Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Der Zusammenschluß der Deutschen in Österreich färben offen zu tragen, durch die Haltung des vornehmen und geringen Gegenüber dem Deutschen Reiche hat die Mehrzahl der Deutsch-Österreicher Der Zusammenschluß der Deutschen in Österreich färben offen zu tragen, durch die Haltung des vornehmen und geringen Gegenüber dem Deutschen Reiche hat die Mehrzahl der Deutsch-Österreicher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227196"/> <fw type="header" place="top"> Der Zusammenschluß der Deutschen in Österreich</fw><lb/> <p xml:id="ID_998" prev="#ID_997"> färben offen zu tragen, durch die Haltung des vornehmen und geringen<lb/> tschechischen Pöbels in Prag erzwungen, und wie weit es sachlich begründet<lb/> ist, das läßt sich schwer beurteilen; aber wie die Dinge dort nun einmal<lb/> liegen, mußte es den Deutschen als eine schwächliche Nachgiebigkeit des Statt¬<lb/> halters gegenüber der brutalen Unduldsamkeit der Tschechen erscheinen, deren<lb/> blinder Nationalhaß so weit gediehen ist, daß sie in der Hauptstadt ihres<lb/> nun doch einmal zweisprachigen „Königreichs" den deutschen Mitbürgern<lb/> nicht einmal das Recht des nationalen Daseins zugestehen wollen. Gerade<lb/> deshalb wäre es aufs tiefste zu beklagen, wenn die deutschen Hochschulen<lb/> schließlich den Kampf um ihre Stellung in der Landeshauptstadt aufgeben<lb/> und einen uralten Vorposten deutscher Wissenschaft vor den Nachkommen der<lb/> Hussiten ebenso räumen wollten, wie es 1409 vor diesen selbst geschehen ist.<lb/> Wir wollen und können das bis jetzt nicht glauben, denn das wäre zugleich<lb/> eine schwere Niederlage der Regierung, die damit zugestehen würde, daß sie<lb/> nicht imstande sei, auch nur die Ordnung in den Straßen einer aufgeregten<lb/> Stadt gegen Pöbelrotten zu behaupten, geschweige denn nationale Minderheiten<lb/> gegen rohe Vergewaltigung zu schützen.</p><lb/> <p xml:id="ID_999" next="#ID_1000"> Gegenüber dem Deutschen Reiche hat die Mehrzahl der Deutsch-Österreicher<lb/> in dieser Zeit der größten nationalen Aufregung eine durchaus korrekte Haltung<lb/> beobachtet und damit das Vertrauen auf ihre Besonnenheit, die allein ihnen<lb/> den Sieg geben kann, wesentlich verstärkt. Sie haben mehrfach nachdrücklich<lb/> erklärt, daß sie vom Deutschen Reiche weder eine Intervention erwarten und<lb/> wünschen, noch daß sie vollends auf einen Zerfall Österreichs rechnen. Sie<lb/> wollen lediglich Sympathiekundgebungen aus dem Reiche, und diese sind ihnen in<lb/> der verschiedensten Weise und von den verschiedensten Seiten, auch im deutschen<lb/> Reichstage, zu teil geworden. Nur die Schönerergruppe hat in ihrem Organ<lb/> den Vorschlag gemacht, Österreich möge sich gegenüber Ungarn auf die Per¬<lb/> sonalunion zurückziehen und mit seinen alten Bundesländern in das deutsche<lb/> Reich eintreten. Da es auch in Deutschland noch unklare Köpfe giebt, die die<lb/> Notwendigkeit der Ereignisse von 1866, also die Grundlagen unsers Reichs,<lb/> nicht begreifen können und von der Geschichte nichts lernen wollen, so wollen<lb/> wir hier nochmals die sattsam bekannten und ganz unbestreitbaren Grundthat¬<lb/> sachen kurz zusammenfassen. Erstens: Die Trennung von 1866 war keine<lb/> „Amputation," denn amputiren kann man nur, was organisch mit einem<lb/> Körper verwachsen ist; Österreich aber stand vor 1866 nur in einem völker¬<lb/> rechtlichen Vertragsverhältnis, nicht in einem staatsrechtlichen Verbände mit dem<lb/> übrigen Deutschland, und dies völkerrechtliche Verhältnis ist seit 1871, noch<lb/> mehr seit 1879 nicht nur mit den ehemaligen Bundesländern, sondern mit<lb/> der Gesamtmonarchie in sehr wirksamer Weise wiederhergestellt worden. Eine<lb/> engere wirtschaftliche Vereinigung bestand auch vor 1866 nicht, konnte also<lb/> auch nicht gelöst werden, und die geistige Verbindung, die allein die Deutschen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0294]
