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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das deutsche Dorfwirtshans

Genug nun von der Küche! Es giebt Dinge, von denen man einmal
muß abbrechen können. Mit Recht gilt es als ein Zeichen schlechter Erziehung,
viel vom Essen zu reden. Wir konnten aber an der Küche bei unsrer Wande¬
rung durch das ländliche Wirtshaus nicht vorübergehen, und wollten es nicht,
denn sie ist der Beachtung wohl wert. Vielleicht hat unsre Plauderei, die
nur einzelnes berühren konnte, schon gezeigt, daß sich auch in der Küche der
Charakter und die Geschichte eines Volkes spiegelt. Die Wissenschaft sollte
das wohl in Betracht ziehen- Ich hoffe auch dafür viel von der aufblühenden
Volkskunde. Zwar ist noch in dem neuen Werke "Deutsche Volkskunde" von Elard
Hugo Meder (Straßburg, 1897), das in vielen Beziehungen vortrefflich ist,
die Küche und die Volksernährung so kärglich behandelt, daß man von einer
auffallenden Lücke sprechen kann. Die Bedeutung der Speisen und Getränke,
ihrer Bereitung und ihres Genusses hat der Verfasser dieses Buches offenbar
zu gering geschützt. Sind sie aber nicht mindestens ebenso wichtig wie Dorf¬
anlage, Hausbau, Arbeiten, Feste, Sprüche und Sagen? Ist es vielleicht
weniger der Forschung würdig, der Verwandtschaft des schlesischen Hefenkloßes,
dieser von Dichtern gepriesenen Nationalspeise, mit der schwäbisch-fränkischen
Dampfnudel nachzugehen, als den Beziehungen des schlesischen und fränkischen
Bauernhauses? Auch die Verbreitung der Kochkunst und ihrer Werke zeigt
große Züge, die den Zusammenhang des Alltäglichen mit mächtigen Be¬
wegungen der Geschichte zeigen.

Es giebt zu denken, daß im allgemeinen in Deutschland von Westen nach
Osten die Kochkunst abnimmt. In Süddeutschland ist Baiern, trotz manchem
Guten, tief unter Schwaben, in Mitteldeutschland ist Sachsen ein ausgesprvchnes
Minimalgebiet, in Norddeutschland bietet Westfalen viel mehr eigentümliche gute
Dinge als alles Laud östlich davon. spiegelt sich nicht auch darin der Gang
der deutschen Kultur aus ihren alten rheinischen Sitzen nach Osten wieder, und
die Veränderung und Verarmung als die Folge der Anpflanzung ans neuem
kolonialen Boden, dessen eignes Wachstum niedergetreten war? Rätselhaft bleibt
allerdings der Tiefstand der Kochkunst in ganz Mitteldeutschland von der
belgischen bis zur polnischen Grenze, und ebenso schwer ist die Dürftigkeit der
deutsch-schweizerischen Küche außerhalb des Bannkreises der Fremdengasthänser
zu erklären. Osterreich ist ein Gebiet für sich, dessen Küche unter dem Ein¬
flüsse Italiens und Ungarns in manchen Beziehungen noch die Südwest¬
deutschlands übertrifft, und zwar sind in Osterreich Böhmen und Schlesien
noch trefflich ausgestattet, wo wir auf der deutschen Seite schon einer traurigen
Verarmung gegenüberstehen.




Das deutsche Dorfwirtshans

Genug nun von der Küche! Es giebt Dinge, von denen man einmal
muß abbrechen können. Mit Recht gilt es als ein Zeichen schlechter Erziehung,
viel vom Essen zu reden. Wir konnten aber an der Küche bei unsrer Wande¬
rung durch das ländliche Wirtshaus nicht vorübergehen, und wollten es nicht,
denn sie ist der Beachtung wohl wert. Vielleicht hat unsre Plauderei, die
nur einzelnes berühren konnte, schon gezeigt, daß sich auch in der Küche der
Charakter und die Geschichte eines Volkes spiegelt. Die Wissenschaft sollte
das wohl in Betracht ziehen- Ich hoffe auch dafür viel von der aufblühenden
Volkskunde. Zwar ist noch in dem neuen Werke „Deutsche Volkskunde" von Elard
Hugo Meder (Straßburg, 1897), das in vielen Beziehungen vortrefflich ist,
die Küche und die Volksernährung so kärglich behandelt, daß man von einer
auffallenden Lücke sprechen kann. Die Bedeutung der Speisen und Getränke,
ihrer Bereitung und ihres Genusses hat der Verfasser dieses Buches offenbar
zu gering geschützt. Sind sie aber nicht mindestens ebenso wichtig wie Dorf¬
anlage, Hausbau, Arbeiten, Feste, Sprüche und Sagen? Ist es vielleicht
weniger der Forschung würdig, der Verwandtschaft des schlesischen Hefenkloßes,
dieser von Dichtern gepriesenen Nationalspeise, mit der schwäbisch-fränkischen
Dampfnudel nachzugehen, als den Beziehungen des schlesischen und fränkischen
Bauernhauses? Auch die Verbreitung der Kochkunst und ihrer Werke zeigt
große Züge, die den Zusammenhang des Alltäglichen mit mächtigen Be¬
wegungen der Geschichte zeigen.

