Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Aber darf man wohl erwarten, daß einer der Herren ostdeutschen -- ge¬ Aber darf man wohl erwarten, daß einer der Herren ostdeutschen — ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227205"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1018" next="#ID_1019"> Aber darf man wohl erwarten, daß einer der Herren ostdeutschen — ge¬<lb/> schweige der ostpreußischen — Agrarier das Bedürfnis fühlen könnte, sich<lb/> besser über irgend etwas zu unterrichten, nachdem das Agrariertum so glänzend<lb/> in der Haupt- und Kernfrage gesiegt hat? Der preußische Landwirtschafts¬<lb/> minister hat am 28. Januar im Abgeordnetenhause „sich für ermächtigt" ge¬<lb/> halten, namens der Staatsregierung folgendes zu erklären: „Die Königliche<lb/> Staatsregierung ist gewillt, bei der Entscheidung der Frage, wie dem Auslande<lb/> gegenüber künftig unsre Handels- und wirtschaftlichen Beziehungen zu ordnen<lb/> sein werden, sorgsam zu prüfen, wie bei diesen Verhandlungen die Interessen<lb/> der Landwirtschaft besser gewahrt werden können und müssen, als das bisher<lb/> der Fall gewesen ist." Diese Erklärung wird von den Agrariern auf der<lb/> ganzen Linie als ein voller Sieg gefeiert, obwohl ihr Wortlaut hundert Hinter¬<lb/> thüren offen läßt. Aber die Agrarier haben nach Lage der Umstände entschieden<lb/> Recht mit ihrer Auffassung. Die Lage wird durch folgende Vorgänge hin¬<lb/> reichend charakteristrt. Buchenberger hatte in seinen „Grundzügen der deutschen<lb/> Agrarpolitik" von ausgesprochen landwirtschaftfreundlichem Standpunkte nach¬<lb/> zuweisen gesucht und — wie Freiherr von Hammerstein selbst gewiß anerkennen<lb/> wird — auch nachgewiesen: „daß angesichts der unzweifelhaft gegebnen sehr<lb/> schwierigen Lage des landwirtschaftlichen Gewerbes die landwirtschaftliche<lb/> Staatsfürsorge zu keiner Zeit kräftiger und planmäßiger ihres Amts gewaltet<lb/> hat als in der Gegenwart." Er hatte, davon ausgehend, nachdrücklich davor<lb/> gewarnt, daß man der Negiernngspolitik, die nicht gleich alle laut gewordnen<lb/> Wünsche voll berücksichtige, sofort den Vorwurf einer „Preisgabe landwirt¬<lb/> schaftlicher Interessen" mache. Dem gegenüber ruft Graf Klinckowström aus:<lb/> „Wer in aller Welt hat derartiges behauptet? Uns, die wir doch alle Ver¬<lb/> treter agrarischer Interessen in den Parlamenten kennen und jede Rede sorg¬<lb/> fältig verfolgen, ist ähnliches nie zu Ohren gekommen." Dabei hatte im<lb/> Reichstage bei der ersten Lesung der Flottenvorlage am 6. Dezember v. I.<lb/> Graf zu Limburg-Stirnen wörtlich erklärt: „Meine Herren, welchen Schaden<lb/> diese Politik der Unterdrückung der Landwirtschaft (d. h. die Agrarpolitik seit<lb/> 1890) gehabt hat, können Sie daraus ersehen, daß jetzt in vielen Kreisen<lb/> abweichend von früher das Interesse für die Flotte gesunken ist. Wir wissen,<lb/> daß man in vielen landwirtschaftlichen Kreisen diese Vorlage und überhaupt<lb/> Vewilligungeu für die Flotte nicht wünscht. Die Männer sind doch zu einem<lb/> solchen Grade vou Entrüstung gekommen, daß sie sagen, wenn man uns so<lb/> schlecht behandelt, dann soll für die Industrie und den Handel nichts geschehen<lb/> und nichts bewilligt werden." Und am 13. Dezember hatte sich der Abgeordnete<lb/> von Kardorff im Reichstage zum Etat 1898 folgendermaßen über die der<lb/> Flottenverstärkung feindliche Stimmung unter den Landwirten geäußert: „Meine<lb/> Herren, das ist eine Stimmung, die sehr verbreitet ist, und die, wie ich aller¬<lb/> dings anerkennen muß, aus derjenigen mangelhaften Berücksichtigung lcmdwirt-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0303]
