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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Sozialdemokratie und Flotte

"und ihre Fracht ist gesichert." Und um den Großhändlern die um ein paar
Pfennige teurere Fracht zu ersparen, "zu diesem Zweck soll das deutsche Volk
Hunderte und abermals Hunderte von Millionen für eine Kriegsflotte aus¬
geben!" "Wie die Landarmee mit ihren Kanonen und Flinten, so
hat auch die Kriegsmarine mit ihren Granaten und Torpedos nur
den einen Zweck: Tod und Verderben zu bereiten. Man führt die
Soldaten zu Land wie zu Wasser zur Schlachtbank -- das ist
alles. Das eine mal Kanonenfutter, das andre -- Futter für die
Haifische." Deutschland solle ruhig "England die Kosten des Seekriegs"
überlassen, um selbst auf dem Festlande die Hände frei zu halten, statt
Nußland "als Hausknecht" zu dienen. Und was haben die Arbeiter
von der Flotte? Der Schutz der Deutschen im Ausland ist nur ein Vor¬
wand; "die Kriegsschiffe gehen nach Afrika und Asien, um die Eingebornen
anzugreifen, ihnen ihr Land zu rauben und sie selbst zu unterjochen."
Ganz scharf geht Parvus gegen die Behauptung vor, die Arbeiter fänden
durch den Schiffsbau erwünschte Arbeitsgelegenheit. Das könne man von
jeder Geldausgabe sagen. "Darin liegt ja die Macht und der Fluch des
Geldes, daß, wer es hat, damit nach seiner Laune Arbeiter beschäftigt, indem
er diese oder jene Warenbestellungen macht. Der reiche Protz vermag nicht
nur seine eigne Zeit totzuschlagen, sondern auch die Arbeitszeit vieler recht¬
schaffner Leute zu vergeuden. Wer Champagner säuft, bezahlt den Gastwirt,
den Kellner, den Weinhändler, den Flaschenfabrikanten usw. Stets behaupten
deshalb die Reichen, es sei zum Wohle des Volks, wenn sie sich den Bauch
mit Leckereien vollstopfen. Ähnlich der Staat bei jeder Verschwendung von
Geld und Arbeit des Volkes. Was mau dabei nicht sehen will, ist, daß das
Geld auch in den Händen des armen Mannes, des Steuerzahlers nicht ver¬
rostet. Der Arbeiter, der Bauer wüßten schon, was sie mit ihrem Geld an¬
fangen sollten, wenn der Staat es ihnen nicht als Verbrauchssteuern und
sonstige Abgaben abgenommen hätte. Den Massen des deutschen Volks fehlt
schon mancherlei, es ist mancherlei, was die deutsche Arbeiter-, Handwerker-
uud Bauernfamilie braucht und nicht hat." Und nun rechnet Parvus den
nrmeu Leuten in bekannter Manier vor, daß die Flottenvorlage in den sieben
Jahren ganze 10 Mark "per Kopf der Bevölkerung" verlange, das mache "per
Familie durchschnittlich" 40 Mark. "Hütte man nur diese 40 Mark nicht an
den Staat abzuliefern gehabt, so würde man sich dafür vielleicht ein Kleidungs¬
stück angeschafft haben, für das sich während dieser sieben Jahre wohl in jeder
Familie ein Bedarf herausstelle" würde." Erhalte aber die Regierung die
vielen Millionen für Marinezwccke, so wanderten diese Geldsummen in die
Kruppschen Hütten, in die großen Schiffswerften. Sie würden für dicke Stahl¬
platten, Kanonen usw., "zur Bezahlung der Rechnungen der deutschen Marine¬
offiziere in den chinesischen Theehäusern und der deutschen Marinesoldaten in


