende die Möglichkeit, die unsre Zeit bewegende „soziale Frage" zu „lösen." Die soziale Frage laufe in eine nationale aus, und es sei die auswärtige Politik, wodurch die Frage der innern Reformarbeit bestimmt und bedingt werde. Und weiter klagt er: „Das aber ist das große und wahre Unglück der armen Volksklassen, daß sie nicht nur in materieller Not sind, sondern daß diese Not auch politische Einsichtslosigkeit und geistige Ver¬ blendung im Gefolge hat. Infolge solcher Einsichtslosigkeit verkeimen sie nicht nur die Existenznvtwendigkeiten des Staats und werden so staatsgefährlich; ihre Verblendung verschließt ihnen auch den einzigen Rettungsweg aus ihrer sozialen Not, läßt sie nicht erkennen, daß soziale Reformen im Innern ohne die Weiterentwicklung nationaler Macht nach außen hin ein Unding ist. So

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/353>, abgerufen am 09.01.2025.