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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das deutsche Dorfwirtshaus

in die Höhe getrieben. Seit etwa zehn Jahren sind selbst im Osten und Süd-
osten Dcntschlmids, wo Breslau und München die billigsten deutschen Gro߬
städte waren, die Klagen über die hohen Fleischpreise immer lauter geworden.
Auf dem Dorfe ist Fleisch immer eine Feiertagsspeise geblieben, aber der Bedarf
der Städte nimmt das gute Fleisch dem Lande und läßt ihm das schlechte.
Fleisch ist daher die schwächste Seite der Küche des Dorfwirtshauses, und im
Sommer tritt in den überfüllten Sommerfrischen und Seebädern gelegentlich
einmal ein Fleischmangel ein, dem durch schleunigen Bezug aus der nächsten
Großstadt vorgebeugt werden muß.

Wo man am Fleisch sparen muß, sucht man es doppelt auszunutzen; man
kocht es, um seine Brühe zu haben, und ißt dann das gekochte Fleisch oder
brät es noch einmal. "Suppe und Fleisch" ist das Losungswort der bürger¬
lichen Küche in ganz Deutschland. Für den Tisch bedeutet das soviel wie
Suppe und Suppenfleisch. Früher war der Unterschied des Wertes der Fleisch-
stücke vom Nind so gering, daß auch die besten Stücke gekocht wurden, und
da stand das gesottn" "Tellerfleisch," das der Valer vom Holzteller ißt, keinem
Braten nach, und das "Rindfleisch mit Beilage" war am Gasthaustisch der Kern
des Mittagmahls. Das hat sich in den meisten Gegenden stark geändert, und auf
dem Lande essen selbst die wohlhabenden Bauern ein zähes Kuh- oder Stierfleisch,
das dem Städter ungenießbar vorkommt. Deswegen nimmt auch die Zubereitung
des Fleisches in solchen Formen überHand, wo die schlechte Beschaffenheit des
Stückes verdeckt wird: das Kochen des in Stücke geschulteren Fleisches mit
Kartoffeln, das gehackte Fleisch, als Kuchen, Klops usw., vor allem aber die
zu Zusätzen aller Art einladende Wurst. "Gebacknes" war einst nur der
österreichischen Küche eigen, und die Vackhühndl bleiben charakteristisch für
Wien und alles Land östlich von Wien, während die Schnitzel als die be¬
quemste Zubereitung des schlechtesten, zu sandartiger Dünne aufgezognen Kalb¬
fleisches sich weit verbreitet haben.

Wo ist die alte Kunst des Bratens hinverschwunden, die wir auch darum
als eine edle bezeichnen müssen, weil sie dem einfachsten, natürlichen Vorgang
noch so nahe stand? Der Jager, der ein Stück Wild erlegte, schnitt ein Stück
Fleisch ub und briet es an einem Stab, den er schräg in, die Erde steckte,
sodaß das Fleisch gerade vom Feuer bestrichen ward. Er drehte ihn einigemale
herum, und der Breiten war fertig mit dem naturmäßigsten, besten Geschmack,
dem des frisch gerösteten Fleisches, um das cmsgetretnes Blut und Fett eine
schöne, wohlduftende Rinde bilden. Das Braten am Spieß ist eine leichte Ab¬
änderung dieses Verfahrens. In England und Frankreich hört man das Ge¬
räusch des durch ein Uhrwerk gedrehten Bratspießes aus der Wirtsküche, Deutsch¬
land ist fast überall vom Spieß abgegangen. Für die meisten sind die großen
Bratspieße in den alten Schlössern fossile Merkwürdigkeiten, und erst das Zeit¬
alter der Butzenscheiben und Truhen hat auch den Spieß da und dort wieder
in die Küche zurückgeführt. Das Braten zwischen zwei beweglichen eisernen


Das deutsche Dorfwirtshaus

in die Höhe getrieben. Seit etwa zehn Jahren sind selbst im Osten und Süd-
osten Dcntschlmids, wo Breslau und München die billigsten deutschen Gro߬
städte waren, die Klagen über die hohen Fleischpreise immer lauter geworden.
Auf dem Dorfe ist Fleisch immer eine Feiertagsspeise geblieben, aber der Bedarf
der Städte nimmt das gute Fleisch dem Lande und läßt ihm das schlechte.
Fleisch ist daher die schwächste Seite der Küche des Dorfwirtshauses, und im
Sommer tritt in den überfüllten Sommerfrischen und Seebädern gelegentlich
einmal ein Fleischmangel ein, dem durch schleunigen Bezug aus der nächsten
Großstadt vorgebeugt werden muß.

Wo man am Fleisch sparen muß, sucht man es doppelt auszunutzen; man
kocht es, um seine Brühe zu haben, und ißt dann das gekochte Fleisch oder
brät es noch einmal. „Suppe und Fleisch" ist das Losungswort der bürger¬
lichen Küche in ganz Deutschland. Für den Tisch bedeutet das soviel wie
Suppe und Suppenfleisch. Früher war der Unterschied des Wertes der Fleisch-
stücke vom Nind so gering, daß auch die besten Stücke gekocht wurden, und
da stand das gesottn« „Tellerfleisch," das der Valer vom Holzteller ißt, keinem
Braten nach, und das „Rindfleisch mit Beilage" war am Gasthaustisch der Kern
des Mittagmahls. Das hat sich in den meisten Gegenden stark geändert, und auf
dem Lande essen selbst die wohlhabenden Bauern ein zähes Kuh- oder Stierfleisch,
das dem Städter ungenießbar vorkommt. Deswegen nimmt auch die Zubereitung
des Fleisches in solchen Formen überHand, wo die schlechte Beschaffenheit des
Stückes verdeckt wird: das Kochen des in Stücke geschulteren Fleisches mit
Kartoffeln, das gehackte Fleisch, als Kuchen, Klops usw., vor allem aber die
zu Zusätzen aller Art einladende Wurst. „Gebacknes" war einst nur der
österreichischen Küche eigen, und die Vackhühndl bleiben charakteristisch für
Wien und alles Land östlich von Wien, während die Schnitzel als die be¬
quemste Zubereitung des schlechtesten, zu sandartiger Dünne aufgezognen Kalb¬
fleisches sich weit verbreitet haben.

