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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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wird den geringsten Mangel an seiner Bildung verspüren, wenn er von
tschechischer Litteratur gar nichts weiß. Sodann bedarf jeder Staat einer Staats¬
sprache, die in möglichst weiten Kreisen verstanden wird. Wie weit er von der
Strenge dieser unabweislichen Forderung abgehen kann, das hängt von den
Umständen ab; thut er es, so macht er Zugeständnisse, erfüllt aber keine recht¬
lich begründete Forderung. Diese Staatssprache kann natürlich in den öster¬
reichischen Ländern diesseits der Leitha schlechterdings mir das Deutsche sein,
ohne daß damit die Deutschen zum Herrenvolkc und alle andern Stämme zu
Unterthanen dieses Herrenvolkes würden. Einer solchen Notwendigkeit müssen
sich ja auch die Deutschen in Ungarn und Nußland fügen. Drittens muß die
längst vorgeschlagne Teilung Böhmens und Mährens in nationale Verwaltungs¬
bezirke endlich durchgeführt und damit die schlimmste Veranlassung zu den
endlosen und zwecklosen nationalen Händeln beseitigt werden. Das bedeutet
freilich für die Tschechen den Verzicht auf die Tschechisirnng ganz Böhmens,
aber diese wäre nicht ohne die gröbste Vergewaltigung der Deutschen und
wahrscheinlich nicht einmal mit dieser durchführbar, und über den Rechten der
Nationalität steht das Recht der Kultur. Die staatsrechtliche Einheit des
"Königreichs" Böhmen wird dadurch so wenig verletzt wie die des Kantons
Bern dadurch, daß dort Deutsch und Französisch in den verschiednen Teilen
der Landschaft amtlich gebraucht werden, und selbst wenn dies der Fall
wäre: Böhmen ist eben thatsächlich nichts weiter als eine österreichische
Provinz, und man hätte das ewige müßige Gerede vom böhmischen Staats¬
recht eher zum Schweigen gebracht, wenn man, wie Joseph II. es wollte,
die alten, politisch längst bedeutungslos gemordnen Titulaturen der "König¬
reiche und Länder" einfach beseitigt und sie auch dem Namen nach in Pro¬
vinzen verwandelt hätte, statt die stolzen Titel aus einer gewissen Eitelkeit
beizubehalten. Im Interesse einer sichern Mehrheit im Neichsrate endlich wäre
natürlich die Sonderstellung mindestens von Galizien, das die deutsche Ver-
fassnngspartei sowieso den Polen schon ausgeliefert hat, aber sie ist jetzt, min¬
destens ans verfassungsmäßigen Wege, schmerlich mehr zu erreichen.

Jedenfalls stehen also die österreichischen Slawen seit dem Zusammen¬
schlüsse der Deutschen einer ganz neuen Lage gegenüber, und die alte Mehr¬
heit des Reichsrath ist zersprengt. Wenn tschechische Blätter jetzt damit drohen,
daß nunmehr 16 Millionen Slawen den 8 Millionen Deutschen gegenüber
treten würden, so will das wenig sagen, denn diese 16 Millionen bilden nicht
ein Volk, sondern mindestens vier Völker von ganz verschiednen Interessen, die
sich sogar unter einander nur verständigen können, wenn sie Deutsch reden, und
die Polen werden sich hüten, den Tschechen die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
Das Deutsche Reich aber würde den Gesundnngsprvzeß, der sich i" Österreich
einzuleiten scheint, wenn die Regierung wirklich weiß, was sie will und thut,
was sie muß, nur stören, wenn es irgendwelche Gelüste verraten wollte, sich


wird den geringsten Mangel an seiner Bildung verspüren, wenn er von
tschechischer Litteratur gar nichts weiß. Sodann bedarf jeder Staat einer Staats¬
sprache, die in möglichst weiten Kreisen verstanden wird. Wie weit er von der
Strenge dieser unabweislichen Forderung abgehen kann, das hängt von den
Umständen ab; thut er es, so macht er Zugeständnisse, erfüllt aber keine recht¬
lich begründete Forderung. Diese Staatssprache kann natürlich in den öster¬
reichischen Ländern diesseits der Leitha schlechterdings mir das Deutsche sein,
ohne daß damit die Deutschen zum Herrenvolkc und alle andern Stämme zu
Unterthanen dieses Herrenvolkes würden. Einer solchen Notwendigkeit müssen
sich ja auch die Deutschen in Ungarn und Nußland fügen. Drittens muß die
längst vorgeschlagne Teilung Böhmens und Mährens in nationale Verwaltungs¬
bezirke endlich durchgeführt und damit die schlimmste Veranlassung zu den
endlosen und zwecklosen nationalen Händeln beseitigt werden. Das bedeutet
freilich für die Tschechen den Verzicht auf die Tschechisirnng ganz Böhmens,
aber diese wäre nicht ohne die gröbste Vergewaltigung der Deutschen und
wahrscheinlich nicht einmal mit dieser durchführbar, und über den Rechten der
Nationalität steht das Recht der Kultur. Die staatsrechtliche Einheit des
„Königreichs" Böhmen wird dadurch so wenig verletzt wie die des Kantons
Bern dadurch, daß dort Deutsch und Französisch in den verschiednen Teilen
der Landschaft amtlich gebraucht werden, und selbst wenn dies der Fall
wäre: Böhmen ist eben thatsächlich nichts weiter als eine österreichische
Provinz, und man hätte das ewige müßige Gerede vom böhmischen Staats¬
recht eher zum Schweigen gebracht, wenn man, wie Joseph II. es wollte,
die alten, politisch längst bedeutungslos gemordnen Titulaturen der „König¬
reiche und Länder" einfach beseitigt und sie auch dem Namen nach in Pro¬
vinzen verwandelt hätte, statt die stolzen Titel aus einer gewissen Eitelkeit
beizubehalten. Im Interesse einer sichern Mehrheit im Neichsrate endlich wäre
natürlich die Sonderstellung mindestens von Galizien, das die deutsche Ver-
fassnngspartei sowieso den Polen schon ausgeliefert hat, aber sie ist jetzt, min¬
destens ans verfassungsmäßigen Wege, schmerlich mehr zu erreichen.

Jedenfalls stehen also die österreichischen Slawen seit dem Zusammen¬
schlüsse der Deutschen einer ganz neuen Lage gegenüber, und die alte Mehr¬
heit des Reichsrath ist zersprengt. Wenn tschechische Blätter jetzt damit drohen,
daß nunmehr 16 Millionen Slawen den 8 Millionen Deutschen gegenüber
treten würden, so will das wenig sagen, denn diese 16 Millionen bilden nicht
ein Volk, sondern mindestens vier Völker von ganz verschiednen Interessen, die
sich sogar unter einander nur verständigen können, wenn sie Deutsch reden, und
die Polen werden sich hüten, den Tschechen die Kastanien aus dem Feuer zu holen.
Das Deutsche Reich aber würde den Gesundnngsprvzeß, der sich i» Österreich
einzuleiten scheint, wenn die Regierung wirklich weiß, was sie will und thut,
was sie muß, nur stören, wenn es irgendwelche Gelüste verraten wollte, sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/296>, abgerufen am 07.01.2025.