Es giebt zu denken, daß im allgemeinen in Deutschland von Westen nach
Osten die Kochkunst abnimmt. In Süddeutschland ist Baiern, trotz manchem
Guten, tief unter Schwaben, in Mitteldeutschland ist Sachsen ein ausgesprvchnes
Minimalgebiet, in Norddeutschland bietet Westfalen viel mehr eigentümliche gute
Dinge als alles Laud östlich davon. spiegelt sich nicht auch darin der Gang
der deutschen Kultur aus ihren alten rheinischen Sitzen nach Osten wieder, und
die Veränderung und Verarmung als die Folge der Anpflanzung ans neuem
kolonialen Boden, dessen eignes Wachstum niedergetreten war? Rätselhaft bleibt
allerdings der Tiefstand der Kochkunst in ganz Mitteldeutschland von der
belgischen bis zur polnischen Grenze, und ebenso schwer ist die Dürftigkeit der
deutsch-schweizerischen Küche außerhalb des Bannkreises der Fremdengasthänser
zu erklären. Osterreich ist ein Gebiet für sich, dessen Küche unter dem Ein¬
flüsse Italiens und Ungarns in manchen Beziehungen noch die Südwest¬
deutschlands übertrifft, und zwar sind in Osterreich Böhmen und Schlesien
noch trefflich ausgestattet, wo wir auf der deutschen Seite schon einer traurigen
Verarmung gegenüberstehen.




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[0316] Das deutsche Dorfwirtshans Genug nun von der Küche! Es giebt Dinge, von denen man einmal muß abbrechen können. Mit Recht gilt es als ein Zeichen schlechter Erziehung, viel vom Essen zu reden. Wir konnten aber an der Küche bei unsrer Wande¬ rung durch das ländliche Wirtshaus nicht vorübergehen, und wollten es nicht, denn sie ist der Beachtung wohl wert. Vielleicht hat unsre Plauderei, die nur einzelnes berühren konnte, schon gezeigt, daß sich auch in der Küche der Charakter und die Geschichte eines Volkes spiegelt. Die Wissenschaft sollte das wohl in Betracht ziehen- Ich hoffe auch dafür viel von der aufblühenden Volkskunde. Zwar ist noch in dem neuen Werke „Deutsche Volkskunde" von Elard Hugo Meder (Straßburg, 1897), das in vielen Beziehungen vortrefflich ist, die Küche und die Volksernährung so kärglich behandelt, daß man von einer auffallenden Lücke sprechen kann. Die Bedeutung der Speisen und Getränke, ihrer Bereitung und ihres Genusses hat der Verfasser dieses Buches offenbar zu gering geschützt. Sind sie aber nicht mindestens ebenso wichtig wie Dorf¬ anlage, Hausbau, Arbeiten, Feste, Sprüche und Sagen? Ist es vielleicht weniger der Forschung würdig, der Verwandtschaft des schlesischen Hefenkloßes, dieser von Dichtern gepriesenen Nationalspeise, mit der schwäbisch-fränkischen Dampfnudel nachzugehen, als den Beziehungen des schlesischen und fränkischen Bauernhauses? Auch die Verbreitung der Kochkunst und ihrer Werke zeigt große Züge, die den Zusammenhang des Alltäglichen mit mächtigen Be¬ wegungen der Geschichte zeigen. Es giebt zu denken, daß im allgemeinen in Deutschland von Westen nach Osten die Kochkunst abnimmt. In Süddeutschland ist Baiern, trotz manchem Guten, tief unter Schwaben, in Mitteldeutschland ist Sachsen ein ausgesprvchnes Minimalgebiet, in Norddeutschland bietet Westfalen viel mehr eigentümliche gute Dinge als alles Laud östlich davon. spiegelt sich nicht auch darin der Gang der deutschen Kultur aus ihren alten rheinischen Sitzen nach Osten wieder, und die Veränderung und Verarmung als die Folge der Anpflanzung ans neuem kolonialen Boden, dessen eignes Wachstum niedergetreten war? Rätselhaft bleibt allerdings der Tiefstand der Kochkunst in ganz Mitteldeutschland von der belgischen bis zur polnischen Grenze, und ebenso schwer ist die Dürftigkeit der deutsch-schweizerischen Küche außerhalb des Bannkreises der Fremdengasthänser zu erklären. Osterreich ist ein Gebiet für sich, dessen Küche unter dem Ein¬ flüsse Italiens und Ungarns in manchen Beziehungen noch die Südwest¬ deutschlands übertrifft, und zwar sind in Osterreich Böhmen und Schlesien noch trefflich ausgestattet, wo wir auf der deutschen Seite schon einer traurigen Verarmung gegenüberstehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/316>, abgerufen am 07.01.2025.