Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene Hör, Madlene, heute trinkst du bei der Deibsern ein Gläsle Wein. Du sollst Wei? Wir Leut? Steig nit so hoch, Großer! Aufs Seil geh ich nit! Das fuchste nnn doch den Schlesinger. Er that drei Schläge auf die San- Wenn du nit willst, läßt dus bleibn! Aber vom Seil ist keine Red nit! Die Höhe des Aslersbergs war erstiegen. Die "Banate -- eine junge Der spürte das alles, was in der Madlene vorging, und kurz vor der Stadt Bald verlor sich das Geschwisterpaar in den Wogen der Marktleute. Die Sackdrilliche waren an den Mann gebracht, die Einkäufe fürs Haus auch Der große Fleischerhund des Wirtes schnappte die ihm zugewvrfnen Wurst¬ Madlene Hör, Madlene, heute trinkst du bei der Deibsern ein Gläsle Wein. Du sollst Wei? Wir Leut? Steig nit so hoch, Großer! Aufs Seil geh ich nit! Das fuchste nnn doch den Schlesinger. Er that drei Schläge auf die San- Wenn du nit willst, läßt dus bleibn! Aber vom Seil ist keine Red nit! Die Höhe des Aslersbergs war erstiegen. Die „Banate — eine junge Der spürte das alles, was in der Madlene vorging, und kurz vor der Stadt Bald verlor sich das Geschwisterpaar in den Wogen der Marktleute. Die Sackdrilliche waren an den Mann gebracht, die Einkäufe fürs Haus auch Der große Fleischerhund des Wirtes schnappte die ihm zugewvrfnen Wurst¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227237"/> <fw type="header" place="top"> Madlene</fw><lb/> <p xml:id="ID_1127"> Hör, Madlene, heute trinkst du bei der Deibsern ein Gläsle Wein. Du sollst<lb/> spürn, daß ich nit so bin. In Schlesien habn wir das auch gemacht, wenn ein<lb/> Feiertag war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1128"> Wei? Wir Leut? Steig nit so hoch, Großer! Aufs Seil geh ich nit!</p><lb/> <p xml:id="ID_1129"> Das fuchste nnn doch den Schlesinger. Er that drei Schläge auf die San-<lb/> dauer und nahm zwei Prisen gleich hinter einander.</p><lb/> <p xml:id="ID_1130"> Wenn du nit willst, läßt dus bleibn! Aber vom Seil ist keine Red nit!<lb/> "</p><lb/> <p xml:id="ID_1131"> Die Höhe des Aslersbergs war erstiegen. Die „Banate — eine junge<lb/> Allee von Ahornen und Ebereschen — bekamen nichts von den: Geschwisterpaar zu<lb/> hören. Der Schlesinger sah öfter zum Himmel auf, als ob er nach jemand ans<lb/> dem Seil schaue; Madlene sah vor sich nieder ans den Weg und hatte ihre Be¬<lb/> trachtung darüber, daß unter den Füßen der landläufigen Menschheit nichts vom<lb/> Erdgeheimnis hervorbreche. Wie kanns? Sie zertreten alles. Und sie war vorhin<lb/> in leichtem Mutwillen gar auf das Herzensgeheimnis des Großen getreten, der<lb/> doch so viel Schonung und Güte für sie hatte. Das war just ein Streich wie der,<lb/> als sie vor acht Jahren dein glücklich träumenden Frieder mit dem Grashiilmleiu<lb/> unter der Nase hingefahren war, bis er erwachte. Ja, es war wieder so ein<lb/> Streich, den ihr die gute Laune gespielt hatte, sich selbst umzubringen. Sie war<lb/> dahin, die angeheiterte Stimmung. Es kam eine Wehmut über die Madlene, daß<lb/> ihr das Auge feucht wurde und drunter sich die blasse Blüte entfaltete. Aber zum<lb/> Großen sagen: Verzeih mir meine Red! — das konnte sie nicht!