Aber darf man wohl erwarten, daß einer der Herren ostdeutschen — ge¬
schweige der ostpreußischen — Agrarier das Bedürfnis fühlen könnte, sich
besser über irgend etwas zu unterrichten, nachdem das Agrariertum so glänzend
in der Haupt- und Kernfrage gesiegt hat? Der preußische Landwirtschafts¬
minister hat am 28. Januar im Abgeordnetenhause „sich für ermächtigt" ge¬
halten, namens der Staatsregierung folgendes zu erklären: „Die Königliche
Staatsregierung ist gewillt, bei der Entscheidung der Frage, wie dem Auslande
gegenüber künftig unsre Handels- und wirtschaftlichen Beziehungen zu ordnen
sein werden, sorgsam zu prüfen, wie bei diesen Verhandlungen die Interessen
der Landwirtschaft besser gewahrt werden können und müssen, als das bisher
der Fall gewesen ist." Diese Erklärung wird von den Agrariern auf der
ganzen Linie als ein voller Sieg gefeiert, obwohl ihr Wortlaut hundert Hinter¬
thüren offen läßt. Aber die Agrarier haben nach Lage der Umstände entschieden
Recht mit ihrer Auffassung. Die Lage wird durch folgende Vorgänge hin¬
reichend charakteristrt. Buchenberger hatte in seinen „Grundzügen der deutschen
Agrarpolitik" von ausgesprochen landwirtschaftfreundlichem Standpunkte nach¬
zuweisen gesucht und — wie Freiherr von Hammerstein selbst gewiß anerkennen
wird — auch nachgewiesen: „daß angesichts der unzweifelhaft gegebnen sehr
schwierigen Lage des landwirtschaftlichen Gewerbes die landwirtschaftliche
Staatsfürsorge zu keiner Zeit kräftiger und planmäßiger ihres Amts gewaltet
hat als in der Gegenwart." Er hatte, davon ausgehend, nachdrücklich davor
gewarnt, daß man der Negiernngspolitik, die nicht gleich alle laut gewordnen
Wünsche voll berücksichtige, sofort den Vorwurf einer „Preisgabe landwirt¬
schaftlicher Interessen" mache. Dem gegenüber ruft Graf Klinckowström aus:
„Wer in aller Welt hat derartiges behauptet? Uns, die wir doch alle Ver¬
treter agrarischer Interessen in den Parlamenten kennen und jede Rede sorg¬
fältig verfolgen, ist ähnliches nie zu Ohren gekommen." Dabei hatte im
Reichstage bei der ersten Lesung der Flottenvorlage am 6. Dezember v. I.
Graf zu Limburg-Stirnen wörtlich erklärt: „Meine Herren, welchen Schaden
diese Politik der Unterdrückung der Landwirtschaft (d. h. die Agrarpolitik seit
1890) gehabt hat, können Sie daraus ersehen, daß jetzt in vielen Kreisen
abweichend von früher das Interesse für die Flotte gesunken ist. Wir wissen,
daß man in vielen landwirtschaftlichen Kreisen diese Vorlage und überhaupt
Vewilligungeu für die Flotte nicht wünscht. Die Männer sind doch zu einem
solchen Grade vou Entrüstung gekommen, daß sie sagen, wenn man uns so
schlecht behandelt, dann soll für die Industrie und den Handel nichts geschehen
und nichts bewilligt werden." Und am 13. Dezember hatte sich der Abgeordnete
von Kardorff im Reichstage zum Etat 1898 folgendermaßen über die der
Flottenverstärkung feindliche Stimmung unter den Landwirten geäußert: „Meine
Herren, das ist eine Stimmung, die sehr verbreitet ist, und die, wie ich aller¬
dings anerkennen muß, aus derjenigen mangelhaften Berücksichtigung lcmdwirt-
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