Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Agrarpolitische Aussichten

Thätigkeit" wenig Raum bleibe. "Ist Herrn Buchenberger, so fragt er, be¬
kannt, daß die königlich preußischen Eisenbahnen Arbeitertransporten nach dem
Westen Fahrpreisermäßigungen bis zu 1,5 Pfennigen bewilligen? Unsre Pro¬
dukte (Getreide) dürfen wir beileibe nicht an den Westen abgeben, lebende
Fracht in Menschen dagegen ist hochwillkomner!" Eine Einschränkung der
Freizügigkeit hält er z. B. in der Form des "Anzugsgeldes" sür geboten.
Auch gegen den Koutraktbruch der Arbeiter und das Agentenwesen, das die
Arbeiter für die westlichen Jndustriebezirke werbe, könne der Staat Hilfe
schaffen. Wir gehen auf die Fragen ebenso wenig näher ein, wie auf das,
was Graf Klinckowström an der Eisenbahntarifpolitik Preußens und der An¬
sicht Buchenbergers darüber, und zwar teilweis nicht ohne Grund, bemängelt.
Auch seiue Klagen über die Arbeiterversicherung seien nur erwähnt. Wichtiger
ist das entschiedne Verlangen, die Goldwährung zu beseitigen, das hier wieder
einmal als die allgemeine Ansicht der ostdeutschen Landwirte hingestellt wird.
Diese Forderung spielt unter den agrarischen Aufregungsmitteln in der That
nach wie vor eine bevorzugte Rolle, der gegenüber Buchenbergers Beruhigungs¬
versuche völlig gescheitert sind. Es hat den Grafen Klinckowström besonders
interessirt, daß Vuchenberger "zugiebt," eine "schlechtere Währung" bedeute für
den Schuldner eine Entlastung und für den Gläubiger eine Schädigung.
"Dieser Satz umgekehrt -- sagt der Graf -- zeigt, welchen Schaden die
Einführung der Goldwährung in Deutschland den verschuldeten Grundbesitzern
gebracht hat. Damit ist also auch die Stellung der Landwirtschaft zu dieser
Frage erklärt." Soll das heißen, daß die Landwirte durch die Goldwährung
insofern geschädigt worden wären, als sie die früher in Silber erhaltnen Dar¬
lehen später hätten in Gold bezahlen müssen, so ist diese Frage für die heutige
Lage völlig wesenlos geworden. Schon die Bewegung der Landgüterpreise
nach Einführung der Goldwährung bis in die neunziger Jahre und nicht
minder die des Zinsfußes widersprechen der Ansicht vollständig, daß die
Hhpothekenschuldner durch Einführung der Goldwährung geschädigt seien.
Den heutigen Grundbesitzern kommt es in der Währungsfrage darauf an,
und das ist es auch, was sie an Buchenbergers Ausführungen besonders
interessiren muß, daß sie bei Verschlechterung der jetzigen Währung hoffen, die
in Gold eingegangnen Schulden in Silber zurückzahlen zu können. Buchen-
berger warnt davor, dieser Hoffnung zu viel Wert beizulegen, und das mit
Recht. Das "Kapital," das angeblich so dumm und so schlecht zugleich ist,
den ertragloscn Grundbesitz durch übermäßige Bcleihungen zu "enteignen,"
könnte doch am Ende einmal klug werden und die Tasche zuhalten. Das un¬
ausgesetzte Drohen mit dem allgemeinen Bankerott und der Verschlechterung
der Währung muß auch dem sorglosesten Kapitalisten mit der Zeit den Erwerb
von landwirtschaftlichen Hypotheken und Pfandbriefen verleiden. Und was ist
dann die Folge? Freilich wird ja im agrarischen Lager in einem Atem be-


Grenzboten I 1893 88
Agrarpolitische Aussichten

Thätigkeit" wenig Raum bleibe. „Ist Herrn Buchenberger, so fragt er, be¬
kannt, daß die königlich preußischen Eisenbahnen Arbeitertransporten nach dem
Westen Fahrpreisermäßigungen bis zu 1,5 Pfennigen bewilligen? Unsre Pro¬
dukte (Getreide) dürfen wir beileibe nicht an den Westen abgeben, lebende
Fracht in Menschen dagegen ist hochwillkomner!" Eine Einschränkung der
Freizügigkeit hält er z. B. in der Form des „Anzugsgeldes" sür geboten.
