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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Agrarpolitische Aussichten

schaftlicher Interessen hervorgeht, die wir seit dem Weggange des Fürsten
Bismarck leider zu beklagen haben. Ich bin nicht der Meinung, daß der
Weg, den die Herren gehen wollen, der richtige ist. Sie wollen gern einen
Druck auf die Regierung ausüben, um sie landwirtschaftlichen Desiderien zu¬
gänglich zu machen."

Auch an die in den Grenzboten seinerzeit besprochnen "lokalen" Äuße¬
rungen der Landwirtschaftskammer in Stettin in dem Bericht für 1896 sei
beiläufig erinnert, der in der Beschimpfung gipfelt: "Der völlige Ruin ist un¬
ausbleiblich, wenn wir bei einer Wirtschaftspolitik verharren, die dem Aus¬
lande und dem internationalen Großkapital zuliebe die heimische Landwirtschaft
um die Früchte ihrer Arbeit bringt." Von den sonstigen, den sozialdemokra¬
tischen an agitatorischem Gift um nichts nachstehenden öffentlichen Angriffen
der Agrarier gegen die bisherige Agrar- und Handelsvertragspolitik der Ne¬
gierung sei vor der Hand gar nicht gesprochen.

Schon das völlige Schweigen des Grafen von Posadowsky ans die Vor¬
würfe des Grafen zu Limburg und des Herrn von Kardorff im Reichstage
war eine überaus beredte Antwort, zumal da gerade der Bebelsche Vorwurf, die
Interessen der Arbeiter fänden im Reich und in den Einzelstaaten keine Berück¬
sichtigung, schlagend zurückgewiesen worden war. Nach diesen Vorgängen ist
die Erklärung des Freiherrn von Hammerstein im preußischen Abgeordneten¬
hause ein unanfechtbares ?"ter xeov^ol, dessen Bedeutung wesentlich erhöht
wird durch den lauten Beifall, die es aus nationalliberalen Kreisen gefunden
hat. Herr von Hammerstein hat in seiner Rede vom 28. Januar noch fol¬
gende Bemerkung zu machen für nötig gehalten: "Meine Herren, ich kann nnr
oft wiederholt aussprechen, daß die Staatsregierung die schwierige Lage -- ich
will den Ausdruck Notstand gebrauchen -- der Landwirtschaft in vollem Maße
anerkennt, daß dieselbe gewillt ist, mit allen ihr zulässig erscheinenden und zur
Verfügung stehenden Mitteln dem Notstand abzuhelfen. Ich trete vollständig
dem bei, was in der Generaldiskussivn über den Etat Herr von Eynern aus¬
führte, der darlegte: weil seit einer Reihe von Jahren mit reichen Mitteln
das industrielle Gewerbe gefördert sei, so habe jetzt das landwirtschaftliche Ge¬
werbe, selbst wenn es aus den Mitteln geschähe, die wesentlich von der In¬
dustrie dem Staate zuflössen, einen vollberechtigter Anspruch auf gleiche Förde¬
rung dnrch staatliche Unterstützung."

Diese Anführungen werden genügen, dem ernsthaften Politiker jeden
Zweifel zu nehmen über den Stand der agrarpolitischen Aussichten und
namentlich der Aussichten auf wesentlich höhere Getreidezölle. Es ist müßig,
jetzt zu erörtern, wie weit die Flottenfrage dabei mitwirkt; aber es ist klar,
daß sie bei der unverantwortlichen Haltung des "Freisinns," bei der Vater-
landslosigkeit der Sozialdemokratie, bei der zwiespältigen Stellung des Zentrums
und bei den agrarischen Einflüssen in dieser Partei die Negierung zu einer


Agrarpolitische Aussichten

schaftlicher Interessen hervorgeht, die wir seit dem Weggange des Fürsten
Bismarck leider zu beklagen haben. Ich bin nicht der Meinung, daß der
Weg, den die Herren gehen wollen, der richtige ist. Sie wollen gern einen
Druck auf die Regierung ausüben, um sie landwirtschaftlichen Desiderien zu¬
gänglich zu machen."

Auch an die in den Grenzboten seinerzeit besprochnen „lokalen" Äuße¬
rungen der Landwirtschaftskammer in Stettin in dem Bericht für 1896 sei
beiläufig erinnert, der in der Beschimpfung gipfelt: „Der völlige Ruin ist un¬
ausbleiblich, wenn wir bei einer Wirtschaftspolitik verharren, die dem Aus¬
lande und dem internationalen Großkapital zuliebe die heimische Landwirtschaft
um die Früchte ihrer Arbeit bringt." Von den sonstigen, den sozialdemokra¬
tischen an agitatorischem Gift um nichts nachstehenden öffentlichen Angriffen
der Agrarier gegen die bisherige Agrar- und Handelsvertragspolitik der Ne¬
gierung sei vor der Hand gar nicht gesprochen.

