Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Zeitgenössische Memoiren gestorbne Advokat Karl Heiberg. Sein Leben war mit den Geschicken der Zeitgenössische Memoiren gestorbne Advokat Karl Heiberg. Sein Leben war mit den Geschicken der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0328" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227230"/> <fw type="header" place="top"> Zeitgenössische Memoiren</fw><lb/> <p xml:id="ID_1081" prev="#ID_1080" next="#ID_1082"> gestorbne Advokat Karl Heiberg. Sein Leben war mit den Geschicken der<lb/> Herzogtümer eng verflochten. Er hatte in dänischen Zeiten Verbannung, Amts¬<lb/> entsetzung, Verfolgung und Plackerei aller Art zu erdulden gehabt, und als die<lb/> neuen, befreienden Ereignisse sich ankündigten, war er nicht mehr der Alte an<lb/> Körperkraft und Energie, die Liebe seiner Landsleute aber folgte ihm bis an<lb/> seinen letzten Tag, und sein Andenken wird als das eines Märtyrers in hohen<lb/> Ehren gehalten. Am Neujahrstage 1835 Verlobte sich der junge Doktor<lb/> Heiberg auf eine sehr originelle Weise mit einer Komtesse Baudissin, indem er<lb/> bei einer Abendgesellschaft in ihrer Eltern Hcinse ihre Schulter küßte. „Ganz<lb/> verstört sah ich ihn an, schreibt seine nachmalige Lebensgefährtin viele Jahre<lb/> später, und er stammelte einige Worte, die ich nicht verstand. Der peinliche<lb/> Auftritt wurde unterbrochen, weil mein Vater rin einem Herrn ins Zimmer<lb/> trat. Später habe ich meinen Mann gefragt: Wie kamst du, der Schüchterne,<lb/> dazu, mich zu küssen? Ich weiß es nicht, sagte er, und kann es nicht erklären,<lb/> es war eine fremde Macht, die mich dazu trieb." So lautet eine Stelle in<lb/> den Erinnerungen aus meinem Leben von Asta Heiberg, die schon in<lb/> zweiter Auflage vorliegen (Berlin, Karl Hehmann). Die nun Achtzigjährige<lb/> hat ihren Gatten lange überlebt, und der Erinnerung an ihn widmet sie das<lb/> Buch, in dem ja hauptsächlich von ihm die Rede ist. Die kluge, thatkräftige<lb/> Frau war seine Helferin, seine Gefährtin im besten Sinne, und so werden uns<lb/> hier mit klarem Urteil und festen Strichen die politischen und gesellschaftlichen<lb/> Zustände der Herzogtümer und des Volkes geschildert, dem anzugehören ihr<lb/> Stolz war. Durch ihren Zusammenhang mit den ersten Familien des Landes<lb/> reichten ihre Beziehungen bis zum Königshause hinauf, und den Augnsten-<lb/> bnrgern stand sie fast freundschaftlich nahe. Aber sie wollte nichts weiter sein<lb/> als Frau Doktor Heiberg; um ihres Mannes willen hatte sie viel zu leiden,<lb/> an ihn gab sie aber auch die Ehre, wenn sie ihr zu teil wurde, weiter. Wie<lb/> erhaben und zugleich bescheiden diese innerlich vornehme Frau unter den<lb/> Männern dasteht und an der Geschichte ihres Landes mitarbeitet, und wie<lb/> schlicht sie darüber berichtet, davon läßt sich durch knappe Auszüge keine hin¬<lb/> längliche Vorstellung geben. Wie sie feindliche und freundliche Einquartierungen<lb/> empfängt zur Zeit der Schlachte» von Fridcrieici, Jdstedt und Friedrichstadt,<lb/> Wie sie Flüchtlinge ins Ausland schafft, wie sie bei einem Volksfeste dem dä¬<lb/> nischen Kommandeur einen Tanz verweigert und dafür von den Bürgern ein<lb/> jubelndes Hoch und von einem sogar einen Kuß auf den Hals erhält, wie<lb/> beim Einzug des Königs Friedrich VII. nach der Schlacht bei Bau in Schleswig<lb/> sogar der wvhlerzogne kleine Familienspitz sich durch plötzliches, energisches<lb/> Umkehren von der Begrüßnngspflicht lossagt, „mit diesen wollte er keine Ge¬<lb/> meinschaft": das werden unsre Leser mit dauernder Teilnahme, nicht selten auch<lb/> mit Bewegung und zwischendurch mit allerlei kleinen Erheiterungen hoffentlich<lb/> selbst nachlesen. Wir möchten lieber ein wenig in den Teilen des Buches<lb/> blättern, aus denen die Natur der Frau mit ihren besondern Erfahrungen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0328]
