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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das deutsche Dorfwirtshaus

Rösten, in England vor den Augen des Gastes im Krill-kloven, geübt, in
Frankreich und Italien noch weit verbreitet, ist bei uns ebenfalls außer Ge¬
brauch gekommen. Es ist wahr, daß beide Methoden nicht so einfach sind,
wie das deutsche Braten in der Bratröhre des Herdes; aber ein Huhn vom
Spieß oder ein Beefsteak vom Rost ist auch etwas andres als ein Braten in
der Pfanne, der immer in der trocknen heißen Ofenluft von seinem natürlichen
Saft und Duft verliert. Gar nicht zu reden von jener zur Verhüllung der
schlechten Qualität des Fleisches erfundnen Verballhornung des Lendenstücks, des
"deutscheu" Beefsteak, des zerhackten, mit Zwiebeln dicht bestreuten und infi-
zirten, das mit dem echten Beefsteak nichts als den Namen gemein hat, oder
des Rostbratens, der ungleich dem italienischen arrosto nie einen Rost gesehen
hat, oder des bairischen Kalbsbratens, der zuerst gekocht und dann leicht an¬
gebraten wird! Diese und viele andre würde der Biolog "Kümmerformen"
des echten Bratens nennen, mit dem sie nur den Schein einer Berührung und
dem Feuer gemein haben. Das einzige Beefsteak hat die natürliche Eigenschaft
des Bratens bewahrt, die Kraft und den Wohlgeschmack der Fleischfaser und
des Blutes gleichsam in verdichteter Form zu bieten. Zinn Teil sind diese
Entartungen aus Sparsamkeit geboren, zum größern Teil aber aus Dummheit
und Bequemlichkeit, die sich in der deutschen Küche mit einer merkwürdigen Un¬
beständigkeit verbündet haben. Gerade die Geschichte des Bratens zeigt, wie fest
die Engländer an einmal bewährten Gebräuchen halten, und auch die Franzosen
sind in der Küche viel konservativer als die Deutschen. So wie bei uns
das Gewerbe und besonders das vielgelobte Kunstgewerbe auf die Mnsfen-
erzeuguug billiger Scheinwaren, die im Kern nur Schund sind, mit einem
gewissen Radikalismus ausgeht, so ist in der deutschen Wirtsküche die rasche
und billige Masfcndarstellnng der Speisen im Fortschreiten, wobei sich eine
kurzsichtige Weisheit in Surrogat und schön sein sollenden Spielereien gefällt.
Was nützt mir die Muschelschale, in die man ein gemeines Hackfleisch füllt?
Oder die alten Krebsschalen, in die man gekochte Semmelkrumen hineinstopft?
Ich kann mich dabei nie enthalten, an die Petroleumlampe mit schlechtem
Brenner und verschnörkelten "Renaissance"-Füßen zu deuten. Die liebevolle
Vertiefung in die Geheimnisse der Kochkunst schwindet immer mehr. Ich sehe
die Zeit kommen, wo man im deutschen Wirtshaus dem nach einem Mittag¬
essen verlangenden Gast eine Erbswurstsuppe nud eine Fleischkonservenbüchse in
heißem Wasser hinstellt, die er sich öffnet und aus dem Blech heraus leer ißt.
Der Wirt als Händler, vielleicht anch als Spekulant in Konserven und
sonstigen "Dauerwaren": das ist das Ziel, dem unsre Küche zustrebt, oder viel¬
mehr der Strudel, in den sie hineingerissen wird. Zum Glück scheint man die
Gefahr zu erkennen und sucht durch Kochschulen der kulinarischen Verrohung
und Verflachung entgegenzuwirken, die in der kleinbürgerlichen und Arbeiterküche
noch viel bedenklichere, unmittelbar das Familienleben bedrohende Wirkungen
hat als in der Wirtsküche.


