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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Zeitgenössische Memoiren

Beobachtungen und Ansichten zu uns spricht, und daraus eiues und das andre
hervorheben.

Da wären zuerst die Schilderungen ihrer Kindheitszeit. Der alte Graf,
ihr Vater, zog von einem Orte zum andern, hauptsächlich aus Rücksicht auf
die Erziehung seiner Kinder, deren Zukunft ihn immer besorgter und ernster
machte, während doch die Reihe sich nach unter immer mehr verlängerte. Asta
muß einen Teil der Geschwister bemuttern und wächst, abgesehen von diesen
Pflichten, frei und wild heran, häßlich und ungraziös, so beschreibt sie sich,
aber durch die Beschreibung hindurch wird dieses Stück Natur auf den Leser
anziehender wirken, als manche gepflegte Schönheit. "Ich habe dich häufig
im stillen beobachtet, du warst so gut mit deinen Eltern und Geschwistern,
das zeigte mir dein goldnes Herz und dem Pflichtgefühl," sagt ihr Bräutigam
kurz vor der Hochzeit zu ihr, als sie ihm vorwirft, daß er, ohne sie zu kennen,
wie ein Thor um ihre Hand angehalten habe, und als sie uach der Hochzeit
abreist, weint der jüngste Bruder: "Wer wird mir nun mein Butterbrot
macheu?" Viel Unterricht hat sie nicht gehabt, aber welche Klugheit, welche
Weite des Gesichtskreises zeichnet sie ans und spricht aus allen ihren Bevbcich-
tuugeu! Als junges Mädchen war sie einige Zeit in Dresden gewesen, bei
dem Bruder ihres Vaters, dem bekannten Freunde von Tieck, sonst hatte sie
immer in ihrem Heimatslande gelebt, die längste Zeit in der Stadt Schleswig.
Als sie sich bereits im höhern Alter zum erstenmale zu einer größern Reise
aufmacht durch Deutschland bis nach Florenz, um überall nahe Verwandte zu
besuchen, da führt sie sich bei dem Leser ein als eine Unerfahrne und Un¬
geübte in der Kunst des Reifens: "Mir fehlen für solchen Zweck die Begabung
und das Wissen, ja selbst das erforderliche eingehende Interesse für die Werke
der Menschenhand. Ich interessire mich eigentlich nur für die Natur und die
Menschen. Die Künste erfreuen mich hauptsächlich, weil sie einen Beweis für
das Kulturstreben liefern, doch sehe ich lieber den lebendigen schönen Menschen
als den von Marmor." -- Und mir lesen lieber ein solches einfaches, kluges
Kapitel: "Reise nach Italien," als wenn es eine ihrer Meinung nach kunst¬
verständige Verfasserin geschrieben hätte.

So wie wir andern, die wir nicht vornehm sind, die Vornehmheit am liebsten
haben, die nicht ledig ünßerer Sorge und darum fleißig und tüchtig ist, aber
auch stolz, wo es am Platze ist, und eingedenk des Zusammenhangs mit edeln
Stammesgenossen, so war der jungen Komtesse das Leben zugemessen worden,
bis sie achtzehnjährig dem bürgerlichen Manne die Hand reichte. Darnach
hatte sie mit ziemlich beschränkten Mitteln deu Anforderungen einer wachsenden
Familie und einer gastfreien Häuslichkeit zu genügen, und nur ein starker
Charakter konnte die Heiterkeit des Gemüts und dieses beinahe kindliche Lcbens-
vertraueu durch die Mühen und Sorgen hindurch retten bis ins Alter. "Wenn
das Alter so harmlos befriedigt vertiefe, wie wir in reizenden kleinen Er¬
zählungen lesen, dann wäre es ein Vergnügen, alt und grau zu werden. Es


Zeitgenössische Memoiren

Beobachtungen und Ansichten zu uns spricht, und daraus eiues und das andre
hervorheben.

Da wären zuerst die Schilderungen ihrer Kindheitszeit. Der alte Graf,
ihr Vater, zog von einem Orte zum andern, hauptsächlich aus Rücksicht auf
die Erziehung seiner Kinder, deren Zukunft ihn immer besorgter und ernster
machte, während doch die Reihe sich nach unter immer mehr verlängerte. Asta
muß einen Teil der Geschwister bemuttern und wächst, abgesehen von diesen
Pflichten, frei und wild heran, häßlich und ungraziös, so beschreibt sie sich,
aber durch die Beschreibung hindurch wird dieses Stück Natur auf den Leser
anziehender wirken, als manche gepflegte Schönheit. „Ich habe dich häufig
im stillen beobachtet, du warst so gut mit deinen Eltern und Geschwistern,
das zeigte mir dein goldnes Herz und dem Pflichtgefühl," sagt ihr Bräutigam
kurz vor der Hochzeit zu ihr, als sie ihm vorwirft, daß er, ohne sie zu kennen,
wie ein Thor um ihre Hand angehalten habe, und als sie uach der Hochzeit
abreist, weint der jüngste Bruder: „Wer wird mir nun mein Butterbrot
macheu?" Viel Unterricht hat sie nicht gehabt, aber welche Klugheit, welche
Weite des Gesichtskreises zeichnet sie ans und spricht aus allen ihren Bevbcich-
tuugeu! Als junges Mädchen war sie einige Zeit in Dresden gewesen, bei
dem Bruder ihres Vaters, dem bekannten Freunde von Tieck, sonst hatte sie
immer in ihrem Heimatslande gelebt, die längste Zeit in der Stadt Schleswig.
Als sie sich bereits im höhern Alter zum erstenmale zu einer größern Reise
aufmacht durch Deutschland bis nach Florenz, um überall nahe Verwandte zu
besuchen, da führt sie sich bei dem Leser ein als eine Unerfahrne und Un¬
geübte in der Kunst des Reifens: „Mir fehlen für solchen Zweck die Begabung
und das Wissen, ja selbst das erforderliche eingehende Interesse für die Werke
der Menschenhand. Ich interessire mich eigentlich nur für die Natur und die
Menschen. Die Künste erfreuen mich hauptsächlich, weil sie einen Beweis für
das Kulturstreben liefern, doch sehe ich lieber den lebendigen schönen Menschen
als den von Marmor." — Und mir lesen lieber ein solches einfaches, kluges
Kapitel: „Reise nach Italien," als wenn es eine ihrer Meinung nach kunst¬
verständige Verfasserin geschrieben hätte.