Auch gegen den Koutraktbruch der Arbeiter und das Agentenwesen, das die
Arbeiter für die westlichen Jndustriebezirke werbe, könne der Staat Hilfe
schaffen. Wir gehen auf die Fragen ebenso wenig näher ein, wie auf das,
was Graf Klinckowström an der Eisenbahntarifpolitik Preußens und der An¬
sicht Buchenbergers darüber, und zwar teilweis nicht ohne Grund, bemängelt.
Auch seiue Klagen über die Arbeiterversicherung seien nur erwähnt. Wichtiger
ist das entschiedne Verlangen, die Goldwährung zu beseitigen, das hier wieder
einmal als die allgemeine Ansicht der ostdeutschen Landwirte hingestellt wird.
Diese Forderung spielt unter den agrarischen Aufregungsmitteln in der That
nach wie vor eine bevorzugte Rolle, der gegenüber Buchenbergers Beruhigungs¬
versuche völlig gescheitert sind. Es hat den Grafen Klinckowström besonders
interessirt, daß Vuchenberger „zugiebt," eine „schlechtere Währung" bedeute für
den Schuldner eine Entlastung und für den Gläubiger eine Schädigung.
„Dieser Satz umgekehrt — sagt der Graf — zeigt, welchen Schaden die
Einführung der Goldwährung in Deutschland den verschuldeten Grundbesitzern
gebracht hat. Damit ist also auch die Stellung der Landwirtschaft zu dieser
Frage erklärt." Soll das heißen, daß die Landwirte durch die Goldwährung
insofern geschädigt worden wären, als sie die früher in Silber erhaltnen Dar¬
lehen später hätten in Gold bezahlen müssen, so ist diese Frage für die heutige
Lage völlig wesenlos geworden. Schon die Bewegung der Landgüterpreise
nach Einführung der Goldwährung bis in die neunziger Jahre und nicht
minder die des Zinsfußes widersprechen der Ansicht vollständig, daß die
Hhpothekenschuldner durch Einführung der Goldwährung geschädigt seien.
Den heutigen Grundbesitzern kommt es in der Währungsfrage darauf an,
und das ist es auch, was sie an Buchenbergers Ausführungen besonders
interessiren muß, daß sie bei Verschlechterung der jetzigen Währung hoffen, die
in Gold eingegangnen Schulden in Silber zurückzahlen zu können. Buchen-
berger warnt davor, dieser Hoffnung zu viel Wert beizulegen, und das mit
Recht. Das „Kapital," das angeblich so dumm und so schlecht zugleich ist,
den ertragloscn Grundbesitz durch übermäßige Bcleihungen zu „enteignen,"
könnte doch am Ende einmal klug werden und die Tasche zuhalten. Das un¬
ausgesetzte Drohen mit dem allgemeinen Bankerott und der Verschlechterung
der Währung muß auch dem sorglosesten Kapitalisten mit der Zeit den Erwerb
von landwirtschaftlichen Hypotheken und Pfandbriefen verleiden. Und was ist
dann die Folge? Freilich wird ja im agrarischen Lager in einem Atem be-


Grenzboten I 1893 88
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227203"/>
          <fw type="header" place="top"> Agrarpolitische Aussichten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1014" prev="#ID_1013" next="#ID_1015"> Thätigkeit" wenig Raum bleibe. &#x201E;Ist Herrn Buchenberger, so fragt er, be¬<lb/>
kannt, daß die königlich preußischen Eisenbahnen Arbeitertransporten nach dem<lb/>
Westen Fahrpreisermäßigungen bis zu 1,5 Pfennigen bewilligen? Unsre Pro¬<lb/>
dukte (Getreide) dürfen wir beileibe nicht an den Westen abgeben, lebende<lb/>
