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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Agrarxolitische Aussichten

Landwirtschaft, sondern das ganze Land einer sehr wertvollen Kulturquelle
berauben würde. Wir glauben, daß die ostelbischen Großgrundbesitzer noch
eine sehr wichtige soziale, wirtschaftliche und politische Aufgabe zu losen haben,
die im Westen nicht leicht verstanden wird, und daß sie diese Aufgabe zu
lösen auch ganz und gar die rechten Leute sein werden, wenn nur erst die
agrarische Unruhe und Neuerungssucht wieder aus ihnen herausgebracht sein
wird. Auch Professor Conrad in Halle, dieser vortreffliche Kenner und un¬
befangne Beurteiler der Agrarzustünde des Ostens, hat immer vor der Nitter-
gutszerschlagungsmcmie gewarnt. Aber damit ist keineswegs die sogenannte
"innere Kolonisation" überhaupt verworfen. Sie fängt, wie alles in der
Agrarpolitik, außer dem Schuldenmachen und dem Güterpreistreiben, langsam
an, sich auf der Grundlage der Stein-Hardenbergschen Agrarverfasfung ganz
von selbst zu entwickeln, bisher nach der landwirtschaftlichen Betriebsstatistik
in einem durchaus gesunden, mäßigen Tempo. Man braucht augenblicklich
den Prozeß künstlich gar nicht zu beschleunigen, soweit nicht andre, z. B.
nationalpolitische Rücksichten, das empfehlen. Aber ihr für ewige Zeiten,
obwohl das Tempo der innern Kolonisation ein so mäßiges ist, durch Bindung
des kleinen wie des großen Grundbesitzes im Osten den Riegel vorschieben zu
wollen, das mag vielleicht genial sein; aber vermessen im höchsten Grade wäre
es jedenfalls. Es wäre das Zeichen einer revolutionären Neuerungssucht, die
dadurch nicht konservativer wird, daß sie die Reformen der großen Männer am
Anfang des Jahrhunderts beseitigen und den damals beseitigten Zuständen ent¬
sprechende wieder herstellen möchte. Am Ende unsers Jahrhunderts würde das
ein blinder waghalsiger Sprung ins völlig Ungewisse sein. Graf Klinckowström
und seine Gesinnungsgenossen sollten sich übrigens darüber nicht mehr allzu¬
lange täuschen, daß sie in der Befürwortung des genialen Umsturzes der
Stein-Hardenbergschen Agrarverfasfung im Ernst doch nur die Geschobnen sind,
die zu schieben meinen. Es wird ein recht interessantes Schauspiel werden,
wenn sich die kathedersozialistischen Agrarprofessoren mit den ostpreußischen
Majvratsherren einmal auseinandersetzen werden-

Natürlich kann Graf Klinckowström auch über die agrarische Verschuldungs¬
frage nicht mit Bnchenberger einig werden. Zunächst ist ihm in den "Grund-
zügen" der Satz sehr unangenehm aufgefallen, daß "die durchgängige hohe
und übermäßige Verschuldung der ganzen deutschen Landbevölkerung bis jetzt in
keinem einzigen deutschen Staat statistisch nachweisbar" gewesen, daß vielmehr
nachgewiesen sei, daß zwar in bestimmten Gegenden und Gemeindell der
Berschnldungsprozentsatz hoch ist, daß aber diese verschuldeten Gemeinden
überall mit solchen durchsetzt sind, die eine vergleichsweise geringe oder jeden¬
falls unbedenkliche Höhe der Verschuldung ausweisen. Graf Klinckowström
beruft sich auf die ^Statistik Preußens," in der auf Grund der Mehrver¬
schuldung von 1886/87 bis 1892/93 vorausgesagt sei: "Wenn es in dieser


Agrarxolitische Aussichten

Landwirtschaft, sondern das ganze Land einer sehr wertvollen Kulturquelle
berauben würde. Wir glauben, daß die ostelbischen Großgrundbesitzer noch
eine sehr wichtige soziale, wirtschaftliche und politische Aufgabe zu losen haben,
die im Westen nicht leicht verstanden wird, und daß sie diese Aufgabe zu
lösen auch ganz und gar die rechten Leute sein werden, wenn nur erst die
agrarische Unruhe und Neuerungssucht wieder aus ihnen herausgebracht sein
wird. Auch Professor Conrad in Halle, dieser vortreffliche Kenner und un¬
befangne Beurteiler der Agrarzustünde des Ostens, hat immer vor der Nitter-
gutszerschlagungsmcmie gewarnt. Aber damit ist keineswegs die sogenannte
„innere Kolonisation" überhaupt verworfen. Sie fängt, wie alles in der
Agrarpolitik, außer dem Schuldenmachen und dem Güterpreistreiben, langsam
an, sich auf der Grundlage der Stein-Hardenbergschen Agrarverfasfung ganz
von selbst zu entwickeln, bisher nach der landwirtschaftlichen Betriebsstatistik
in einem durchaus gesunden, mäßigen Tempo. Man braucht augenblicklich
den Prozeß künstlich gar nicht zu beschleunigen, soweit nicht andre, z. B.
nationalpolitische Rücksichten, das empfehlen. Aber ihr für ewige Zeiten,
obwohl das Tempo der innern Kolonisation ein so mäßiges ist, durch Bindung
des kleinen wie des großen Grundbesitzes im Osten den Riegel vorschieben zu
wollen, das mag vielleicht genial sein; aber vermessen im höchsten Grade wäre
es jedenfalls. Es wäre das Zeichen einer revolutionären Neuerungssucht, die
dadurch nicht konservativer wird, daß sie die Reformen der großen Männer am
Anfang des Jahrhunderts beseitigen und den damals beseitigten Zuständen ent¬
sprechende wieder herstellen möchte. Am Ende unsers Jahrhunderts würde das
ein blinder waghalsiger Sprung ins völlig Ungewisse sein. Graf Klinckowström
und seine Gesinnungsgenossen sollten sich übrigens darüber nicht mehr allzu¬
lange täuschen, daß sie in der Befürwortung des genialen Umsturzes der
Stein-Hardenbergschen Agrarverfasfung im Ernst doch nur die Geschobnen sind,
die zu schieben meinen. Es wird ein recht interessantes Schauspiel werden,
wenn sich die kathedersozialistischen Agrarprofessoren mit den ostpreußischen
Majvratsherren einmal auseinandersetzen werden-

