Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Runst für das Volk

so gefügt, daß die bildende Kunst, so unmittelbar sie einen Menschen ergreifen
kann, unter allen Künsten doch den meisten Menschen am fernsten steht. Sie
scheint nur für einzelne bevorzugte Klassen, die Geld aufwenden können oder
in der Nähe der Anschauung leben, vorhanden zu sein; auch wohl an eine
bestimmte Bildung und Kenntnisse, an Neigung und Liebhaberei gebunden zu
sein, die auf Naturanlage beruht, und damit hätten wir uns dann allerdings
wieder jenem 1'arr xour 1'g.re etwas genähert. Unser Kunstgenießen und
Kunstverstehen hat sich also mit der Zeit auf zu enge Kreise zurückgezogen,
gerade so wie auch die Kunst selbst, die schaffende, zeitweilig den kräftigen
Boden des Volkslebens verlassen und höfisch, ständisch, modisch, eng und ein¬
seitig werden konnte. Auch dann kann sie noch große Reize zeigen, aber sie
wird doch auch bei den Nachlebenden nicht mehr gleich tief und weit wirken,
wie eine Kunst, die, mehr ans der Tiefe geboren, zu ihrer Zeit auf einer
breitern Volksschicht ruhte. Mag sich Watteau zum tändelnden Spiel mit der
Kunst leichter einschmeicheln, so tief hinunter könnte er doch nicht dringen wie
Dürer oder Giotto, wovon man sich jeden Augenblick durch eine Probe mit
Kindern oder Einfältigen am Geist überzeugen könnte.

Also das wäre etwa "die Kunst für das Volk." Allerdings läuft dabei
viel wunderliches mit unter. Daß mau die Völker in die Sammlungen treibt,
hat an und für sich keinen Wert. In Dresden konnte man schon seit Jahren
ganze Scharen von kleinen Barfüßlern mit schmutzigen Beinen sich unter An¬
führung eines Lehrers durch die Galerie drängen sehen, wo natürlich die
großen Nacktheiten von Rubens hauptsächlich das Interesse der angehenden
Kunstkenner fesselten. Auch Weiber mit Markttaschen und langen Paketen,
Männer mit Kindern und Düten voll Eßwaren stellten sich haufenweise ein,
aus den Sammetbänkcn vor den Bildern ruhten behagliche Gestalten und ließen
sich lange Weintrauben von oben her in den zurückgekehrten Schlund glucksen,
wie Murillos bekannte Straßenjungen, und in die Spucknnpfe flogen Zwetschen-
kerne und Apfelgehäuse. Das war widerlich! Sogar trällern und pfeifen
konnte man hören. Meinte man aber nun, den Aufsehern nahe legen zu müssen,
daß sie doch ein wenig ihres Amtes walten möchten, so bekam man wohl zur
Antwort: das sei jetzt die Volkskunst, da dürften sie nicht weiter einschreiten,
als wenns einmal gar zu toll würde; die feinen Besucher könnten ja an den
Fünfzigpfennigtagen kommen, dann fehle das Volk. Massenbesuche in Kunst¬
sammlungen sollte man überhaupt nicht befördern. Wer hierin einige Be¬
obachtung aufzuweisen hat, wird vielmehr fragen, ob es nicht richtiger wäre,
in jeder Sammlung ein ganz kleines Eintrittsgeld zu nehmen. Zehn Pfennige
kann jeder bezahlen, der wirklich etwas sehen möchte, und der ohne Besinnen
an demselben Tage fünfzig und mehr ins nächste Bierhaus bringt, und diese
zehn Pfennige bewirken schon eine Auswahl, die für die Sache nur günstig
sein kann. Wer die zehn Pfennige nicht geben will oder kann, ist doch


Die Runst für das Volk

so gefügt, daß die bildende Kunst, so unmittelbar sie einen Menschen ergreifen
kann, unter allen Künsten doch den meisten Menschen am fernsten steht. Sie
scheint nur für einzelne bevorzugte Klassen, die Geld aufwenden können oder
in der Nähe der Anschauung leben, vorhanden zu sein; auch wohl an eine
bestimmte Bildung und Kenntnisse, an Neigung und Liebhaberei gebunden zu
sein, die auf Naturanlage beruht, und damit hätten wir uns dann allerdings
wieder jenem 1'arr xour 1'g.re etwas genähert. Unser Kunstgenießen und
Kunstverstehen hat sich also mit der Zeit auf zu enge Kreise zurückgezogen,
gerade so wie auch die Kunst selbst, die schaffende, zeitweilig den kräftigen
Boden des Volkslebens verlassen und höfisch, ständisch, modisch, eng und ein¬
seitig werden konnte. Auch dann kann sie noch große Reize zeigen, aber sie
wird doch auch bei den Nachlebenden nicht mehr gleich tief und weit wirken,
wie eine Kunst, die, mehr ans der Tiefe geboren, zu ihrer Zeit auf einer
breitern Volksschicht ruhte. Mag sich Watteau zum tändelnden Spiel mit der
Kunst leichter einschmeicheln, so tief hinunter könnte er doch nicht dringen wie
Dürer oder Giotto, wovon man sich jeden Augenblick durch eine Probe mit
Kindern oder Einfältigen am Geist überzeugen könnte.