Schon das völlige Schweigen des Grafen von Posadowsky ans die Vor¬
würfe des Grafen zu Limburg und des Herrn von Kardorff im Reichstage
war eine überaus beredte Antwort, zumal da gerade der Bebelsche Vorwurf, die
Interessen der Arbeiter fänden im Reich und in den Einzelstaaten keine Berück¬
sichtigung, schlagend zurückgewiesen worden war. Nach diesen Vorgängen ist
die Erklärung des Freiherrn von Hammerstein im preußischen Abgeordneten¬
hause ein unanfechtbares ?»ter xeov^ol, dessen Bedeutung wesentlich erhöht
wird durch den lauten Beifall, die es aus nationalliberalen Kreisen gefunden
hat. Herr von Hammerstein hat in seiner Rede vom 28. Januar noch fol¬
gende Bemerkung zu machen für nötig gehalten: „Meine Herren, ich kann nnr
oft wiederholt aussprechen, daß die Staatsregierung die schwierige Lage — ich
will den Ausdruck Notstand gebrauchen — der Landwirtschaft in vollem Maße
anerkennt, daß dieselbe gewillt ist, mit allen ihr zulässig erscheinenden und zur
Verfügung stehenden Mitteln dem Notstand abzuhelfen. Ich trete vollständig
dem bei, was in der Generaldiskussivn über den Etat Herr von Eynern aus¬
führte, der darlegte: weil seit einer Reihe von Jahren mit reichen Mitteln
das industrielle Gewerbe gefördert sei, so habe jetzt das landwirtschaftliche Ge¬
werbe, selbst wenn es aus den Mitteln geschähe, die wesentlich von der In¬
dustrie dem Staate zuflössen, einen vollberechtigter Anspruch auf gleiche Förde¬
rung dnrch staatliche Unterstützung."

Diese Anführungen werden genügen, dem ernsthaften Politiker jeden
Zweifel zu nehmen über den Stand der agrarpolitischen Aussichten und
namentlich der Aussichten auf wesentlich höhere Getreidezölle. Es ist müßig,
jetzt zu erörtern, wie weit die Flottenfrage dabei mitwirkt; aber es ist klar,
daß sie bei der unverantwortlichen Haltung des „Freisinns," bei der Vater-
landslosigkeit der Sozialdemokratie, bei der zwiespältigen Stellung des Zentrums
und bei den agrarischen Einflüssen in dieser Partei die Negierung zu einer


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[0304] Agrarpolitische Aussichten schaftlicher Interessen hervorgeht, die wir seit dem Weggange des Fürsten Bismarck leider zu beklagen haben. Ich bin nicht der Meinung, daß der Weg, den die Herren gehen wollen, der richtige ist. Sie wollen gern einen Druck auf die Regierung ausüben, um sie landwirtschaftlichen Desiderien zu¬ gänglich zu machen." Auch an die in den Grenzboten seinerzeit besprochnen „lokalen" Äuße¬ rungen der Landwirtschaftskammer in Stettin in dem Bericht für 1896 sei beiläufig erinnert, der in der Beschimpfung gipfelt: „Der völlige Ruin ist un¬ ausbleiblich, wenn wir bei einer Wirtschaftspolitik verharren, die dem Aus¬ lande und dem internationalen Großkapital zuliebe die heimische Landwirtschaft um die Früchte ihrer Arbeit bringt." Von den sonstigen, den sozialdemokra¬ tischen an agitatorischem Gift um nichts nachstehenden öffentlichen Angriffen der Agrarier gegen die bisherige Agrar- und Handelsvertragspolitik der Ne¬ gierung sei vor der Hand gar nicht gesprochen. Schon das völlige Schweigen des Grafen von Posadowsky ans die Vor¬ würfe des Grafen zu Limburg und des Herrn von Kardorff im Reichstage war eine überaus beredte Antwort, zumal da gerade der Bebelsche Vorwurf, die Interessen der Arbeiter fänden im Reich und in den Einzelstaaten keine Berück¬ sichtigung, schlagend zurückgewiesen worden war. Nach diesen Vorgängen ist die Erklärung des Freiherrn von Hammerstein im preußischen Abgeordneten¬ hause ein unanfechtbares ?»ter xeov^ol, dessen Bedeutung wesentlich erhöht wird durch den lauten Beifall, die es aus nationalliberalen Kreisen gefunden hat. Herr von Hammerstein hat in seiner Rede vom 28. Januar noch fol¬ gende Bemerkung zu machen für nötig gehalten: „Meine Herren, ich kann nnr oft wiederholt aussprechen, daß die Staatsregierung die schwierige Lage — ich will den Ausdruck Notstand gebrauchen — der Landwirtschaft in vollem Maße anerkennt, daß dieselbe gewillt ist, mit allen ihr zulässig erscheinenden und zur Verfügung stehenden Mitteln dem Notstand abzuhelfen. Ich trete vollständig dem bei, was in der Generaldiskussivn über den Etat Herr von Eynern aus¬ führte, der darlegte: weil seit einer Reihe von Jahren mit reichen Mitteln das industrielle Gewerbe gefördert sei, so habe jetzt das landwirtschaftliche Ge¬ werbe, selbst wenn es aus den Mitteln geschähe, die wesentlich von der In¬ dustrie dem Staate zuflössen, einen vollberechtigter Anspruch auf gleiche Förde¬ rung dnrch staatliche Unterstützung." Diese Anführungen werden genügen, dem ernsthaften Politiker jeden Zweifel zu nehmen über den Stand der agrarpolitischen Aussichten und namentlich der Aussichten auf wesentlich höhere Getreidezölle. Es ist müßig, jetzt zu erörtern, wie weit die Flottenfrage dabei mitwirkt; aber es ist klar, daß sie bei der unverantwortlichen Haltung des „Freisinns," bei der Vater- landslosigkeit der Sozialdemokratie, bei der zwiespältigen Stellung des Zentrums und bei den agrarischen Einflüssen in dieser Partei die Negierung zu einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/304>, abgerufen am 08.01.2025.