Fracht in Menschen dagegen ist hochwillkomner!" Eine Einschränkung der<lb/>
Freizügigkeit hält er z. B. in der Form des &#x201E;Anzugsgeldes" sür geboten.<lb/>
Auch gegen den Koutraktbruch der Arbeiter und das Agentenwesen, das die<lb/>
Arbeiter für die westlichen Jndustriebezirke werbe, könne der Staat Hilfe<lb/>
schaffen. Wir gehen auf die Fragen ebenso wenig näher ein, wie auf das,<lb/>
was Graf Klinckowström an der Eisenbahntarifpolitik Preußens und der An¬<lb/>
sicht Buchenbergers darüber, und zwar teilweis nicht ohne Grund, bemängelt.<lb/>
Auch seiue Klagen über die Arbeiterversicherung seien nur erwähnt. Wichtiger<lb/>
ist das entschiedne Verlangen, die Goldwährung zu beseitigen, das hier wieder<lb/>
einmal als die allgemeine Ansicht der ostdeutschen Landwirte hingestellt wird.<lb/>
Diese Forderung spielt unter den agrarischen Aufregungsmitteln in der That<lb/>
nach wie vor eine bevorzugte Rolle, der gegenüber Buchenbergers Beruhigungs¬<lb/>
versuche völlig gescheitert sind. Es hat den Grafen Klinckowström besonders<lb/>
interessirt, daß Vuchenberger &#x201E;zugiebt," eine &#x201E;schlechtere Währung" bedeute für<lb/>
den Schuldner eine Entlastung und für den Gläubiger eine Schädigung.<lb/>
&#x201E;Dieser Satz umgekehrt &#x2014; sagt der Graf &#x2014; zeigt, welchen Schaden die<lb/>
Einführung der Goldwährung in Deutschland den verschuldeten Grundbesitzern<lb/>
gebracht hat. Damit ist also auch die Stellung der Landwirtschaft zu dieser<lb/>
Frage erklärt." Soll das heißen, daß die Landwirte durch die Goldwährung<lb/>
insofern geschädigt worden wären, als sie die früher in Silber erhaltnen Dar¬<lb/>
lehen später hätten in Gold bezahlen müssen, so ist diese Frage für die heutige<lb/>
Lage völlig wesenlos geworden. Schon die Bewegung der Landgüterpreise<lb/>
nach Einführung der Goldwährung bis in die neunziger Jahre und nicht<lb/>
minder die des Zinsfußes widersprechen der Ansicht vollständig, daß die<lb/>
Hhpothekenschuldner durch Einführung der Goldwährung geschädigt seien.<lb/>
Den heutigen Grundbesitzern kommt es in der Währungsfrage darauf an,<lb/>
und das ist es auch, was sie an Buchenbergers Ausführungen besonders<lb/>
interessiren muß, daß sie bei Verschlechterung der jetzigen Währung hoffen, die<lb/>
in Gold eingegangnen Schulden in Silber zurückzahlen zu können. Buchen-<lb/>
berger warnt davor, dieser Hoffnung zu viel Wert beizulegen, und das mit<lb/>
Recht. Das &#x201E;Kapital," das angeblich so dumm und so schlecht zugleich ist,<lb/>
den ertragloscn Grundbesitz durch übermäßige Bcleihungen zu &#x201E;enteignen,"<lb/>
könnte doch am Ende einmal klug werden und die Tasche zuhalten. Das un¬<lb/>
ausgesetzte Drohen mit dem allgemeinen Bankerott und der Verschlechterung<lb/>
der Währung muß auch dem sorglosesten Kapitalisten mit der Zeit den Erwerb<lb/>
von landwirtschaftlichen Hypotheken und Pfandbriefen verleiden. Und was ist<lb/>