Zeitgenössische Memoiren
gestorbne Advokat Karl Heiberg. Sein Leben war mit den Geschicken der
Herzogtümer eng verflochten. Er hatte in dänischen Zeiten Verbannung, Amts¬
entsetzung, Verfolgung und Plackerei aller Art zu erdulden gehabt, und als die
neuen, befreienden Ereignisse sich ankündigten, war er nicht mehr der Alte an
Körperkraft und Energie, die Liebe seiner Landsleute aber folgte ihm bis an
seinen letzten Tag, und sein Andenken wird als das eines Märtyrers in hohen
Ehren gehalten. Am Neujahrstage 1835 Verlobte sich der junge Doktor
Heiberg auf eine sehr originelle Weise mit einer Komtesse Baudissin, indem er
bei einer Abendgesellschaft in ihrer Eltern Hcinse ihre Schulter küßte. „Ganz
verstört sah ich ihn an, schreibt seine nachmalige Lebensgefährtin viele Jahre
später, und er stammelte einige Worte, die ich nicht verstand. Der peinliche
Auftritt wurde unterbrochen, weil mein Vater rin einem Herrn ins Zimmer
trat. Später habe ich meinen Mann gefragt: Wie kamst du, der Schüchterne,
dazu, mich zu küssen? Ich weiß es nicht, sagte er, und kann es nicht erklären,
es war eine fremde Macht, die mich dazu trieb." So lautet eine Stelle in
den Erinnerungen aus meinem Leben von Asta Heiberg, die schon in
zweiter Auflage vorliegen (Berlin, Karl Hehmann). Die nun Achtzigjährige
hat ihren Gatten lange überlebt, und der Erinnerung an ihn widmet sie das
Buch, in dem ja hauptsächlich von ihm die Rede ist. Die kluge, thatkräftige
Frau war seine Helferin, seine Gefährtin im besten Sinne, und so werden uns
hier mit klarem Urteil und festen Strichen die politischen und gesellschaftlichen
Zustände der Herzogtümer und des Volkes geschildert, dem anzugehören ihr
Stolz war. Durch ihren Zusammenhang mit den ersten Familien des Landes
reichten ihre Beziehungen bis zum Königshause hinauf, und den Augnsten-
bnrgern stand sie fast freundschaftlich nahe. Aber sie wollte nichts weiter sein
als Frau Doktor Heiberg; um ihres Mannes willen hatte sie viel zu leiden,
an ihn gab sie aber auch die Ehre, wenn sie ihr zu teil wurde, weiter. Wie
erhaben und zugleich bescheiden diese innerlich vornehme Frau unter den
Männern dasteht und an der Geschichte ihres Landes mitarbeitet, und wie
schlicht sie darüber berichtet, davon läßt sich durch knappe Auszüge keine hin¬
längliche Vorstellung geben. Wie sie feindliche und freundliche Einquartierungen
empfängt zur Zeit der Schlachte» von Fridcrieici, Jdstedt und Friedrichstadt,
Wie sie Flüchtlinge ins Ausland schafft, wie sie bei einem Volksfeste dem dä¬
nischen Kommandeur einen Tanz verweigert und dafür von den Bürgern ein
jubelndes Hoch und von einem sogar einen Kuß auf den Hals erhält, wie
beim Einzug des Königs Friedrich VII. nach der Schlacht bei Bau in Schleswig
sogar der wvhlerzogne kleine Familienspitz sich durch plötzliches, energisches
Umkehren von der Begrüßnngspflicht lossagt, „mit diesen wollte er keine Ge¬
meinschaft": das werden unsre Leser mit dauernder Teilnahme, nicht selten auch
mit Bewegung und zwischendurch mit allerlei kleinen Erheiterungen hoffentlich
selbst nachlesen. Wir möchten lieber ein wenig in den Teilen des Buches
blättern, aus denen die Natur der Frau mit ihren besondern Erfahrungen,
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