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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die Kunst für das Volk

schwerlich ein passender Museumsbesucher; wer sie aber gegeben hat, schätzt
darum bekanntlich die Sache selbst noch etwas höher.

Das bloße Besuchen von Sammlungen ohne Anleitung zu ihrem Ver¬
ständnis hat, wie man sich bei einigem Nachdenken sagen wird, für die
große Menge keinen innern Wert. Für eine Unterweisung, wie sie hier zweck¬
mäßig wäre, brauchte man nur einen geringen Teil des Materials, und die
mannigfaltige Ausstattung eines heutigen Kunstmuseums setzt schon einen ziemlich
gut unterrichteten Besucher voraus. So kommen wir zu einer Verbindung von
Museum und Schule in irgend einer Form, sei es, daß mau die Kunst in die
Schule bringt, womit ja schon bei der Vortrefflichkeit des heutige" Abbildungs¬
materials einiges zu erreichen wäre, oder daß man die Schule ins Museum
sührt, was, abgesehen von dem Nutzen, noch dem geführten Teile einen ganz
besondern Spaß zu machen pflegt.

In Hamburg hat sich vor einigen Jahren ein Lehrerverein zur Pflege
der künstlerischen Bildung in der Schule zusammengethan, dem der Direktor
der dortigen Kunsthalle, Alfred Lichtwark, mit seinen Ratschlägen an die Hand
gegangen ist. Man hat einen Winter hindurch die oberste Klasse einer höhern
Töchterschule vor passende Bilder geführt und diese im Frage- und Antwort¬
verfahren den Kindern nach allen Seiten hin klar zu machen gesucht. Zunächst
waren es Bilder, die nicht über das Verständnis der Kinder hinausgingen,
Genrebilder, einige Porträts, Landschaften von ausgesprochner Stimmung und
stark lokalem Charakter, sodann waren es meistens Bilder von Hamburger
Malern (Runge, Kauffmann, Ruths) oder solche, deren Gegenstände einem
Hamburger Kinde leicht nahe zu bringen waren. Diese Kunstkatechese des ersten
Winterseniesters ist dann aufgezeichnet, etwas redigirt und veröffentlicht worden,
zum erstenmal als Manuskript für die Kreise der Hamburger Kunsthalle und
jetzt als zweite Auflage unter dem Titel: Alfred Lichtwark, Übungen in der
Betrachtung von Kunstwerken, nach Versuchen mit einer Schulklasse heraus¬
gegeben usw. mit sechzehn Abbildungen (Dresden, Gerhard Kühtmann). Dieser
kleine, fein ausgestattete Band verdient nun in der That eine weite Ver¬
breitung. Lichtwark. denn auf ihn geht doch die Anregung zurück, zeigt hier,
wie man auf natürliche Weise vor Kunstwerken Anschauungen wecken kann. Ohne
alle Voraussetzung wird aus einem Gegenstand erst der Sinn gewonnen: was
ist, stellt vor oder thut das Dargestellte? Dann werden die Darstellungsmittel
-- Zeichnung, Licht und Schatten, Farbe -- geprüft, und zuletzt wird die
geschichtliche Stellung des Bildes und der Charakter des Künstlers entwickelt,
wobei die ältern Hamburger, namentlich Runge und Kauffmann, Anlaß geben,
auf ganz moderne technische Probleme, blaue Schatten, Farbenreflexe usw.
einzugehen. Wer dieses kleine Buch mit seinen sechzehn Abbildungen auf¬
merksam durchliest, der hat etwas davon, das können wir ihm versichern. Der


Die Kunst für das Volk

schwerlich ein passender Museumsbesucher; wer sie aber gegeben hat, schätzt
darum bekanntlich die Sache selbst noch etwas höher.

Das bloße Besuchen von Sammlungen ohne Anleitung zu ihrem Ver¬
ständnis hat, wie man sich bei einigem Nachdenken sagen wird, für die
große Menge keinen innern Wert. Für eine Unterweisung, wie sie hier zweck¬
mäßig wäre, brauchte man nur einen geringen Teil des Materials, und die
mannigfaltige Ausstattung eines heutigen Kunstmuseums setzt schon einen ziemlich
gut unterrichteten Besucher voraus. So kommen wir zu einer Verbindung von
Museum und Schule in irgend einer Form, sei es, daß mau die Kunst in die
Schule bringt, womit ja schon bei der Vortrefflichkeit des heutige« Abbildungs¬
materials einiges zu erreichen wäre, oder daß man die Schule ins Museum
sührt, was, abgesehen von dem Nutzen, noch dem geführten Teile einen ganz
besondern Spaß zu machen pflegt.