Also das wäre etwa „die Kunst für das Volk." Allerdings läuft dabei
viel wunderliches mit unter. Daß mau die Völker in die Sammlungen treibt,
hat an und für sich keinen Wert. In Dresden konnte man schon seit Jahren
ganze Scharen von kleinen Barfüßlern mit schmutzigen Beinen sich unter An¬
führung eines Lehrers durch die Galerie drängen sehen, wo natürlich die
großen Nacktheiten von Rubens hauptsächlich das Interesse der angehenden
Kunstkenner fesselten. Auch Weiber mit Markttaschen und langen Paketen,
Männer mit Kindern und Düten voll Eßwaren stellten sich haufenweise ein,
aus den Sammetbänkcn vor den Bildern ruhten behagliche Gestalten und ließen
sich lange Weintrauben von oben her in den zurückgekehrten Schlund glucksen,
wie Murillos bekannte Straßenjungen, und in die Spucknnpfe flogen Zwetschen-
kerne und Apfelgehäuse. Das war widerlich! Sogar trällern und pfeifen
konnte man hören. Meinte man aber nun, den Aufsehern nahe legen zu müssen,
daß sie doch ein wenig ihres Amtes walten möchten, so bekam man wohl zur
Antwort: das sei jetzt die Volkskunst, da dürften sie nicht weiter einschreiten,
als wenns einmal gar zu toll würde; die feinen Besucher könnten ja an den
Fünfzigpfennigtagen kommen, dann fehle das Volk. Massenbesuche in Kunst¬
sammlungen sollte man überhaupt nicht befördern. Wer hierin einige Be¬
obachtung aufzuweisen hat, wird vielmehr fragen, ob es nicht richtiger wäre,
in jeder Sammlung ein ganz kleines Eintrittsgeld zu nehmen. Zehn Pfennige
kann jeder bezahlen, der wirklich etwas sehen möchte, und der ohne Besinnen
an demselben Tage fünfzig und mehr ins nächste Bierhaus bringt, und diese
zehn Pfennige bewirken schon eine Auswahl, die für die Sache nur günstig
sein kann. Wer die zehn Pfennige nicht geben will oder kann, ist doch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0271" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227173"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Runst für das Volk</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_885" prev="#ID_884"> so gefügt, daß die bildende Kunst, so unmittelbar sie einen Menschen ergreifen<lb/>
kann, unter allen Künsten doch den meisten Menschen am fernsten steht. Sie<lb/>
scheint nur für einzelne bevorzugte Klassen, die Geld aufwenden können oder<lb/>
in der Nähe der Anschauung leben, vorhanden zu sein; auch wohl an eine<lb/>
bestimmte Bildung und Kenntnisse, an Neigung und Liebhaberei gebunden zu<lb/>
sein, die auf Naturanlage beruht, und damit hätten wir uns dann allerdings<lb/>
wieder jenem 1'arr xour 1'g.re etwas genähert. Unser Kunstgenießen und<lb/>
Kunstverstehen hat sich also mit der Zeit auf zu enge Kreise zurückgezogen,<lb/>
gerade so wie auch die Kunst selbst, die schaffende, zeitweilig den kräftigen<lb/>
Boden des Volkslebens verlassen und höfisch, ständisch, modisch, eng und ein¬<lb/>
seitig werden konnte. Auch dann kann sie noch große Reize zeigen, aber sie<lb/>
wird doch auch bei den Nachlebenden nicht mehr gleich tief und weit wirken,<lb/>
wie eine Kunst, die, mehr ans der Tiefe geboren, zu ihrer Zeit auf einer<lb/>
breitern Volksschicht ruhte. Mag sich Watteau zum tändelnden Spiel mit der<lb/>
Kunst leichter einschmeicheln, so tief hinunter könnte er doch nicht dringen wie<lb/>
Dürer oder Giotto, wovon man sich jeden Augenblick durch eine Probe mit<lb/>
Kindern oder Einfältigen am Geist überzeugen könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_886" next="#ID_887"> Also das wäre etwa &#x201E;die Kunst für das Volk." Allerdings läuft dabei<lb/>
viel wunderliches mit unter. Daß mau die Völker in die Sammlungen treibt,<lb/>
hat an und für sich keinen Wert. In Dresden konnte man schon seit Jahren<lb/>
ganze Scharen von kleinen Barfüßlern mit schmutzigen Beinen sich unter An¬<lb/>
führung eines Lehrers durch die Galerie drängen sehen, wo natürlich die<lb/>
großen Nacktheiten von Rubens hauptsächlich das Interesse der angehenden<lb/>
Kunstkenner fesselten. Auch Weiber mit Markttaschen und langen Paketen,<lb/>
Männer mit Kindern und Düten voll Eßwaren stellten sich haufenweise ein,<lb/>
aus den Sammetbänkcn vor den Bildern ruhten behagliche Gestalten und ließen<lb/>
sich lange Weintrauben von oben her in den zurückgekehrten Schlund glucksen,<lb/>
wie Murillos bekannte Straßenjungen, und in die Spucknnpfe flogen Zwetschen-<lb/>
