Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ver Zusammenschluß der Deutschen in (Österreich

Österreichs zu vollberechtigter Gliedern unsrer Nation macht, ist heute enger als
je, das Bewußtsein der nationalen Gemeinschaft stärker als jemals vor 1866.
Was 1866 zerbrochen worden ist, das ist die unnatürliche Vorherrschaft eines
Staats, der die innere Kraft, also das Recht, sie festzuhalten, gar nicht hatte,
und die notwendige Erneuerung der deutschen Gesamtverfassung schlechterdings
immer nur hinderte, niemals förderte. Zweitens: Die schwersten und bittersten
Erfahrungen, vor allem der Jahre 1848/49, haben unwiderleglich bewiesen:
mit Österreich war nur ein lockerer Staatenbund möglich, der weder die Sicherheit
noch vollends die Wohlfahrt der Nation irgendwie verbürgte; eine bundes¬
staatliche Einheit, die allein diese Bedingung erfüllen konnte, war und ist nur
ohne Österreich denkbar. Drittens: Die Reaktion der österreichischen Slawen
gegen die deutsche Kulturherrschaft war schon längst vor 1866 eingeleitet und
würde sich auch ohne die damalige Trennung weiter entwickelt haben, wie
denn schon 1848 die tschechischen Wahlkreise die Wahlen zum Frankfurter
Parlament verweigert haben. Viertens: Den Eintritt Deutsch-Österreichs in
das deutsche Reich fordern, heißt auf der einen Seite den Habsburger" zu¬
muten, ihre Monarchie in zwei selbständige Mittelstaaten zu zerlegen und auf
ihre Großmachtstellung zu verzichten, aus der andern Seite Deutschland zu¬
muten, seine schwer errungne Einheit zu lockern und sich zu seinen Polen
auch noch acht Millionen Tschechen und Slowenen auf den Hals zu laden,
also Unmögliches verlangen. Dazu kann ein reichsdeutscher Patriot niemals
die Hand bieten. Doch genug hiervon.

Was in Österreich geschehen muß, um den Bestand des Reiches zu sichern,
das kann und muß von Österreich allein gethan werden. Alles kommt jetzt
darauf an, daß die Regierung dort mit unbeirrbarer Festigkeit ein klares Ziel
verfolgt; nur dann werden die Nationalitäten endlich lernen, sich in die geo¬
graphischen und historischen Bedingungen ihrer Lage zu finden. Das erste und
wichtigste ist, daß endlich wieder, seitdem man sich ein Menschenalter lang an
der Sisyphusarbeit abgemüht hat, die kleinen Nationalitäten zu befriedigen,
das Interesse des Staats als maßgebend energisch betont wird, denn die erste
Aufgabe des Staats ist, sich selbst zu behaupten, und das größte Verbrechen
einer Regierung ist die Schwäche, die aus irgend welchen untergeordneten
Gründen diese nächste Pflicht versäumt, wie es in Österreich jahrzehntelang
geschehen ist. Sodann muß man an der Gleichberechtigung der österreichischen
Völker in dem Sinne, daß der Angehörige jedes Volksstammes überall die¬
selben Rechte genießt, ebenso entschieden festhalten, wie man die Gleichberech¬
tigung der Sprachen, die so oft damit verwechselt wird, verneinen muß. Denn
einmal sind Mundarten, die von wenigen Millionen Menschen gesprochen
werden, nun und nimmer mit den großen Kultursprachen gleichwertig; kommt
man doch nicht einmal in Böhmen und Mähren mit der Kenntnis des
Tschechischen allein durch, und kein gebildeter Mensch außerhalb Böhmens


Ver Zusammenschluß der Deutschen in (Österreich

Österreichs zu vollberechtigter Gliedern unsrer Nation macht, ist heute enger als
je, das Bewußtsein der nationalen Gemeinschaft stärker als jemals vor 1866.
Was 1866 zerbrochen worden ist, das ist die unnatürliche Vorherrschaft eines
Staats, der die innere Kraft, also das Recht, sie festzuhalten, gar nicht hatte,
und die notwendige Erneuerung der deutschen Gesamtverfassung schlechterdings
immer nur hinderte, niemals förderte. Zweitens: Die schwersten und bittersten
Erfahrungen, vor allem der Jahre 1848/49, haben unwiderleglich bewiesen:
mit Österreich war nur ein lockerer Staatenbund möglich, der weder die Sicherheit
noch vollends die Wohlfahrt der Nation irgendwie verbürgte; eine bundes¬
staatliche Einheit, die allein diese Bedingung erfüllen konnte, war und ist nur
ohne Österreich denkbar. Drittens: Die Reaktion der österreichischen Slawen
gegen die deutsche Kulturherrschaft war schon längst vor 1866 eingeleitet und
würde sich auch ohne die damalige Trennung weiter entwickelt haben, wie
denn schon 1848 die tschechischen Wahlkreise die Wahlen zum Frankfurter
Parlament verweigert haben. Viertens: Den Eintritt Deutsch-Österreichs in
das deutsche Reich fordern, heißt auf der einen Seite den Habsburger» zu¬
muten, ihre Monarchie in zwei selbständige Mittelstaaten zu zerlegen und auf
ihre Großmachtstellung zu verzichten, aus der andern Seite Deutschland zu¬
muten, seine schwer errungne Einheit zu lockern und sich zu seinen Polen
auch noch acht Millionen Tschechen und Slowenen auf den Hals zu laden,
also Unmögliches verlangen. Dazu kann ein reichsdeutscher Patriot niemals
die Hand bieten. Doch genug hiervon.