Wo ist die alte Kunst des Bratens hinverschwunden, die wir auch darum
als eine edle bezeichnen müssen, weil sie dem einfachsten, natürlichen Vorgang
noch so nahe stand? Der Jager, der ein Stück Wild erlegte, schnitt ein Stück
Fleisch ub und briet es an einem Stab, den er schräg in, die Erde steckte,
sodaß das Fleisch gerade vom Feuer bestrichen ward. Er drehte ihn einigemale
herum, und der Breiten war fertig mit dem naturmäßigsten, besten Geschmack,
dem des frisch gerösteten Fleisches, um das cmsgetretnes Blut und Fett eine
schöne, wohlduftende Rinde bilden. Das Braten am Spieß ist eine leichte Ab¬
änderung dieses Verfahrens. In England und Frankreich hört man das Ge¬
räusch des durch ein Uhrwerk gedrehten Bratspießes aus der Wirtsküche, Deutsch¬
land ist fast überall vom Spieß abgegangen. Für die meisten sind die großen
Bratspieße in den alten Schlössern fossile Merkwürdigkeiten, und erst das Zeit¬
alter der Butzenscheiben und Truhen hat auch den Spieß da und dort wieder
in die Küche zurückgeführt. Das Braten zwischen zwei beweglichen eisernen


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[0314] Das deutsche Dorfwirtshaus in die Höhe getrieben. Seit etwa zehn Jahren sind selbst im Osten und Süd- osten Dcntschlmids, wo Breslau und München die billigsten deutschen Gro߬ städte waren, die Klagen über die hohen Fleischpreise immer lauter geworden. Auf dem Dorfe ist Fleisch immer eine Feiertagsspeise geblieben, aber der Bedarf der Städte nimmt das gute Fleisch dem Lande und läßt ihm das schlechte. Fleisch ist daher die schwächste Seite der Küche des Dorfwirtshauses, und im Sommer tritt in den überfüllten Sommerfrischen und Seebädern gelegentlich einmal ein Fleischmangel ein, dem durch schleunigen Bezug aus der nächsten Großstadt vorgebeugt werden muß. Wo man am Fleisch sparen muß, sucht man es doppelt auszunutzen; man kocht es, um seine Brühe zu haben, und ißt dann das gekochte Fleisch oder brät es noch einmal. „Suppe und Fleisch" ist das Losungswort der bürger¬ lichen Küche in ganz Deutschland. Für den Tisch bedeutet das soviel wie Suppe und Suppenfleisch. Früher war der Unterschied des Wertes der Fleisch- stücke vom Nind so gering, daß auch die besten Stücke gekocht wurden, und da stand das gesottn« „Tellerfleisch," das der Valer vom Holzteller ißt, keinem Braten nach, und das „Rindfleisch mit Beilage" war am Gasthaustisch der Kern des Mittagmahls. Das hat sich in den meisten Gegenden stark geändert, und auf dem Lande essen selbst die wohlhabenden Bauern ein zähes Kuh- oder Stierfleisch, das dem Städter ungenießbar vorkommt. Deswegen nimmt auch die Zubereitung des Fleisches in solchen Formen überHand, wo die schlechte Beschaffenheit des Stückes verdeckt wird: das Kochen des in Stücke geschulteren Fleisches mit Kartoffeln, das gehackte Fleisch, als Kuchen, Klops usw., vor allem aber die zu Zusätzen aller Art einladende Wurst. „Gebacknes" war einst nur der österreichischen Küche eigen, und die Vackhühndl bleiben charakteristisch für Wien und alles Land östlich von Wien, während die Schnitzel als die be¬ quemste Zubereitung des schlechtesten, zu sandartiger Dünne aufgezognen Kalb¬ fleisches sich weit verbreitet haben. Wo ist die alte Kunst des Bratens hinverschwunden, die wir auch darum als eine edle bezeichnen müssen, weil sie dem einfachsten, natürlichen Vorgang noch so nahe stand? Der Jager, der ein Stück Wild erlegte, schnitt ein Stück Fleisch ub und briet es an einem Stab, den er schräg in, die Erde steckte, sodaß das Fleisch gerade vom Feuer bestrichen ward. Er drehte ihn einigemale herum, und der Breiten war fertig mit dem naturmäßigsten, besten Geschmack, dem des frisch gerösteten Fleisches, um das cmsgetretnes Blut und Fett eine schöne, wohlduftende Rinde bilden. Das Braten am Spieß ist eine leichte Ab¬ änderung dieses Verfahrens. In England und Frankreich hört man das Ge¬ räusch des durch ein Uhrwerk gedrehten Bratspießes aus der Wirtsküche, Deutsch¬ land ist fast überall vom Spieß abgegangen. Für die meisten sind die großen Bratspieße in den alten Schlössern fossile Merkwürdigkeiten, und erst das Zeit¬ alter der Butzenscheiben und Truhen hat auch den Spieß da und dort wieder in die Küche zurückgeführt. Das Braten zwischen zwei beweglichen eisernen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/314>, abgerufen am 09.01.2025.