In Hamburg hat sich vor einigen Jahren ein Lehrerverein zur Pflege
der künstlerischen Bildung in der Schule zusammengethan, dem der Direktor
der dortigen Kunsthalle, Alfred Lichtwark, mit seinen Ratschlägen an die Hand
gegangen ist. Man hat einen Winter hindurch die oberste Klasse einer höhern
Töchterschule vor passende Bilder geführt und diese im Frage- und Antwort¬
verfahren den Kindern nach allen Seiten hin klar zu machen gesucht. Zunächst
waren es Bilder, die nicht über das Verständnis der Kinder hinausgingen,
Genrebilder, einige Porträts, Landschaften von ausgesprochner Stimmung und
stark lokalem Charakter, sodann waren es meistens Bilder von Hamburger
Malern (Runge, Kauffmann, Ruths) oder solche, deren Gegenstände einem
Hamburger Kinde leicht nahe zu bringen waren. Diese Kunstkatechese des ersten
Winterseniesters ist dann aufgezeichnet, etwas redigirt und veröffentlicht worden,
zum erstenmal als Manuskript für die Kreise der Hamburger Kunsthalle und
jetzt als zweite Auflage unter dem Titel: Alfred Lichtwark, Übungen in der
Betrachtung von Kunstwerken, nach Versuchen mit einer Schulklasse heraus¬
gegeben usw. mit sechzehn Abbildungen (Dresden, Gerhard Kühtmann). Dieser
kleine, fein ausgestattete Band verdient nun in der That eine weite Ver¬
breitung. Lichtwark. denn auf ihn geht doch die Anregung zurück, zeigt hier,
wie man auf natürliche Weise vor Kunstwerken Anschauungen wecken kann. Ohne
alle Voraussetzung wird aus einem Gegenstand erst der Sinn gewonnen: was
ist, stellt vor oder thut das Dargestellte? Dann werden die Darstellungsmittel
— Zeichnung, Licht und Schatten, Farbe — geprüft, und zuletzt wird die
geschichtliche Stellung des Bildes und der Charakter des Künstlers entwickelt,
wobei die ältern Hamburger, namentlich Runge und Kauffmann, Anlaß geben,
auf ganz moderne technische Probleme, blaue Schatten, Farbenreflexe usw.
einzugehen. Wer dieses kleine Buch mit seinen sechzehn Abbildungen auf¬
merksam durchliest, der hat etwas davon, das können wir ihm versichern. Der


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[0272] Die Kunst für das Volk schwerlich ein passender Museumsbesucher; wer sie aber gegeben hat, schätzt darum bekanntlich die Sache selbst noch etwas höher. Das bloße Besuchen von Sammlungen ohne Anleitung zu ihrem Ver¬ ständnis hat, wie man sich bei einigem Nachdenken sagen wird, für die große Menge keinen innern Wert. Für eine Unterweisung, wie sie hier zweck¬ mäßig wäre, brauchte man nur einen geringen Teil des Materials, und die mannigfaltige Ausstattung eines heutigen Kunstmuseums setzt schon einen ziemlich gut unterrichteten Besucher voraus. So kommen wir zu einer Verbindung von Museum und Schule in irgend einer Form, sei es, daß mau die Kunst in die Schule bringt, womit ja schon bei der Vortrefflichkeit des heutige« Abbildungs¬ materials einiges zu erreichen wäre, oder daß man die Schule ins Museum sührt, was, abgesehen von dem Nutzen, noch dem geführten Teile einen ganz besondern Spaß zu machen pflegt. In Hamburg hat sich vor einigen Jahren ein Lehrerverein zur Pflege der künstlerischen Bildung in der Schule zusammengethan, dem der Direktor der dortigen Kunsthalle, Alfred Lichtwark, mit seinen Ratschlägen an die Hand gegangen ist. Man hat einen Winter hindurch die oberste Klasse einer höhern Töchterschule vor passende Bilder geführt und diese im Frage- und Antwort¬ verfahren den Kindern nach allen Seiten hin klar zu machen gesucht. Zunächst waren es Bilder, die nicht über das Verständnis der Kinder hinausgingen, Genrebilder, einige Porträts, Landschaften von ausgesprochner Stimmung und stark lokalem Charakter, sodann waren es meistens Bilder von Hamburger Malern (Runge, Kauffmann, Ruths) oder solche, deren Gegenstände einem Hamburger Kinde leicht nahe zu bringen waren. Diese Kunstkatechese des ersten Winterseniesters ist dann aufgezeichnet, etwas redigirt und veröffentlicht worden, zum erstenmal als Manuskript für die Kreise der Hamburger Kunsthalle und jetzt als zweite Auflage unter dem Titel: Alfred Lichtwark, Übungen in der Betrachtung von Kunstwerken, nach Versuchen mit einer Schulklasse heraus¬ gegeben usw. mit sechzehn Abbildungen (Dresden, Gerhard Kühtmann). Dieser kleine, fein ausgestattete Band verdient nun in der That eine weite Ver¬ breitung. Lichtwark. denn auf ihn geht doch die Anregung zurück, zeigt hier, wie man auf natürliche Weise vor Kunstwerken Anschauungen wecken kann. Ohne alle Voraussetzung wird aus einem Gegenstand erst der Sinn gewonnen: was ist, stellt vor oder thut das Dargestellte? Dann werden die Darstellungsmittel — Zeichnung, Licht und Schatten, Farbe — geprüft, und zuletzt wird die geschichtliche Stellung des Bildes und der Charakter des Künstlers entwickelt, wobei die ältern Hamburger, namentlich Runge und Kauffmann, Anlaß geben, auf ganz moderne technische Probleme, blaue Schatten, Farbenreflexe usw. einzugehen. Wer dieses kleine Buch mit seinen sechzehn Abbildungen auf¬ merksam durchliest, der hat etwas davon, das können wir ihm versichern. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/272>, abgerufen am 08.01.2025.