So wie wir andern, die wir nicht vornehm sind, die Vornehmheit am liebsten
haben, die nicht ledig ünßerer Sorge und darum fleißig und tüchtig ist, aber
auch stolz, wo es am Platze ist, und eingedenk des Zusammenhangs mit edeln
Stammesgenossen, so war der jungen Komtesse das Leben zugemessen worden,
bis sie achtzehnjährig dem bürgerlichen Manne die Hand reichte. Darnach
hatte sie mit ziemlich beschränkten Mitteln deu Anforderungen einer wachsenden
Familie und einer gastfreien Häuslichkeit zu genügen, und nur ein starker
Charakter konnte die Heiterkeit des Gemüts und dieses beinahe kindliche Lcbens-
vertraueu durch die Mühen und Sorgen hindurch retten bis ins Alter. „Wenn
das Alter so harmlos befriedigt vertiefe, wie wir in reizenden kleinen Er¬
zählungen lesen, dann wäre es ein Vergnügen, alt und grau zu werden. Es


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[0329] Zeitgenössische Memoiren Beobachtungen und Ansichten zu uns spricht, und daraus eiues und das andre hervorheben. Da wären zuerst die Schilderungen ihrer Kindheitszeit. Der alte Graf, ihr Vater, zog von einem Orte zum andern, hauptsächlich aus Rücksicht auf die Erziehung seiner Kinder, deren Zukunft ihn immer besorgter und ernster machte, während doch die Reihe sich nach unter immer mehr verlängerte. Asta muß einen Teil der Geschwister bemuttern und wächst, abgesehen von diesen Pflichten, frei und wild heran, häßlich und ungraziös, so beschreibt sie sich, aber durch die Beschreibung hindurch wird dieses Stück Natur auf den Leser anziehender wirken, als manche gepflegte Schönheit. „Ich habe dich häufig im stillen beobachtet, du warst so gut mit deinen Eltern und Geschwistern, das zeigte mir dein goldnes Herz und dem Pflichtgefühl," sagt ihr Bräutigam kurz vor der Hochzeit zu ihr, als sie ihm vorwirft, daß er, ohne sie zu kennen, wie ein Thor um ihre Hand angehalten habe, und als sie uach der Hochzeit abreist, weint der jüngste Bruder: „Wer wird mir nun mein Butterbrot macheu?" Viel Unterricht hat sie nicht gehabt, aber welche Klugheit, welche Weite des Gesichtskreises zeichnet sie ans und spricht aus allen ihren Bevbcich- tuugeu! Als junges Mädchen war sie einige Zeit in Dresden gewesen, bei dem Bruder ihres Vaters, dem bekannten Freunde von Tieck, sonst hatte sie immer in ihrem Heimatslande gelebt, die längste Zeit in der Stadt Schleswig. Als sie sich bereits im höhern Alter zum erstenmale zu einer größern Reise aufmacht durch Deutschland bis nach Florenz, um überall nahe Verwandte zu besuchen, da führt sie sich bei dem Leser ein als eine Unerfahrne und Un¬ geübte in der Kunst des Reifens: „Mir fehlen für solchen Zweck die Begabung und das Wissen, ja selbst das erforderliche eingehende Interesse für die Werke der Menschenhand. Ich interessire mich eigentlich nur für die Natur und die Menschen. Die Künste erfreuen mich hauptsächlich, weil sie einen Beweis für das Kulturstreben liefern, doch sehe ich lieber den lebendigen schönen Menschen als den von Marmor." — Und mir lesen lieber ein solches einfaches, kluges Kapitel: „Reise nach Italien," als wenn es eine ihrer Meinung nach kunst¬ verständige Verfasserin geschrieben hätte. So wie wir andern, die wir nicht vornehm sind, die Vornehmheit am liebsten haben, die nicht ledig ünßerer Sorge und darum fleißig und tüchtig ist, aber auch stolz, wo es am Platze ist, und eingedenk des Zusammenhangs mit edeln Stammesgenossen, so war der jungen Komtesse das Leben zugemessen worden, bis sie achtzehnjährig dem bürgerlichen Manne die Hand reichte. Darnach hatte sie mit ziemlich beschränkten Mitteln deu Anforderungen einer wachsenden Familie und einer gastfreien Häuslichkeit zu genügen, und nur ein starker Charakter konnte die Heiterkeit des Gemüts und dieses beinahe kindliche Lcbens- vertraueu durch die Mühen und Sorgen hindurch retten bis ins Alter. „Wenn das Alter so harmlos befriedigt vertiefe, wie wir in reizenden kleinen Er¬ zählungen lesen, dann wäre es ein Vergnügen, alt und grau zu werden. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/329>, abgerufen am 08.01.2025.