</p><lb/> <p xml:id="ID_1132"> Der spürte das alles, was in der Madlene vorging, und kurz vor der Stadt<lb/> war er wie zufällig an ihre Seite geraten und kam ein wenig in Verwirrung bei<lb/> den Worten: Wir werden nunmehr wohl alle beide nit frein! Er wollte damit<lb/> seine Ahnungslvsigkeit gegenüber ihrem heißesten Sehnen an den Tag legen und<lb/> ihr zu verstehen geben, daß er nie versucht habe, ihr ius Herzensgehege zu bringen.<lb/> Sie sollte das respektiren. Zugleich sollte dieses Zeichen seiner versöhnenden Milde<lb/> den Schatten des Seiles beseitige!?. Und das fühlte Madlene so tief, daß es ihr<lb/> einige hörbare Stöße von innen heraus gab. Das war nun dem Schlesinger doch<lb/> zu arg. Er blieb stehen und faßte die Schwester am Ärmel und stieß mit seinem<lb/> Stock auf den Weg ans und sagte, etwas nach dem Gesicht der Madlene hinge¬<lb/> beugt: So frei du! Dann marschirte er vorauf, und Madlene folgte lächelnd und<lb/> trocknete sich die Thränen. Nach einem kleinen Weilchen drehte er den Kopf etwas<lb/> um und sagte: Ich kenn die Welt!</p><lb/> <p xml:id="ID_1133"> Bald verlor sich das Geschwisterpaar in den Wogen der Marktleute.</p><lb/> <p xml:id="ID_1134"> Die Sackdrilliche waren an den Mann gebracht, die Einkäufe fürs Haus auch<lb/> besorgt: statt zehn hatten sich elf Thaler ergeben zur Bergung hinter dem Vexir-<lb/> schloß. Der Große hatte eine Laune wie sonst in Schlesien, wenn er am ersten<lb/> Feiertag bei einem Schöpplein Wein saß. Aber diesmal saß er im Schwan seines<lb/> Heimatstädtchens bei einem Glas Bier neben seiner Madlene. Zwischen ihnen lag<lb/> auf dem Tisch ein ansehnlicher Brotaufschnitt und eine geräucherte Wurst. Das<lb/> Brot hatte Madlene gebacken, und das Wurstschweiu hatte sie auch gefüttert. Es<lb/> schmeckte beideu vortrefflich. Alle Tische des Zimmers waren von schmausenden<lb/> Marktleuten besetzt. Die meisten hatten sich ihr Mahl ebenfalls ans ihrem Korbe<lb/> geholt; nur hie und da tauchte eine Portion Sauerbraten ans vor dem roten Gesicht<lb/> eines Händlers oder reichen Bauern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1135" next="#ID_1136"> Der große Fleischerhund des Wirtes schnappte die ihm zugewvrfnen Wurst¬<lb/> schalen mit erstaunlicher Sicherheit ans, und die dicke Schwanenwirtiu hatte für alle<lb/> Gehenden oder Kommenden freundliche Worte auf der Zunge und ein wohl¬<lb/> wollendes Lächeln im umfangreichen Gesicht. Der Sohn des Hauses schenkte fleißig</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0335]
Madlene
Hör, Madlene, heute trinkst du bei der Deibsern ein Gläsle Wein. Du sollst
spürn, daß ich nit so bin. In Schlesien habn wir das auch gemacht, wenn ein
Feiertag war.
Wei? Wir Leut? Steig nit so hoch, Großer! Aufs Seil geh ich nit!
Das fuchste nnn doch den Schlesinger. Er that drei Schläge auf die San-
dauer und nahm zwei Prisen gleich hinter einander.
Wenn du nit willst, läßt dus bleibn! Aber vom Seil ist keine Red nit!
