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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Huxley gegen Rousseau und Henry George

sind, das die Herren Engländer offenbart haben, so werden sie auch den Geist
und alle geistigen Leistungen für Produkte dieses Naturkapitals erklären. Aber
diese selben Leutchen werden ihn zugleich darüber belehren, daß es eine Lächer¬
lichkeit ist, dieses Naturkapital in die volkswirtschaftlichen Erörterungen hinein¬
zuziehen. Kapital im volkswirtschaftlichen Sinne entsteht erst durch die Arbeit.
Und auch darüber besteht kein Streit, ob dieses durch Menschenarbeit entstandne
Kapital notwendig sei; niemand außerhalb der Narrenhäuser leugnet es.
Nur darüber wird gestritten, ob der landwirtschaftliche Boden, die Werkzeuge
und Maschinen Privatbesitzern oder der Gemeinschaft gehören sollen, ob es
zweckmäßiger sei, die Eisenbahnen zu verstaatlichen, als sie Privatgesellschaften
zu überlassen, ob es möglich sei, alle Gewerbe ebenso zu verstaatlichen, wie
man bei uns die Eisenbahnen verstaatlicht hat, und ob, wenn es möglich wäre,
die Lage des Volkes dadurch verbessert oder verschlechtert werden würde. Daß
das Naturkapital aller Arbeit vorhergehen muß, bezweifelt kein Mensch. Über
die Priorität von Kapital im wirtschaftlichen Sinne und Arbeit innerhalb der
Kulturgemeinschaft zu streiten, das hätte so wenig Sinn, wie der Streit über
die Priorität von Henne und El, weil beide stets gleichzeitig und in Wechsel¬
wirkung mit einander vorhanden sind, die Arbeit ohne Unterlaß Kapital erzeugt,
jedes Kapital als Arbeitswerkzeug benutzt wird. Gehen wir aber auf den
Anfang des wirtschaftlichen Prozesses zurück, so finden wir zweifellos die Arbeit
als das erste, denn der Stecken zum Früchte abschlagen, der das erste Stück
Kapital gewesen sein mag, mußte allermindestens abgebrochen und durch diese
kleine Arbeit aus einem bloßen Naturprodukt in ein wirtschaftliches Gut ver-
wandelt werden. Denken wir uns einen Rittergutsbesitzer, dessen Rittergut
eine Insel bildet; denken wir uns, daß er auch noch eine Zuckerfabrik, eine
Spiritusbreuuerei, ein Schiff und einen Sack voll Goldstücke besitzt. Denken
wir uus serner, daß dem Manne eine Pest sämtliche Leute wegrafft, daß er
selbst zu jeder körperlichen Arbeit unfähig ist, und daß zufällig ein ganzes
Jahr hindurch kein fremdes Schiff seine Insel berührt, so wird er nicht allein
das elendeste Leben führen, sondern vielleicht verhungern; denn es ist die Frage,
ob er ans den vorhandnen Vorräten, z. B. Getreidekörnern und lebenden
Kälbern, eine Speise zuzubereiten vermöchte, die sein Gaumen und sein Magen
vertrügen, ob er Früchte von den Bäumen zu holen und seine Kühe zu melken
imstande wäre. Werden dagegen zwanzig Bauern und Handwerker nackt auf
eine Insel versetzt, die ihnen das erforderliche Naturkapital bietet: wilde Rinder,
fruchttragende Bäume und körnertragende Gräser, so werden sie in unendlich
mühseliger Arbeit mit der Zeit Werkzeuge, Häuser, Äcker und Werkstätten,
d. h. gesellschaftliches Kapital schaffen. Ganz ohne Kapital sind sie freilich
nicht gekommen, denn sie haben die in der Gesellschaft erworbnen Kcmnuisse
und Fertigkeiten mitgebracht; aber dieses Kapital bewirkt nicht, daß sie über¬
haupt arbeiten und weiteres Kapital schaffen können, sondern nur, daß es


Huxley gegen Rousseau und Henry George

sind, das die Herren Engländer offenbart haben, so werden sie auch den Geist
und alle geistigen Leistungen für Produkte dieses Naturkapitals erklären. Aber
diese selben Leutchen werden ihn zugleich darüber belehren, daß es eine Lächer¬
lichkeit ist, dieses Naturkapital in die volkswirtschaftlichen Erörterungen hinein¬
zuziehen. Kapital im volkswirtschaftlichen Sinne entsteht erst durch die Arbeit.