Was in Österreich geschehen muß, um den Bestand des Reiches zu sichern,
das kann und muß von Österreich allein gethan werden. Alles kommt jetzt
darauf an, daß die Regierung dort mit unbeirrbarer Festigkeit ein klares Ziel
verfolgt; nur dann werden die Nationalitäten endlich lernen, sich in die geo¬
graphischen und historischen Bedingungen ihrer Lage zu finden. Das erste und
wichtigste ist, daß endlich wieder, seitdem man sich ein Menschenalter lang an
der Sisyphusarbeit abgemüht hat, die kleinen Nationalitäten zu befriedigen,
das Interesse des Staats als maßgebend energisch betont wird, denn die erste
Aufgabe des Staats ist, sich selbst zu behaupten, und das größte Verbrechen
einer Regierung ist die Schwäche, die aus irgend welchen untergeordneten
Gründen diese nächste Pflicht versäumt, wie es in Österreich jahrzehntelang
geschehen ist. Sodann muß man an der Gleichberechtigung der österreichischen
Völker in dem Sinne, daß der Angehörige jedes Volksstammes überall die¬
selben Rechte genießt, ebenso entschieden festhalten, wie man die Gleichberech¬
tigung der Sprachen, die so oft damit verwechselt wird, verneinen muß. Denn
einmal sind Mundarten, die von wenigen Millionen Menschen gesprochen
werden, nun und nimmer mit den großen Kultursprachen gleichwertig; kommt
man doch nicht einmal in Böhmen und Mähren mit der Kenntnis des
Tschechischen allein durch, und kein gebildeter Mensch außerhalb Böhmens


