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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Sozialdemokratie und Flotte

den chinesischen Bordellen verwendet." Blieben aber die 530 Millionen in
den Händen des deutschen Volkes, so bekämen die Konfektionsarbeiter, die
Textilarbeiter was zu thun, der Schneider, der Schuhmacher, der Bäcker, der
Krämer, der Metzger! "Ist es wichtiger, daß jeder im Volke einen Rock aus
dem Leibe hat -- oder daß die Schiffe dicke Panzerplatten erhalten? So
steht es mit der "Beschäftigung," welche die Marinebauteu gewähren und mit
ihrem Nutzen für die Arbeiter."

Das ist nun freilich schon ganz unverdauliches Gefasel, aber weil es seiner
Wirkung sicher ist, mußte es hier eine Stelle finden. Was noch kommt, ist
eher noch konfuser, aber wir bitten auch dafür um etwas geduldige Aufmerk¬
samkeit. Das handelspolitische Problem der Zeit wird zunächst mit folgenden
Variationen bekannter Melodien abgethan: "Die ganze Not besteht also darin,
daß die reichen deutschen Kapitalisten nicht mehr wissen, wo sie ihren Neich-
tumsüberfluß hinthun sollen -- statt dessen stellt man die Sache so dar, als
ob die Schuld das deutsche Volk treffe, weil es uicht Geld genug hat, um die
Ware" für sich zu kaufen. Beutel das Volk nicht so jämmerlich aus, so wird
es auch mehr kaufen können! .... Die ganze Kolonialpolitik -- gemeint ist
immer die neue Seehandelspolitik überhaupt -- besteht darin, daß man dem
Volke von seinem kargen Einkommen Millionen abpreßt, um den Reichtums¬
überfluß der Kapitalisten in fremden Ländern profitabel unterbringen zu können.
Die Kapitalistenklasse ist interessirt an dieser Politik, nicht nur weil es ihr
daran liegt, ihr Kapital unterzubringen, sondern weil sie interessirt ist an der
Aufrechterhaltung der Ausbeutung." "Anders das arbeitende und ausgebeutete
Volk. Statt die Marinepläne und Kolonialabenteuer zu unterstützen, hat es
vielmehr dafür zu sorgen, daß seine eigne Lage verbessert wird. Will man
schon vom nationalen Interesse reden, so liegt gerade darin das
größte nationale Interesse."

Auf dem Boden der kapitalistischen Wirtschaft glaubt Parvus vorläufig
folgendes empfehlen zu sollen: "Keine kostspieligen Panzerbauten! Keine Volks-
belastnng! Weg mit dem Seemachtskitzel! Keine kolonialen Abenteuer! Keine
Kriegsprovokationen! Aufrechterhaltung des Friedens. Bündnis mit England.
Handelsvertrag mit Nordamerika. Abschaffung der Getreidezölle. Abschaffung
der Verbrauchssteuern. Einführung der Reichseinkommensteuer. Besserung der
Lage der Staatsarbeiter und Beamten. Achtstündiger Normalarbeitstag. Siche¬
rung der Koalitionsfreiheit." Aber über diesen Vorschlägen soll man das Ziel
doch ja nicht aus dem Auge verlieren, in dem das Wesen der Sozialdemokratie
besteht. Parvus fügt deshalb wohlweislich am Schluß seiner ganzen Schrift
das gehörige Memento hinzu: "Wir sind nun freilich weit davon entfernt,
anzunehmen, daß durch diese Maßregeln die Profitmacherei der Kapitalisten
erheblich gekürzt oder gar die kapitalistische Produktion geregelt werde. Das
Grundübel der Ausbeutung der Massen durch wenige bleibt bestehen und muß


Sozialdemokratie und Flotte

den chinesischen Bordellen verwendet." Blieben aber die 530 Millionen in
den Händen des deutschen Volkes, so bekämen die Konfektionsarbeiter, die
Textilarbeiter was zu thun, der Schneider, der Schuhmacher, der Bäcker, der
Krämer, der Metzger! „Ist es wichtiger, daß jeder im Volke einen Rock aus
dem Leibe hat — oder daß die Schiffe dicke Panzerplatten erhalten? So
steht es mit der »Beschäftigung,« welche die Marinebauteu gewähren und mit
ihrem Nutzen für die Arbeiter."

Das ist nun freilich schon ganz unverdauliches Gefasel, aber weil es seiner
Wirkung sicher ist, mußte es hier eine Stelle finden. Was noch kommt, ist
eher noch konfuser, aber wir bitten auch dafür um etwas geduldige Aufmerk¬
samkeit. Das handelspolitische Problem der Zeit wird zunächst mit folgenden
Variationen bekannter Melodien abgethan: „Die ganze Not besteht also darin,
daß die reichen deutschen Kapitalisten nicht mehr wissen, wo sie ihren Neich-
tumsüberfluß hinthun sollen — statt dessen stellt man die Sache so dar, als
ob die Schuld das deutsche Volk treffe, weil es uicht Geld genug hat, um die
Ware» für sich zu kaufen. Beutel das Volk nicht so jämmerlich aus, so wird
es auch mehr kaufen können! .... Die ganze Kolonialpolitik — gemeint ist
immer die neue Seehandelspolitik überhaupt — besteht darin, daß man dem
Volke von seinem kargen Einkommen Millionen abpreßt, um den Reichtums¬
überfluß der Kapitalisten in fremden Ländern profitabel unterbringen zu können.
Die Kapitalistenklasse ist interessirt an dieser Politik, nicht nur weil es ihr
daran liegt, ihr Kapital unterzubringen, sondern weil sie interessirt ist an der
Aufrechterhaltung der Ausbeutung." „Anders das arbeitende und ausgebeutete
Volk. Statt die Marinepläne und Kolonialabenteuer zu unterstützen, hat es
vielmehr dafür zu sorgen, daß seine eigne Lage verbessert wird. Will man
schon vom nationalen Interesse reden, so liegt gerade darin das
größte nationale Interesse."