kerne und Apfelgehäuse. Das war widerlich! Sogar trällern und pfeifen<lb/>
konnte man hören. Meinte man aber nun, den Aufsehern nahe legen zu müssen,<lb/>
daß sie doch ein wenig ihres Amtes walten möchten, so bekam man wohl zur<lb/>
Antwort: das sei jetzt die Volkskunst, da dürften sie nicht weiter einschreiten,<lb/>
als wenns einmal gar zu toll würde; die feinen Besucher könnten ja an den<lb/>
Fünfzigpfennigtagen kommen, dann fehle das Volk. Massenbesuche in Kunst¬<lb/>
sammlungen sollte man überhaupt nicht befördern. Wer hierin einige Be¬<lb/>
obachtung aufzuweisen hat, wird vielmehr fragen, ob es nicht richtiger wäre,<lb/>
in jeder Sammlung ein ganz kleines Eintrittsgeld zu nehmen. Zehn Pfennige<lb/>
kann jeder bezahlen, der wirklich etwas sehen möchte, und der ohne Besinnen<lb/>
an demselben Tage fünfzig und mehr ins nächste Bierhaus bringt, und diese<lb/>
zehn Pfennige bewirken schon eine Auswahl, die für die Sache nur günstig<lb/>
sein kann. Wer die zehn Pfennige nicht geben will oder kann, ist doch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0271] Die Runst für das Volk so gefügt, daß die bildende Kunst, so unmittelbar sie einen Menschen ergreifen kann, unter allen Künsten doch den meisten Menschen am fernsten steht. Sie scheint nur für einzelne bevorzugte Klassen, die Geld aufwenden können oder in der Nähe der Anschauung leben, vorhanden zu sein; auch wohl an eine bestimmte Bildung und Kenntnisse, an Neigung und Liebhaberei gebunden zu sein, die auf Naturanlage beruht, und damit hätten wir uns dann allerdings wieder jenem 1'arr xour 1'g.re etwas genähert. Unser Kunstgenießen und Kunstverstehen hat sich also mit der Zeit auf zu enge Kreise zurückgezogen, gerade so wie auch die Kunst selbst, die schaffende, zeitweilig den kräftigen Boden des Volkslebens verlassen und höfisch, ständisch, modisch, eng und ein¬ seitig werden konnte. Auch dann kann sie noch große Reize zeigen, aber sie wird doch auch bei den Nachlebenden nicht mehr gleich tief und weit wirken, wie eine Kunst, die, mehr ans der Tiefe geboren, zu ihrer Zeit auf einer breitern Volksschicht ruhte. Mag sich Watteau zum tändelnden Spiel mit der Kunst leichter einschmeicheln, so tief hinunter könnte er doch nicht dringen wie Dürer oder Giotto, wovon man sich jeden Augenblick durch eine Probe mit Kindern oder Einfältigen am Geist überzeugen könnte. Also das wäre etwa „die Kunst für das Volk." Allerdings läuft dabei viel wunderliches mit unter. Daß mau die Völker in die Sammlungen treibt, hat an und für sich keinen Wert. In Dresden konnte man schon seit Jahren ganze Scharen von kleinen Barfüßlern mit schmutzigen Beinen sich unter An¬ führung eines Lehrers durch die Galerie drängen sehen, wo natürlich die großen Nacktheiten von Rubens hauptsächlich das Interesse der angehenden Kunstkenner fesselten. Auch Weiber mit Markttaschen und langen Paketen, Männer mit Kindern und Düten voll Eßwaren stellten sich haufenweise ein, aus den Sammetbänkcn vor den Bildern ruhten behagliche Gestalten und ließen sich lange Weintrauben von oben her in den zurückgekehrten Schlund glucksen, wie Murillos bekannte Straßenjungen, und in die Spucknnpfe flogen Zwetschen- kerne und Apfelgehäuse. Das war widerlich! Sogar trällern und pfeifen konnte man hören. Meinte man aber nun, den Aufsehern nahe legen zu müssen, daß sie doch ein wenig ihres Amtes walten möchten, so bekam man wohl zur Antwort: das sei jetzt die Volkskunst, da dürften sie nicht weiter einschreiten, als wenns einmal gar zu toll würde; die feinen Besucher könnten ja an den Fünfzigpfennigtagen kommen, dann fehle das Volk. Massenbesuche in Kunst¬ sammlungen sollte man überhaupt nicht befördern. Wer hierin einige Be¬ obachtung aufzuweisen hat, wird vielmehr fragen, ob es nicht richtiger wäre, in jeder Sammlung ein ganz kleines Eintrittsgeld zu nehmen. Zehn Pfennige kann jeder bezahlen, der wirklich etwas sehen möchte, und der ohne Besinnen an demselben Tage fünfzig und mehr ins nächste Bierhaus bringt, und diese zehn Pfennige bewirken schon eine Auswahl, die für die Sache nur günstig sein kann. Wer die zehn Pfennige nicht geben will oder kann, ist doch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/271
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/271>, abgerufen am 07.01.2025.