"
Die Höhe des Aslersbergs war erstiegen. Die „Banate — eine junge
Allee von Ahornen und Ebereschen — bekamen nichts von den: Geschwisterpaar zu
hören. Der Schlesinger sah öfter zum Himmel auf, als ob er nach jemand ans
dem Seil schaue; Madlene sah vor sich nieder ans den Weg und hatte ihre Be¬
trachtung darüber, daß unter den Füßen der landläufigen Menschheit nichts vom
Erdgeheimnis hervorbreche. Wie kanns? Sie zertreten alles. Und sie war vorhin
in leichtem Mutwillen gar auf das Herzensgeheimnis des Großen getreten, der
doch so viel Schonung und Güte für sie hatte. Das war just ein Streich wie der,
als sie vor acht Jahren dein glücklich träumenden Frieder mit dem Grashiilmleiu
unter der Nase hingefahren war, bis er erwachte. Ja, es war wieder so ein
Streich, den ihr die gute Laune gespielt hatte, sich selbst umzubringen. Sie war
dahin, die angeheiterte Stimmung. Es kam eine Wehmut über die Madlene, daß
ihr das Auge feucht wurde und drunter sich die blasse Blüte entfaltete. Aber zum
Großen sagen: Verzeih mir meine Red! — das konnte sie nicht!
Der spürte das alles, was in der Madlene vorging, und kurz vor der Stadt
war er wie zufällig an ihre Seite geraten und kam ein wenig in Verwirrung bei
den Worten: Wir werden nunmehr wohl alle beide nit frein! Er wollte damit
seine Ahnungslvsigkeit gegenüber ihrem heißesten Sehnen an den Tag legen und
ihr zu verstehen geben, daß er nie versucht habe, ihr ius Herzensgehege zu bringen.
Sie sollte das respektiren. Zugleich sollte dieses Zeichen seiner versöhnenden Milde
den Schatten des Seiles beseitige!?. Und das fühlte Madlene so tief, daß es ihr
einige hörbare Stöße von innen heraus gab. Das war nun dem Schlesinger doch
zu arg. Er blieb stehen und faßte die Schwester am Ärmel und stieß mit seinem
Stock auf den Weg ans und sagte, etwas nach dem Gesicht der Madlene hinge¬
beugt: So frei du! Dann marschirte er vorauf, und Madlene folgte lächelnd und
trocknete sich die Thränen. Nach einem kleinen Weilchen drehte er den Kopf etwas
um und sagte: Ich kenn die Welt!
Bald verlor sich das Geschwisterpaar in den Wogen der Marktleute.
Die Sackdrilliche waren an den Mann gebracht, die Einkäufe fürs Haus auch
besorgt: statt zehn hatten sich elf Thaler ergeben zur Bergung hinter dem Vexir-
schloß. Der Große hatte eine Laune wie sonst in Schlesien, wenn er am ersten
Feiertag bei einem Schöpplein Wein saß. Aber diesmal saß er im Schwan seines
Heimatstädtchens bei einem Glas Bier neben seiner Madlene. Zwischen ihnen lag
auf dem Tisch ein ansehnlicher Brotaufschnitt und eine geräucherte Wurst. Das
Brot hatte Madlene gebacken, und das Wurstschweiu hatte sie auch gefüttert. Es
schmeckte beideu vortrefflich. Alle Tische des Zimmers waren von schmausenden
Marktleuten besetzt. Die meisten hatten sich ihr Mahl ebenfalls ans ihrem Korbe
geholt; nur hie und da tauchte eine Portion Sauerbraten ans vor dem roten Gesicht
eines Händlers oder reichen Bauern.
Der große Fleischerhund des Wirtes schnappte die ihm zugewvrfnen Wurst¬
schalen mit erstaunlicher Sicherheit ans, und die dicke Schwanenwirtiu hatte für alle
Gehenden oder Kommenden freundliche Worte auf der Zunge und ein wohl¬
wollendes Lächeln im umfangreichen Gesicht. Der Sohn des Hauses schenkte fleißig
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