Und auch darüber besteht kein Streit, ob dieses durch Menschenarbeit entstandne
Kapital notwendig sei; niemand außerhalb der Narrenhäuser leugnet es.
Nur darüber wird gestritten, ob der landwirtschaftliche Boden, die Werkzeuge
und Maschinen Privatbesitzern oder der Gemeinschaft gehören sollen, ob es
zweckmäßiger sei, die Eisenbahnen zu verstaatlichen, als sie Privatgesellschaften
zu überlassen, ob es möglich sei, alle Gewerbe ebenso zu verstaatlichen, wie
man bei uns die Eisenbahnen verstaatlicht hat, und ob, wenn es möglich wäre,
die Lage des Volkes dadurch verbessert oder verschlechtert werden würde. Daß
das Naturkapital aller Arbeit vorhergehen muß, bezweifelt kein Mensch. Über
die Priorität von Kapital im wirtschaftlichen Sinne und Arbeit innerhalb der
Kulturgemeinschaft zu streiten, das hätte so wenig Sinn, wie der Streit über
die Priorität von Henne und El, weil beide stets gleichzeitig und in Wechsel¬
wirkung mit einander vorhanden sind, die Arbeit ohne Unterlaß Kapital erzeugt,
jedes Kapital als Arbeitswerkzeug benutzt wird. Gehen wir aber auf den
Anfang des wirtschaftlichen Prozesses zurück, so finden wir zweifellos die Arbeit
als das erste, denn der Stecken zum Früchte abschlagen, der das erste Stück
Kapital gewesen sein mag, mußte allermindestens abgebrochen und durch diese
kleine Arbeit aus einem bloßen Naturprodukt in ein wirtschaftliches Gut ver-
wandelt werden. Denken wir uns einen Rittergutsbesitzer, dessen Rittergut
eine Insel bildet; denken wir uns, daß er auch noch eine Zuckerfabrik, eine
Spiritusbreuuerei, ein Schiff und einen Sack voll Goldstücke besitzt. Denken
wir uus serner, daß dem Manne eine Pest sämtliche Leute wegrafft, daß er
selbst zu jeder körperlichen Arbeit unfähig ist, und daß zufällig ein ganzes
Jahr hindurch kein fremdes Schiff seine Insel berührt, so wird er nicht allein
das elendeste Leben führen, sondern vielleicht verhungern; denn es ist die Frage,
ob er ans den vorhandnen Vorräten, z. B. Getreidekörnern und lebenden
Kälbern, eine Speise zuzubereiten vermöchte, die sein Gaumen und sein Magen
vertrügen, ob er Früchte von den Bäumen zu holen und seine Kühe zu melken
imstande wäre. Werden dagegen zwanzig Bauern und Handwerker nackt auf
eine Insel versetzt, die ihnen das erforderliche Naturkapital bietet: wilde Rinder,
fruchttragende Bäume und körnertragende Gräser, so werden sie in unendlich
mühseliger Arbeit mit der Zeit Werkzeuge, Häuser, Äcker und Werkstätten,
d. h. gesellschaftliches Kapital schaffen. Ganz ohne Kapital sind sie freilich
nicht gekommen, denn sie haben die in der Gesellschaft erworbnen Kcmnuisse
und Fertigkeiten mitgebracht; aber dieses Kapital bewirkt nicht, daß sie über¬
haupt arbeiten und weiteres Kapital schaffen können, sondern nur, daß es