Der Zusammenschluß der Deutschen in Österreich
färben offen zu tragen, durch die Haltung des vornehmen und geringen
tschechischen Pöbels in Prag erzwungen, und wie weit es sachlich begründet
ist, das läßt sich schwer beurteilen; aber wie die Dinge dort nun einmal
liegen, mußte es den Deutschen als eine schwächliche Nachgiebigkeit des Statt¬
halters gegenüber der brutalen Unduldsamkeit der Tschechen erscheinen, deren
blinder Nationalhaß so weit gediehen ist, daß sie in der Hauptstadt ihres
nun doch einmal zweisprachigen „Königreichs" den deutschen Mitbürgern
nicht einmal das Recht des nationalen Daseins zugestehen wollen. Gerade
deshalb wäre es aufs tiefste zu beklagen, wenn die deutschen Hochschulen
schließlich den Kampf um ihre Stellung in der Landeshauptstadt aufgeben
und einen uralten Vorposten deutscher Wissenschaft vor den Nachkommen der
Hussiten ebenso räumen wollten, wie es 1409 vor diesen selbst geschehen ist.
Wir wollen und können das bis jetzt nicht glauben, denn das wäre zugleich
eine schwere Niederlage der Regierung, die damit zugestehen würde, daß sie
nicht imstande sei, auch nur die Ordnung in den Straßen einer aufgeregten
Stadt gegen Pöbelrotten zu behaupten, geschweige denn nationale Minderheiten
gegen rohe Vergewaltigung zu schützen.
Gegenüber dem Deutschen Reiche hat die Mehrzahl der Deutsch-Österreicher
in dieser Zeit der größten nationalen Aufregung eine durchaus korrekte Haltung
beobachtet und damit das Vertrauen auf ihre Besonnenheit, die allein ihnen
den Sieg geben kann, wesentlich verstärkt. Sie haben mehrfach nachdrücklich
erklärt, daß sie vom Deutschen Reiche weder eine Intervention erwarten und
wünschen, noch daß sie vollends auf einen Zerfall Österreichs rechnen. Sie
wollen lediglich Sympathiekundgebungen aus dem Reiche, und diese sind ihnen in
der verschiedensten Weise und von den verschiedensten Seiten, auch im deutschen
Reichstage, zu teil geworden. Nur die Schönerergruppe hat in ihrem Organ
den Vorschlag gemacht, Österreich möge sich gegenüber Ungarn auf die Per¬
sonalunion zurückziehen und mit seinen alten Bundesländern in das deutsche
Reich eintreten. Da es auch in Deutschland noch unklare Köpfe giebt, die die
Notwendigkeit der Ereignisse von 1866, also die Grundlagen unsers Reichs,
nicht begreifen können und von der Geschichte nichts lernen wollen, so wollen
wir hier nochmals die sattsam bekannten und ganz unbestreitbaren Grundthat¬
sachen kurz zusammenfassen. Erstens: Die Trennung von 1866 war keine
„Amputation," denn amputiren kann man nur, was organisch mit einem
Körper verwachsen ist; Österreich aber stand vor 1866 nur in einem völker¬
rechtlichen Vertragsverhältnis, nicht in einem staatsrechtlichen Verbände mit dem
übrigen Deutschland, und dies völkerrechtliche Verhältnis ist seit 1871, noch
mehr seit 1879 nicht nur mit den ehemaligen Bundesländern, sondern mit
der Gesamtmonarchie in sehr wirksamer Weise wiederhergestellt worden. Eine
engere wirtschaftliche Vereinigung bestand auch vor 1866 nicht, konnte also
auch nicht gelöst werden, und die geistige Verbindung, die allein die Deutschen
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