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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Sozialdemokratie und Flotte

dafür wenigstens wieder reger zu machen, was unsre Herren Kathedersozialisten
eigentlich thun, wenn sie bemüht sind, durch ihre immer neuen, immer über¬
triebneren, immer aufregenderen Verurteilungen der bestehenden Wirtschafts- und
Gesellschaftsordnung, sei es auch unwissentlich, die Sozialdemokratie vor dem
ganzen Volke ins Recht zu setzen.

Zuerst trumpft Herr "Parvus" vor dem staunenden Leser die von niemand
bestrittene Thatsache als Neuheit aus, daß neben den "Erscitzbauteu" unter
Umständen auch die dadurch zu ersetzenden "Originale" werden fortbestehen
können, wenn auch in einer niedrigern Verwendungsklasse. Das ist natürlich
"nichts als eine Irreführung des Reichstags und der Öffentlichkeit." Mit
jedem Schiffe, das der Reichstag jetzt bauen läßt, soll er auch schon einen
nach fünfundzwanzig, zwanzig oder fünfzehn Jahren zu bauenden "Doppel¬
gänger" bewilligen, sodaß z. B. "König Wilhelm" Ende des kommenden Jahr¬
hunderts schon sechs Ersatzschiffe haben würde. So werde, meint Herr Parvus,
auf dem Papier der geforderte Sollbestand der Kriegsflotte kaum erreicht,
während er in Wirklichkeit weit überschritten werde. "Ein Kaufmann, der
eine derartige Buchführung gewagt hätte, käme im Falle seiner Insolvenz als
böswilliger Bankerotten ins Loch." Für ganz so dumm, wie der sozialdemo-
kratische Pfiffikus hier annimmt, hat das Neichsmarineamt denn doch den
Reichstag wohl nicht gehalten. Die Frage der Ersatzbauten ist unter Angabe
der Fristen, in denen sie nach dem Urteil der Sachverständigen nötig werden,
offen zur Diskussion gestellt worden, und es wird auf die Einsicht und den
politischen Takt der Neichstagsmehrheit ankommen, ob sie diesen Sachverstän¬
digen mehr vertraut als Herrn Parvus, wenn er meint, die Vorlage stelle
den Grundsatz ans, "daß die Panzerschiffe sich abnutzen, wie ein Wischlappen,
bis zur völligen Unbrauchbarkeit." Natürlich hat auch Parvus seine konstitu¬
tionellen Bedenken. Er ist entrüstet darüber, daß "der Reichstag der Negierung
sieben Blankowechsel ausstellen soll, in welche diese die Kosten in beliebigem
Betrage hineinschreibt." Sein Schlußurteil über die Kosten lautet: "Diese
Ausgaben für die immer weitere Vervollkommnung der Kriegsmarine sind dem
gleich, als wenn man Gold in vollen Säcken ins Meer würfe." Die ganze
Seepolitik ist Unsinn. "Deutschlands Küsten sind gegen feindliche Landungs¬
versuche vollkommen sicher." Und weiter: "Eine Kriegsmarine, wie sie die
Negierung wünscht, würde dem deutschen Volke teurer zu stehen kommen, als
wenn die gesamte Handelsflotte vom Feinde in den Grund gebohrt wäre."
Die Reeber, die großen Export- und Importgeschäfte sollten diese "Versicherungs¬
prämie" selbst zahlen. Aber sie würden sich hüten, denn sie könnten im Falle
des Kriegs ihre Waren dadurch "in Sicherheit bringen, daß sie die deutschell
Schiffe nur zur Ausfuhr gebrauchen und die Einfuhr nach Deutschland auf
fremden Schiffen besorgen lassen." Sie würden "neutrale Schiffe mieten,"
denen sie einen um ein paar Pfennige höhern Frachtsatz per Tonne bezahlen,


Sozialdemokratie und Flotte

dafür wenigstens wieder reger zu machen, was unsre Herren Kathedersozialisten
eigentlich thun, wenn sie bemüht sind, durch ihre immer neuen, immer über¬
triebneren, immer aufregenderen Verurteilungen der bestehenden Wirtschafts- und
Gesellschaftsordnung, sei es auch unwissentlich, die Sozialdemokratie vor dem
ganzen Volke ins Recht zu setzen.

Zuerst trumpft Herr „Parvus" vor dem staunenden Leser die von niemand
bestrittene Thatsache als Neuheit aus, daß neben den „Erscitzbauteu" unter
Umständen auch die dadurch zu ersetzenden „Originale" werden fortbestehen
können, wenn auch in einer niedrigern Verwendungsklasse. Das ist natürlich
„nichts als eine Irreführung des Reichstags und der Öffentlichkeit." Mit
jedem Schiffe, das der Reichstag jetzt bauen läßt, soll er auch schon einen
nach fünfundzwanzig, zwanzig oder fünfzehn Jahren zu bauenden „Doppel¬
gänger" bewilligen, sodaß z. B. „König Wilhelm" Ende des kommenden Jahr¬
hunderts schon sechs Ersatzschiffe haben würde. So werde, meint Herr Parvus,
auf dem Papier der geforderte Sollbestand der Kriegsflotte kaum erreicht,
während er in Wirklichkeit weit überschritten werde. „Ein Kaufmann, der
eine derartige Buchführung gewagt hätte, käme im Falle seiner Insolvenz als
böswilliger Bankerotten ins Loch." Für ganz so dumm, wie der sozialdemo-
kratische Pfiffikus hier annimmt, hat das Neichsmarineamt denn doch den
Reichstag wohl nicht gehalten. Die Frage der Ersatzbauten ist unter Angabe
der Fristen, in denen sie nach dem Urteil der Sachverständigen nötig werden,
offen zur Diskussion gestellt worden, und es wird auf die Einsicht und den
politischen Takt der Neichstagsmehrheit ankommen, ob sie diesen Sachverstän¬
digen mehr vertraut als Herrn Parvus, wenn er meint, die Vorlage stelle
den Grundsatz ans, „daß die Panzerschiffe sich abnutzen, wie ein Wischlappen,
bis zur völligen Unbrauchbarkeit." Natürlich hat auch Parvus seine konstitu¬
tionellen Bedenken. Er ist entrüstet darüber, daß „der Reichstag der Negierung
sieben Blankowechsel ausstellen soll, in welche diese die Kosten in beliebigem
Betrage hineinschreibt." Sein Schlußurteil über die Kosten lautet: „Diese
Ausgaben für die immer weitere Vervollkommnung der Kriegsmarine sind dem
gleich, als wenn man Gold in vollen Säcken ins Meer würfe." Die ganze
Seepolitik ist Unsinn. „Deutschlands Küsten sind gegen feindliche Landungs¬
versuche vollkommen sicher." Und weiter: „Eine Kriegsmarine, wie sie die
Negierung wünscht, würde dem deutschen Volke teurer zu stehen kommen, als
wenn die gesamte Handelsflotte vom Feinde in den Grund gebohrt wäre."
Die Reeber, die großen Export- und Importgeschäfte sollten diese „Versicherungs¬
prämie" selbst zahlen. Aber sie würden sich hüten, denn sie könnten im Falle
des Kriegs ihre Waren dadurch „in Sicherheit bringen, daß sie die deutschell
Schiffe nur zur Ausfuhr gebrauchen und die Einfuhr nach Deutschland auf
fremden Schiffen besorgen lassen." Sie würden „neutrale Schiffe mieten,"
denen sie einen um ein paar Pfennige höhern Frachtsatz per Tonne bezahlen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/350>, abgerufen am 07.01.2025.