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[0026] Huxley gegen Rousseau und Henry George sind, das die Herren Engländer offenbart haben, so werden sie auch den Geist und alle geistigen Leistungen für Produkte dieses Naturkapitals erklären. Aber diese selben Leutchen werden ihn zugleich darüber belehren, daß es eine Lächer¬ lichkeit ist, dieses Naturkapital in die volkswirtschaftlichen Erörterungen hinein¬ zuziehen. Kapital im volkswirtschaftlichen Sinne entsteht erst durch die Arbeit. Und auch darüber besteht kein Streit, ob dieses durch Menschenarbeit entstandne Kapital notwendig sei; niemand außerhalb der Narrenhäuser leugnet es. Nur darüber wird gestritten, ob der landwirtschaftliche Boden, die Werkzeuge und Maschinen Privatbesitzern oder der Gemeinschaft gehören sollen, ob es zweckmäßiger sei, die Eisenbahnen zu verstaatlichen, als sie Privatgesellschaften zu überlassen, ob es möglich sei, alle Gewerbe ebenso zu verstaatlichen, wie man bei uns die Eisenbahnen verstaatlicht hat, und ob, wenn es möglich wäre, die Lage des Volkes dadurch verbessert oder verschlechtert werden würde. Daß das Naturkapital aller Arbeit vorhergehen muß, bezweifelt kein Mensch. Über die Priorität von Kapital im wirtschaftlichen Sinne und Arbeit innerhalb der Kulturgemeinschaft zu streiten, das hätte so wenig Sinn, wie der Streit über die Priorität von Henne und El, weil beide stets gleichzeitig und in Wechsel¬ wirkung mit einander vorhanden sind, die Arbeit ohne Unterlaß Kapital erzeugt, jedes Kapital als Arbeitswerkzeug benutzt wird. Gehen wir aber auf den Anfang des wirtschaftlichen Prozesses zurück, so finden wir zweifellos die Arbeit als das erste, denn der Stecken zum Früchte abschlagen, der das erste Stück Kapital gewesen sein mag, mußte allermindestens abgebrochen und durch diese kleine Arbeit aus einem bloßen Naturprodukt in ein wirtschaftliches Gut ver- wandelt werden. Denken wir uns einen Rittergutsbesitzer, dessen Rittergut eine Insel bildet; denken wir uns, daß er auch noch eine Zuckerfabrik, eine Spiritusbreuuerei, ein Schiff und einen Sack voll Goldstücke besitzt. Denken wir uus serner, daß dem Manne eine Pest sämtliche Leute wegrafft, daß er selbst zu jeder körperlichen Arbeit unfähig ist, und daß zufällig ein ganzes Jahr hindurch kein fremdes Schiff seine Insel berührt, so wird er nicht allein das elendeste Leben führen, sondern vielleicht verhungern; denn es ist die Frage, ob er ans den vorhandnen Vorräten, z. B. Getreidekörnern und lebenden Kälbern, eine Speise zuzubereiten vermöchte, die sein Gaumen und sein Magen vertrügen, ob er Früchte von den Bäumen zu holen und seine Kühe zu melken imstande wäre. Werden dagegen zwanzig Bauern und Handwerker nackt auf eine Insel versetzt, die ihnen das erforderliche Naturkapital bietet: wilde Rinder, fruchttragende Bäume und körnertragende Gräser, so werden sie in unendlich mühseliger Arbeit mit der Zeit Werkzeuge, Häuser, Äcker und Werkstätten, d. h. gesellschaftliches Kapital schaffen. Ganz ohne Kapital sind sie freilich nicht gekommen, denn sie haben die in der Gesellschaft erworbnen Kcmnuisse und Fertigkeiten mitgebracht; aber dieses Kapital bewirkt nicht, daß sie über¬ haupt arbeiten und weiteres Kapital schaffen können, sondern nur, daß es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/26>, abgerufen am 07.01.2025.