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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Agrarpolitische Aussichten

hcmptet, die Erträge deckten nirgends mehr die Produktionskosten, aber man
könne trotzdem auch das letzte Sechstel des Gutswerts ohne Risiko zu 3 Prozent
beleihen. Bei einem so krausen Durcheinander von Widersprüchen und Un¬
verstand -- dem übrigens Graf Klinckowström selbst sich recht geschickt zu ent¬
ziehen weiß -- kann man sich eigentlich über nichts mehr wundern, und hoffent¬
lich wird sich auch Dr. Buchenberger das Scheitern seines Versuchs, die agra¬
rischen Wirrköpfe zur Vernunft zu bringen, nicht allzusehr zu Herzen nehmen.

Das Hauptziel der ostelbischen Wünsche ist und bleibt die Quintessenz
des Antrags Kanitz: die sofortige Hebung der Getreidepreise auf die bekannte
mittlere Höhe. Daß Buchenberger die Wiederherstellung der Zollsätze des
Gesetzes von 1887, fünf Mark für Weizen und Roggen, als die äußerste
Grenze einer etwaigen Zollerhöhung bezeichnet, ist deshalb auch für Graf
Klinckowström besonders störend, vollends bei der "Stellung," die Buchen¬
berger einnimmt, und bei der Bedeutung, "die seine Haltung als Mitglied des
Bundesrath hat." Alles spitzt sich auf das Verlangen zu, erheblich höhere
Getreidezölle zu erreichen -- wenn nicht sofort, so doch bei der bevorstehenden
Neuordnung unsrer Zoll- und Handelsvertragsverhältnisse. Der Stand dieser
Frage wird deshalb bei der folgenden Betrachtung unsrer agrarpolitischen
Aussichten -- nachdem die Klinckowströmsche Schrift uns im allgemeinen
über die agrarischen Wünsche orientirt hat -- besonders zu berücksich¬
tigen sein.

Nur beiläufig seien vorher noch einem Geschichtsirrtum, dem in der ost¬
preußischen Agrarbewegung eine besondre Rolle angewiesen zu werden Pflegt,
einige Worte gewidmet. Graf Klinkowström glaubt die agrarischen Forde¬
rungen durch folgenden Hinweis auf die Leistungen der ostpreußischen Land¬
wirtschaft zur Zeit der Freiheitskriege besonders unterstützen zu können: "Wäre
damals die Provinz nicht in so blühender Lage, der Grundbesitz so wenig ver¬
schuldet gewesen, nie hätte Ostpreußen so wesentlich zur Wiedergeburt des
Staats beitragen können." Es ist erstaunlich, wie diese Fabel zur allgemein
anerkannten Wahrheit geworden ist! Es ist in den Grenzboten (Ur. 28, Jahr¬
gang 1896) in einem Aufsatz "Agrarische Sünden vor hundert Jahren" auf
Grund der Schilderungen des Generals von Boyen, Ch. E. Langethals, von
Knoblochs usw. bereits zur Genüge nachgewiesen worden, daß die Not der
napoleonischen Schreckenszeit gerade Ostpreußens Grundbesitzer in einem Zu¬
stande tiefster Verschuldung und völligen Verfalls überraschte, in den sie durch
eine zehnjährige Periode wilder Güterspeknlation hineingeraten waren. Daran
ist nichts zu beschönigen, nichts zu bemänteln. Den agrarischen Anmaßungen
wird durch nichts mehr der Boden unter den Füßen weggezogen als durch
die Geschichte der ostpreußischen Landwirtschaft in jener Zeit. Graf Klinckow¬
ström wird seinen Irrtum sicher selbst einsehen, wenn er sich die Mühe nimmt,
sich genauer zu unterrichten.


Agrarpolitische Aussichten

hcmptet, die Erträge deckten nirgends mehr die Produktionskosten, aber man
könne trotzdem auch das letzte Sechstel des Gutswerts ohne Risiko zu 3 Prozent
beleihen. Bei einem so krausen Durcheinander von Widersprüchen und Un¬
verstand — dem übrigens Graf Klinckowström selbst sich recht geschickt zu ent¬
ziehen weiß — kann man sich eigentlich über nichts mehr wundern, und hoffent¬
lich wird sich auch Dr. Buchenberger das Scheitern seines Versuchs, die agra¬
rischen Wirrköpfe zur Vernunft zu bringen, nicht allzusehr zu Herzen nehmen.

Das Hauptziel der ostelbischen Wünsche ist und bleibt die Quintessenz
des Antrags Kanitz: die sofortige Hebung der Getreidepreise auf die bekannte
mittlere Höhe. Daß Buchenberger die Wiederherstellung der Zollsätze des
Gesetzes von 1887, fünf Mark für Weizen und Roggen, als die äußerste
Grenze einer etwaigen Zollerhöhung bezeichnet, ist deshalb auch für Graf
Klinckowström besonders störend, vollends bei der „Stellung," die Buchen¬
berger einnimmt, und bei der Bedeutung, „die seine Haltung als Mitglied des
Bundesrath hat." Alles spitzt sich auf das Verlangen zu, erheblich höhere
Getreidezölle zu erreichen — wenn nicht sofort, so doch bei der bevorstehenden
Neuordnung unsrer Zoll- und Handelsvertragsverhältnisse. Der Stand dieser
Frage wird deshalb bei der folgenden Betrachtung unsrer agrarpolitischen
Aussichten — nachdem die Klinckowströmsche Schrift uns im allgemeinen
über die agrarischen Wünsche orientirt hat — besonders zu berücksich¬
tigen sein.

Nur beiläufig seien vorher noch einem Geschichtsirrtum, dem in der ost¬
preußischen Agrarbewegung eine besondre Rolle angewiesen zu werden Pflegt,
einige Worte gewidmet. Graf Klinkowström glaubt die agrarischen Forde¬
rungen durch folgenden Hinweis auf die Leistungen der ostpreußischen Land¬
wirtschaft zur Zeit der Freiheitskriege besonders unterstützen zu können: „Wäre
damals die Provinz nicht in so blühender Lage, der Grundbesitz so wenig ver¬
schuldet gewesen, nie hätte Ostpreußen so wesentlich zur Wiedergeburt des
Staats beitragen können." Es ist erstaunlich, wie diese Fabel zur allgemein
anerkannten Wahrheit geworden ist! Es ist in den Grenzboten (Ur. 28, Jahr¬
gang 1896) in einem Aufsatz „Agrarische Sünden vor hundert Jahren" auf
Grund der Schilderungen des Generals von Boyen, Ch. E. Langethals, von
Knoblochs usw. bereits zur Genüge nachgewiesen worden, daß die Not der
napoleonischen Schreckenszeit gerade Ostpreußens Grundbesitzer in einem Zu¬
stande tiefster Verschuldung und völligen Verfalls überraschte, in den sie durch
eine zehnjährige Periode wilder Güterspeknlation hineingeraten waren. Daran
ist nichts zu beschönigen, nichts zu bemänteln. Den agrarischen Anmaßungen
wird durch nichts mehr der Boden unter den Füßen weggezogen als durch
die Geschichte der ostpreußischen Landwirtschaft in jener Zeit. Graf Klinckow¬
ström wird seinen Irrtum sicher selbst einsehen, wenn er sich die Mühe nimmt,
sich genauer zu unterrichten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/302>, abgerufen am 09.01.2025.