dann die Folge?  Freilich wird ja im agrarischen Lager in einem Atem be-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1893 88</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0301] Agrarpolitische Aussichten Thätigkeit" wenig Raum bleibe. „Ist Herrn Buchenberger, so fragt er, be¬ kannt, daß die königlich preußischen Eisenbahnen Arbeitertransporten nach dem Westen Fahrpreisermäßigungen bis zu 1,5 Pfennigen bewilligen? Unsre Pro¬ dukte (Getreide) dürfen wir beileibe nicht an den Westen abgeben, lebende Fracht in Menschen dagegen ist hochwillkomner!" Eine Einschränkung der Freizügigkeit hält er z. B. in der Form des „Anzugsgeldes" sür geboten. Auch gegen den Koutraktbruch der Arbeiter und das Agentenwesen, das die Arbeiter für die westlichen Jndustriebezirke werbe, könne der Staat Hilfe schaffen. Wir gehen auf die Fragen ebenso wenig näher ein, wie auf das, was Graf Klinckowström an der Eisenbahntarifpolitik Preußens und der An¬ sicht Buchenbergers darüber, und zwar teilweis nicht ohne Grund, bemängelt. Auch seiue Klagen über die Arbeiterversicherung seien nur erwähnt. Wichtiger ist das entschiedne Verlangen, die Goldwährung zu beseitigen, das hier wieder einmal als die allgemeine Ansicht der ostdeutschen Landwirte hingestellt wird. Diese Forderung spielt unter den agrarischen Aufregungsmitteln in der That nach wie vor eine bevorzugte Rolle, der gegenüber Buchenbergers Beruhigungs¬ versuche völlig gescheitert sind. Es hat den Grafen Klinckowström besonders interessirt, daß Vuchenberger „zugiebt," eine „schlechtere Währung" bedeute für den Schuldner eine Entlastung und für den Gläubiger eine Schädigung. „Dieser Satz umgekehrt — sagt der Graf — zeigt, welchen Schaden die Einführung der Goldwährung in Deutschland den verschuldeten Grundbesitzern gebracht hat. Damit ist also auch die Stellung der Landwirtschaft zu dieser Frage erklärt." Soll das heißen, daß die Landwirte durch die Goldwährung insofern geschädigt worden wären, als sie die früher in Silber erhaltnen Dar¬ lehen später hätten in Gold bezahlen müssen, so ist diese Frage für die heutige Lage völlig wesenlos geworden. Schon die Bewegung der Landgüterpreise nach Einführung der Goldwährung bis in die neunziger Jahre und nicht minder die des Zinsfußes widersprechen der Ansicht vollständig, daß die Hhpothekenschuldner durch Einführung der Goldwährung geschädigt seien. Den heutigen Grundbesitzern kommt es in der Währungsfrage darauf an, und das ist es auch, was sie an Buchenbergers Ausführungen besonders interessiren muß, daß sie bei Verschlechterung der jetzigen Währung hoffen, die in Gold eingegangnen Schulden in Silber zurückzahlen zu können. Buchen- berger warnt davor, dieser Hoffnung zu viel Wert beizulegen, und das mit Recht. Das „Kapital," das angeblich so dumm und so schlecht zugleich ist, den ertragloscn Grundbesitz durch übermäßige Bcleihungen zu „enteignen," könnte doch am Ende einmal klug werden und die Tasche zuhalten. Das un¬ ausgesetzte Drohen mit dem allgemeinen Bankerott und der Verschlechterung der Währung muß auch dem sorglosesten Kapitalisten mit der Zeit den Erwerb von landwirtschaftlichen Hypotheken und Pfandbriefen verleiden. Und was ist dann die Folge? Freilich wird ja im agrarischen Lager in einem Atem be- Grenzboten I 1893 88

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/301
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/301>, abgerufen am 09.01.2025.