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227197"/>
          <fw type="header" place="top"> Ver Zusammenschluß der Deutschen in (Österreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1000" prev="#ID_999"> Österreichs zu vollberechtigter Gliedern unsrer Nation macht, ist heute enger als<lb/>
je, das Bewußtsein der nationalen Gemeinschaft stärker als jemals vor 1866.<lb/>
Was 1866 zerbrochen worden ist, das ist die unnatürliche Vorherrschaft eines<lb/>
Staats, der die innere Kraft, also das Recht, sie festzuhalten, gar nicht hatte,<lb/>
und die notwendige Erneuerung der deutschen Gesamtverfassung schlechterdings<lb/>
immer nur hinderte, niemals förderte. Zweitens: Die schwersten und bittersten<lb/>
Erfahrungen, vor allem der Jahre 1848/49, haben unwiderleglich bewiesen:<lb/>
mit Österreich war nur ein lockerer Staatenbund möglich, der weder die Sicherheit<lb/>
noch vollends die Wohlfahrt der Nation irgendwie verbürgte; eine bundes¬<lb/>
staatliche Einheit, die allein diese Bedingung erfüllen konnte, war und ist nur<lb/>
ohne Österreich denkbar. Drittens: Die Reaktion der österreichischen Slawen<lb/>
gegen die deutsche Kulturherrschaft war schon längst vor 1866 eingeleitet und<lb/>
würde sich auch ohne die damalige Trennung weiter entwickelt haben, wie<lb/>
denn schon 1848 die tschechischen Wahlkreise die Wahlen zum Frankfurter<lb/>
Parlament verweigert haben. Viertens: Den Eintritt Deutsch-Österreichs in<lb/>
das deutsche Reich fordern, heißt auf der einen Seite den Habsburger» zu¬<lb/>
muten, ihre Monarchie in zwei selbständige Mittelstaaten zu zerlegen und auf<lb/>
ihre Großmachtstellung zu verzichten, aus der andern Seite Deutschland zu¬<lb/>
muten, seine schwer errungne Einheit zu lockern und sich zu seinen Polen<lb/>
auch noch acht Millionen Tschechen und Slowenen auf den Hals zu laden,<lb/>
also Unmögliches verlangen. Dazu kann ein reichsdeutscher Patriot niemals<lb/>
die Hand bieten.  Doch genug hiervon.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1001" next="#ID_1002"> Was in Österreich geschehen muß, um den Bestand des Reiches zu sichern,<lb/>
das kann und muß von Österreich allein gethan werden. Alles kommt jetzt<lb/>
darauf an, daß die Regierung dort mit unbeirrbarer Festigkeit ein klares Ziel<lb/>
verfolgt; nur dann werden die Nationalitäten endlich lernen, sich in die geo¬<lb/>
graphischen und historischen Bedingungen ihrer Lage zu finden. Das erste und<lb/>
wichtigste ist, daß endlich wieder, seitdem man sich ein Menschenalter lang an<lb/>
der Sisyphusarbeit abgemüht hat, die kleinen Nationalitäten zu befriedigen,<lb/>
das Interesse des Staats als maßgebend energisch betont wird, denn die erste<lb/>
Aufgabe des Staats ist, sich selbst zu behaupten, und das größte Verbrechen<lb/>
einer Regierung ist die Schwäche, die aus irgend welchen untergeordneten<lb/>
Gründen diese nächste Pflicht versäumt, wie es in Österreich jahrzehntelang<lb/>
geschehen ist. Sodann muß man an der Gleichberechtigung der österreichischen<lb/>
Völker in dem Sinne, daß der Angehörige jedes Volksstammes überall die¬<lb/>
selben Rechte genießt, ebenso entschieden festhalten, wie man die Gleichberech¬<lb/>
tigung der Sprachen, die so oft damit verwechselt wird, verneinen muß. Denn<lb/>
einmal sind Mundarten, die von wenigen Millionen Menschen gesprochen<lb/>
werden, nun und nimmer mit den großen Kultursprachen gleichwertig; kommt<lb/>
man doch nicht einmal in Böhmen und Mähren mit der Kenntnis des<lb/>
Tschechischen allein durch, und kein gebildeter Mensch außerhalb Böhmens</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0295] Ver Zusammenschluß der Deutschen in (Österreich Österreichs zu vollberechtigter Gliedern unsrer Nation macht, ist heute enger als je, das Bewußtsein der nationalen Gemeinschaft stärker als jemals vor 1866. Was 1866 zerbrochen worden ist, das ist die unnatürliche Vorherrschaft eines Staats, der die innere Kraft, also das Recht, sie festzuhalten, gar nicht hatte, und die notwendige Erneuerung der deutschen Gesamtverfassung schlechterdings immer nur hinderte, niemals förderte. Zweitens: Die schwersten und bittersten Erfahrungen, vor allem der Jahre 1848/49, haben unwiderleglich bewiesen: mit Österreich war nur ein lockerer Staatenbund möglich, der weder die Sicherheit noch vollends die Wohlfahrt der Nation irgendwie verbürgte; eine bundes¬ staatliche Einheit, die allein diese Bedingung erfüllen konnte, war und ist nur ohne Österreich denkbar. Drittens: Die Reaktion der österreichischen Slawen gegen die deutsche Kulturherrschaft war schon längst vor 1866 eingeleitet und würde sich auch ohne die damalige Trennung weiter entwickelt haben, wie denn schon 1848 die tschechischen Wahlkreise die Wahlen zum Frankfurter Parlament verweigert haben. Viertens: Den Eintritt Deutsch-Österreichs in das deutsche Reich fordern, heißt auf der einen Seite den Habsburger» zu¬ muten, ihre Monarchie in zwei selbständige Mittelstaaten zu zerlegen und auf ihre Großmachtstellung zu verzichten, aus der andern Seite Deutschland zu¬ muten, seine schwer errungne Einheit zu lockern und sich zu seinen Polen auch noch acht Millionen Tschechen und Slowenen auf den Hals zu laden, also Unmögliches verlangen. Dazu kann ein reichsdeutscher Patriot niemals die Hand bieten. Doch genug hiervon. Was in Österreich geschehen muß, um den Bestand des Reiches zu sichern, das kann und muß von Österreich allein gethan werden. Alles kommt jetzt darauf an, daß die Regierung dort mit unbeirrbarer Festigkeit ein klares Ziel verfolgt; nur dann werden die Nationalitäten endlich lernen, sich in die geo¬ graphischen und historischen Bedingungen ihrer Lage zu finden. Das erste und wichtigste ist, daß endlich wieder, seitdem man sich ein Menschenalter lang an der Sisyphusarbeit abgemüht hat, die kleinen Nationalitäten zu befriedigen, das Interesse des Staats als maßgebend energisch betont wird, denn die erste Aufgabe des Staats ist, sich selbst zu behaupten, und das größte Verbrechen einer Regierung ist die Schwäche, die aus irgend welchen untergeordneten Gründen diese nächste Pflicht versäumt, wie es in Österreich jahrzehntelang geschehen ist. Sodann muß man an der Gleichberechtigung der österreichischen Völker in dem Sinne, daß der Angehörige jedes Volksstammes überall die¬ selben Rechte genießt, ebenso entschieden festhalten, wie man die Gleichberech¬ tigung der Sprachen, die so oft damit verwechselt wird, verneinen muß. Denn einmal sind Mundarten, die von wenigen Millionen Menschen gesprochen werden, nun und nimmer mit den großen Kultursprachen gleichwertig; kommt man doch nicht einmal in Böhmen und Mähren mit der Kenntnis des Tschechischen allein durch, und kein gebildeter Mensch außerhalb Böhmens

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/295
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/295>, abgerufen am 08.01.2025.