Das deutsche Dorfwirtshaus

Rösten, in England vor den Augen des Gastes im Krill-kloven, geübt, in
Frankreich und Italien noch weit verbreitet, ist bei uns ebenfalls außer Ge¬
brauch gekommen. Es ist wahr, daß beide Methoden nicht so einfach sind,
wie das deutsche Braten in der Bratröhre des Herdes; aber ein Huhn vom
Spieß oder ein Beefsteak vom Rost ist auch etwas andres als ein Braten in
der Pfanne, der immer in der trocknen heißen Ofenluft von seinem natürlichen
Saft und Duft verliert. Gar nicht zu reden von jener zur Verhüllung der
schlechten Qualität des Fleisches erfundnen Verballhornung des Lendenstücks, des
„deutscheu" Beefsteak, des zerhackten, mit Zwiebeln dicht bestreuten und infi-
zirten, das mit dem echten Beefsteak nichts als den Namen gemein hat, oder
des Rostbratens, der ungleich dem italienischen arrosto nie einen Rost gesehen
hat, oder des bairischen Kalbsbratens, der zuerst gekocht und dann leicht an¬
gebraten wird! Diese und viele andre würde der Biolog „Kümmerformen"
des echten Bratens nennen, mit dem sie nur den Schein einer Berührung und
dem Feuer gemein haben. Das einzige Beefsteak hat die natürliche Eigenschaft
des Bratens bewahrt, die Kraft und den Wohlgeschmack der Fleischfaser und
des Blutes gleichsam in verdichteter Form zu bieten. Zinn Teil sind diese
Entartungen aus Sparsamkeit geboren, zum größern Teil aber aus Dummheit
und Bequemlichkeit, die sich in der deutschen Küche mit einer merkwürdigen Un¬
beständigkeit verbündet haben. Gerade die Geschichte des Bratens zeigt, wie fest
die Engländer an einmal bewährten Gebräuchen halten, und auch die Franzosen
sind in der Küche viel konservativer als die Deutschen. So wie bei uns
das Gewerbe und besonders das vielgelobte Kunstgewerbe auf die Mnsfen-
erzeuguug billiger Scheinwaren, die im Kern nur Schund sind, mit einem
gewissen Radikalismus ausgeht, so ist in der deutschen Wirtsküche die rasche
und billige Masfcndarstellnng der Speisen im Fortschreiten, wobei sich eine
kurzsichtige Weisheit in Surrogat und schön sein sollenden Spielereien gefällt.
Was nützt mir die Muschelschale, in die man ein gemeines Hackfleisch füllt?
Oder die alten Krebsschalen, in die man gekochte Semmelkrumen hineinstopft?
Ich kann mich dabei nie enthalten, an die Petroleumlampe mit schlechtem
Brenner und verschnörkelten „Renaissance"-Füßen zu deuten. Die liebevolle
Vertiefung in die Geheimnisse der Kochkunst schwindet immer mehr. Ich sehe
die Zeit kommen, wo man im deutschen Wirtshaus dem nach einem Mittag¬
essen verlangenden Gast eine Erbswurstsuppe nud eine Fleischkonservenbüchse in
heißem Wasser hinstellt, die er sich öffnet und aus dem Blech heraus leer ißt.
Der Wirt als Händler, vielleicht anch als Spekulant in Konserven und
sonstigen „Dauerwaren": das ist das Ziel, dem unsre Küche zustrebt, oder viel¬
mehr der Strudel, in den sie hineingerissen wird. Zum Glück scheint man die
Gefahr zu erkennen und sucht durch Kochschulen der kulinarischen Verrohung
und Verflachung entgegenzuwirken, die in der kleinbürgerlichen und Arbeiterküche
noch viel bedenklichere, unmittelbar das Familienleben bedrohende Wirkungen
hat als in der Wirtsküche.


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[0315] Das deutsche Dorfwirtshaus Rösten, in England vor den Augen des Gastes im Krill-kloven, geübt, in Frankreich und Italien noch weit verbreitet, ist bei uns ebenfalls außer Ge¬ brauch gekommen. Es ist wahr, daß beide Methoden nicht so einfach sind, wie das deutsche Braten in der Bratröhre des Herdes; aber ein Huhn vom Spieß oder ein Beefsteak vom Rost ist auch etwas andres als ein Braten in der Pfanne, der immer in der trocknen heißen Ofenluft von seinem natürlichen Saft und Duft verliert. Gar nicht zu reden von jener zur Verhüllung der schlechten Qualität des Fleisches erfundnen Verballhornung des Lendenstücks, des „deutscheu" Beefsteak, des zerhackten, mit Zwiebeln dicht bestreuten und infi- zirten, das mit dem echten Beefsteak nichts als den Namen gemein hat, oder des Rostbratens, der ungleich dem italienischen arrosto nie einen Rost gesehen hat, oder des bairischen Kalbsbratens, der zuerst gekocht und dann leicht an¬ gebraten wird! Diese und viele andre würde der Biolog „Kümmerformen" des echten Bratens nennen, mit dem sie nur den Schein einer Berührung und dem Feuer gemein haben. Das einzige Beefsteak hat die natürliche Eigenschaft des Bratens bewahrt, die Kraft und den Wohlgeschmack der Fleischfaser und des Blutes gleichsam in verdichteter Form zu bieten. Zinn Teil sind diese Entartungen aus Sparsamkeit geboren, zum größern Teil aber aus Dummheit und Bequemlichkeit, die sich in der deutschen Küche mit einer merkwürdigen Un¬ beständigkeit verbündet haben. Gerade die Geschichte des Bratens zeigt, wie fest die Engländer an einmal bewährten Gebräuchen halten, und auch die Franzosen sind in der Küche viel konservativer als die Deutschen. So wie bei uns das Gewerbe und besonders das vielgelobte Kunstgewerbe auf die Mnsfen- erzeuguug billiger Scheinwaren, die im Kern nur Schund sind, mit einem gewissen Radikalismus ausgeht, so ist in der deutschen Wirtsküche die rasche und billige Masfcndarstellnng der Speisen im Fortschreiten, wobei sich eine kurzsichtige Weisheit in Surrogat und schön sein sollenden Spielereien gefällt. Was nützt mir die Muschelschale, in die man ein gemeines Hackfleisch füllt? Oder die alten Krebsschalen, in die man gekochte Semmelkrumen hineinstopft? Ich kann mich dabei nie enthalten, an die Petroleumlampe mit schlechtem Brenner und verschnörkelten „Renaissance"-Füßen zu deuten. Die liebevolle Vertiefung in die Geheimnisse der Kochkunst schwindet immer mehr. Ich sehe die Zeit kommen, wo man im deutschen Wirtshaus dem nach einem Mittag¬ essen verlangenden Gast eine Erbswurstsuppe nud eine Fleischkonservenbüchse in heißem Wasser hinstellt, die er sich öffnet und aus dem Blech heraus leer ißt. Der Wirt als Händler, vielleicht anch als Spekulant in Konserven und sonstigen „Dauerwaren": das ist das Ziel, dem unsre Küche zustrebt, oder viel¬ mehr der Strudel, in den sie hineingerissen wird. Zum Glück scheint man die Gefahr zu erkennen und sucht durch Kochschulen der kulinarischen Verrohung und Verflachung entgegenzuwirken, die in der kleinbürgerlichen und Arbeiterküche noch viel bedenklichere, unmittelbar das Familienleben bedrohende Wirkungen hat als in der Wirtsküche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/315>, abgerufen am 08.01.2025.