Natürlich kann Graf Klinckowström auch über die agrarische Verschuldungs¬
frage nicht mit Bnchenberger einig werden. Zunächst ist ihm in den „Grund-
zügen" der Satz sehr unangenehm aufgefallen, daß „die durchgängige hohe
und übermäßige Verschuldung der ganzen deutschen Landbevölkerung bis jetzt in
keinem einzigen deutschen Staat statistisch nachweisbar" gewesen, daß vielmehr
nachgewiesen sei, daß zwar in bestimmten Gegenden und Gemeindell der
Berschnldungsprozentsatz hoch ist, daß aber diese verschuldeten Gemeinden
überall mit solchen durchsetzt sind, die eine vergleichsweise geringe oder jeden¬
falls unbedenkliche Höhe der Verschuldung ausweisen. Graf Klinckowström
beruft sich auf die ^Statistik Preußens," in der auf Grund der Mehrver¬
schuldung von 1886/87 bis 1892/93 vorausgesagt sei: „Wenn es in dieser


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[0299] Agrarxolitische Aussichten Landwirtschaft, sondern das ganze Land einer sehr wertvollen Kulturquelle berauben würde. Wir glauben, daß die ostelbischen Großgrundbesitzer noch eine sehr wichtige soziale, wirtschaftliche und politische Aufgabe zu losen haben, die im Westen nicht leicht verstanden wird, und daß sie diese Aufgabe zu lösen auch ganz und gar die rechten Leute sein werden, wenn nur erst die agrarische Unruhe und Neuerungssucht wieder aus ihnen herausgebracht sein wird. Auch Professor Conrad in Halle, dieser vortreffliche Kenner und un¬ befangne Beurteiler der Agrarzustünde des Ostens, hat immer vor der Nitter- gutszerschlagungsmcmie gewarnt. Aber damit ist keineswegs die sogenannte „innere Kolonisation" überhaupt verworfen. Sie fängt, wie alles in der Agrarpolitik, außer dem Schuldenmachen und dem Güterpreistreiben, langsam an, sich auf der Grundlage der Stein-Hardenbergschen Agrarverfasfung ganz von selbst zu entwickeln, bisher nach der landwirtschaftlichen Betriebsstatistik in einem durchaus gesunden, mäßigen Tempo. Man braucht augenblicklich den Prozeß künstlich gar nicht zu beschleunigen, soweit nicht andre, z. B. nationalpolitische Rücksichten, das empfehlen. Aber ihr für ewige Zeiten, obwohl das Tempo der innern Kolonisation ein so mäßiges ist, durch Bindung des kleinen wie des großen Grundbesitzes im Osten den Riegel vorschieben zu wollen, das mag vielleicht genial sein; aber vermessen im höchsten Grade wäre es jedenfalls. Es wäre das Zeichen einer revolutionären Neuerungssucht, die dadurch nicht konservativer wird, daß sie die Reformen der großen Männer am Anfang des Jahrhunderts beseitigen und den damals beseitigten Zuständen ent¬ sprechende wieder herstellen möchte. Am Ende unsers Jahrhunderts würde das ein blinder waghalsiger Sprung ins völlig Ungewisse sein. Graf Klinckowström und seine Gesinnungsgenossen sollten sich übrigens darüber nicht mehr allzu¬ lange täuschen, daß sie in der Befürwortung des genialen Umsturzes der Stein-Hardenbergschen Agrarverfasfung im Ernst doch nur die Geschobnen sind, die zu schieben meinen. Es wird ein recht interessantes Schauspiel werden, wenn sich die kathedersozialistischen Agrarprofessoren mit den ostpreußischen Majvratsherren einmal auseinandersetzen werden- Natürlich kann Graf Klinckowström auch über die agrarische Verschuldungs¬ frage nicht mit Bnchenberger einig werden. Zunächst ist ihm in den „Grund- zügen" der Satz sehr unangenehm aufgefallen, daß „die durchgängige hohe und übermäßige Verschuldung der ganzen deutschen Landbevölkerung bis jetzt in keinem einzigen deutschen Staat statistisch nachweisbar" gewesen, daß vielmehr nachgewiesen sei, daß zwar in bestimmten Gegenden und Gemeindell der Berschnldungsprozentsatz hoch ist, daß aber diese verschuldeten Gemeinden überall mit solchen durchsetzt sind, die eine vergleichsweise geringe oder jeden¬ falls unbedenkliche Höhe der Verschuldung ausweisen. Graf Klinckowström beruft sich auf die ^Statistik Preußens," in der auf Grund der Mehrver¬ schuldung von 1886/87 bis 1892/93 vorausgesagt sei: „Wenn es in dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/299>, abgerufen am 08.01.2025.