Sozialdemokratie und Flotte

«und ihre Fracht ist gesichert." Und um den Großhändlern die um ein paar
Pfennige teurere Fracht zu ersparen, „zu diesem Zweck soll das deutsche Volk
Hunderte und abermals Hunderte von Millionen für eine Kriegsflotte aus¬
geben!" „Wie die Landarmee mit ihren Kanonen und Flinten, so
hat auch die Kriegsmarine mit ihren Granaten und Torpedos nur
den einen Zweck: Tod und Verderben zu bereiten. Man führt die
Soldaten zu Land wie zu Wasser zur Schlachtbank — das ist
alles. Das eine mal Kanonenfutter, das andre — Futter für die
Haifische." Deutschland solle ruhig „England die Kosten des Seekriegs"
überlassen, um selbst auf dem Festlande die Hände frei zu halten, statt
Nußland „als Hausknecht" zu dienen. Und was haben die Arbeiter
von der Flotte? Der Schutz der Deutschen im Ausland ist nur ein Vor¬
wand; „die Kriegsschiffe gehen nach Afrika und Asien, um die Eingebornen
anzugreifen, ihnen ihr Land zu rauben und sie selbst zu unterjochen."
Ganz scharf geht Parvus gegen die Behauptung vor, die Arbeiter fänden
durch den Schiffsbau erwünschte Arbeitsgelegenheit. Das könne man von
jeder Geldausgabe sagen. „Darin liegt ja die Macht und der Fluch des
Geldes, daß, wer es hat, damit nach seiner Laune Arbeiter beschäftigt, indem
er diese oder jene Warenbestellungen macht. Der reiche Protz vermag nicht
nur seine eigne Zeit totzuschlagen, sondern auch die Arbeitszeit vieler recht¬
schaffner Leute zu vergeuden. Wer Champagner säuft, bezahlt den Gastwirt,
den Kellner, den Weinhändler, den Flaschenfabrikanten usw. Stets behaupten
deshalb die Reichen, es sei zum Wohle des Volks, wenn sie sich den Bauch
mit Leckereien vollstopfen. Ähnlich der Staat bei jeder Verschwendung von
Geld und Arbeit des Volkes. Was mau dabei nicht sehen will, ist, daß das
Geld auch in den Händen des armen Mannes, des Steuerzahlers nicht ver¬
rostet. Der Arbeiter, der Bauer wüßten schon, was sie mit ihrem Geld an¬
fangen sollten, wenn der Staat es ihnen nicht als Verbrauchssteuern und
sonstige Abgaben abgenommen hätte. Den Massen des deutschen Volks fehlt
schon mancherlei, es ist mancherlei, was die deutsche Arbeiter-, Handwerker-
uud Bauernfamilie braucht und nicht hat." Und nun rechnet Parvus den
nrmeu Leuten in bekannter Manier vor, daß die Flottenvorlage in den sieben
Jahren ganze 10 Mark „per Kopf der Bevölkerung" verlange, das mache „per
Familie durchschnittlich" 40 Mark. „Hütte man nur diese 40 Mark nicht an
den Staat abzuliefern gehabt, so würde man sich dafür vielleicht ein Kleidungs¬
stück angeschafft haben, für das sich während dieser sieben Jahre wohl in jeder
Familie ein Bedarf herausstelle» würde." Erhalte aber die Regierung die
vielen Millionen für Marinezwccke, so wanderten diese Geldsummen in die
Kruppschen Hütten, in die großen Schiffswerften. Sie würden für dicke Stahl¬
platten, Kanonen usw., „zur Bezahlung der Rechnungen der deutschen Marine¬
offiziere in den chinesischen Theehäusern und der deutschen Marinesoldaten in


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[0351] Sozialdemokratie und Flotte «und ihre Fracht ist gesichert." Und um den Großhändlern die um ein paar Pfennige teurere Fracht zu ersparen, „zu diesem Zweck soll das deutsche Volk Hunderte und abermals Hunderte von Millionen für eine Kriegsflotte aus¬ geben!" „Wie die Landarmee mit ihren Kanonen und Flinten, so hat auch die Kriegsmarine mit ihren Granaten und Torpedos nur den einen Zweck: Tod und Verderben zu bereiten. Man führt die Soldaten zu Land wie zu Wasser zur Schlachtbank — das ist alles. Das eine mal Kanonenfutter, das andre — Futter für die Haifische." Deutschland solle ruhig „England die Kosten des Seekriegs" überlassen, um selbst auf dem Festlande die Hände frei zu halten, statt Nußland „als Hausknecht" zu dienen. Und was haben die Arbeiter von der Flotte? Der Schutz der Deutschen im Ausland ist nur ein Vor¬ wand; „die Kriegsschiffe gehen nach Afrika und Asien, um die Eingebornen anzugreifen, ihnen ihr Land zu rauben und sie selbst zu unterjochen." Ganz scharf geht Parvus gegen die Behauptung vor, die Arbeiter fänden durch den Schiffsbau erwünschte Arbeitsgelegenheit. Das könne man von jeder Geldausgabe sagen. „Darin liegt ja die Macht und der Fluch des Geldes, daß, wer es hat, damit nach seiner Laune Arbeiter beschäftigt, indem er diese oder jene Warenbestellungen macht. Der reiche Protz vermag nicht nur seine eigne Zeit totzuschlagen, sondern auch die Arbeitszeit vieler recht¬ schaffner Leute zu vergeuden. Wer Champagner säuft, bezahlt den Gastwirt, den Kellner, den Weinhändler, den Flaschenfabrikanten usw. Stets behaupten deshalb die Reichen, es sei zum Wohle des Volks, wenn sie sich den Bauch mit Leckereien vollstopfen. Ähnlich der Staat bei jeder Verschwendung von Geld und Arbeit des Volkes. Was mau dabei nicht sehen will, ist, daß das Geld auch in den Händen des armen Mannes, des Steuerzahlers nicht ver¬ rostet. Der Arbeiter, der Bauer wüßten schon, was sie mit ihrem Geld an¬ fangen sollten, wenn der Staat es ihnen nicht als Verbrauchssteuern und sonstige Abgaben abgenommen hätte. Den Massen des deutschen Volks fehlt schon mancherlei, es ist mancherlei, was die deutsche Arbeiter-, Handwerker- uud Bauernfamilie braucht und nicht hat." Und nun rechnet Parvus den nrmeu Leuten in bekannter Manier vor, daß die Flottenvorlage in den sieben Jahren ganze 10 Mark „per Kopf der Bevölkerung" verlange, das mache „per Familie durchschnittlich" 40 Mark. „Hütte man nur diese 40 Mark nicht an den Staat abzuliefern gehabt, so würde man sich dafür vielleicht ein Kleidungs¬ stück angeschafft haben, für das sich während dieser sieben Jahre wohl in jeder Familie ein Bedarf herausstelle» würde." Erhalte aber die Regierung die vielen Millionen für Marinezwccke, so wanderten diese Geldsummen in die Kruppschen Hütten, in die großen Schiffswerften. Sie würden für dicke Stahl¬ platten, Kanonen usw., „zur Bezahlung der Rechnungen der deutschen Marine¬ offiziere in den chinesischen Theehäusern und der deutschen Marinesoldaten in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/351>, abgerufen am 08.01.2025.