Auf dem Boden der kapitalistischen Wirtschaft glaubt Parvus vorläufig
folgendes empfehlen zu sollen: „Keine kostspieligen Panzerbauten! Keine Volks-
belastnng! Weg mit dem Seemachtskitzel! Keine kolonialen Abenteuer! Keine
Kriegsprovokationen! Aufrechterhaltung des Friedens. Bündnis mit England.
Handelsvertrag mit Nordamerika. Abschaffung der Getreidezölle. Abschaffung
der Verbrauchssteuern. Einführung der Reichseinkommensteuer. Besserung der
Lage der Staatsarbeiter und Beamten. Achtstündiger Normalarbeitstag. Siche¬
rung der Koalitionsfreiheit." Aber über diesen Vorschlägen soll man das Ziel
doch ja nicht aus dem Auge verlieren, in dem das Wesen der Sozialdemokratie
besteht. Parvus fügt deshalb wohlweislich am Schluß seiner ganzen Schrift
das gehörige Memento hinzu: „Wir sind nun freilich weit davon entfernt,
anzunehmen, daß durch diese Maßregeln die Profitmacherei der Kapitalisten
erheblich gekürzt oder gar die kapitalistische Produktion geregelt werde. Das
Grundübel der Ausbeutung der Massen durch wenige bleibt bestehen und muß


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[0352] Sozialdemokratie und Flotte den chinesischen Bordellen verwendet." Blieben aber die 530 Millionen in den Händen des deutschen Volkes, so bekämen die Konfektionsarbeiter, die Textilarbeiter was zu thun, der Schneider, der Schuhmacher, der Bäcker, der Krämer, der Metzger! „Ist es wichtiger, daß jeder im Volke einen Rock aus dem Leibe hat — oder daß die Schiffe dicke Panzerplatten erhalten? So steht es mit der »Beschäftigung,« welche die Marinebauteu gewähren und mit ihrem Nutzen für die Arbeiter." Das ist nun freilich schon ganz unverdauliches Gefasel, aber weil es seiner Wirkung sicher ist, mußte es hier eine Stelle finden. Was noch kommt, ist eher noch konfuser, aber wir bitten auch dafür um etwas geduldige Aufmerk¬ samkeit. Das handelspolitische Problem der Zeit wird zunächst mit folgenden Variationen bekannter Melodien abgethan: „Die ganze Not besteht also darin, daß die reichen deutschen Kapitalisten nicht mehr wissen, wo sie ihren Neich- tumsüberfluß hinthun sollen — statt dessen stellt man die Sache so dar, als ob die Schuld das deutsche Volk treffe, weil es uicht Geld genug hat, um die Ware» für sich zu kaufen. Beutel das Volk nicht so jämmerlich aus, so wird es auch mehr kaufen können! .... Die ganze Kolonialpolitik — gemeint ist immer die neue Seehandelspolitik überhaupt — besteht darin, daß man dem Volke von seinem kargen Einkommen Millionen abpreßt, um den Reichtums¬ überfluß der Kapitalisten in fremden Ländern profitabel unterbringen zu können. Die Kapitalistenklasse ist interessirt an dieser Politik, nicht nur weil es ihr daran liegt, ihr Kapital unterzubringen, sondern weil sie interessirt ist an der Aufrechterhaltung der Ausbeutung." „Anders das arbeitende und ausgebeutete Volk. Statt die Marinepläne und Kolonialabenteuer zu unterstützen, hat es vielmehr dafür zu sorgen, daß seine eigne Lage verbessert wird. Will man schon vom nationalen Interesse reden, so liegt gerade darin das größte nationale Interesse." Auf dem Boden der kapitalistischen Wirtschaft glaubt Parvus vorläufig folgendes empfehlen zu sollen: „Keine kostspieligen Panzerbauten! Keine Volks- belastnng! Weg mit dem Seemachtskitzel! Keine kolonialen Abenteuer! Keine Kriegsprovokationen! Aufrechterhaltung des Friedens. Bündnis mit England. Handelsvertrag mit Nordamerika. Abschaffung der Getreidezölle. Abschaffung der Verbrauchssteuern. Einführung der Reichseinkommensteuer. Besserung der Lage der Staatsarbeiter und Beamten. Achtstündiger Normalarbeitstag. Siche¬ rung der Koalitionsfreiheit." Aber über diesen Vorschlägen soll man das Ziel doch ja nicht aus dem Auge verlieren, in dem das Wesen der Sozialdemokratie besteht. Parvus fügt deshalb wohlweislich am Schluß seiner ganzen Schrift das gehörige Memento hinzu: „Wir sind nun freilich weit davon entfernt, anzunehmen, daß durch diese Maßregeln die Profitmacherei der Kapitalisten erheblich gekürzt oder gar die kapitalistische Produktion geregelt werde. Das Grundübel der Ausbeutung der Massen durch wenige bleibt bestehen und muß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/352>, abgerufen am 09.01.2025.