Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Reichsländische Zeitfragen den Ausdruck zu mild finden. Wenn ich es allein oder fast allein öffentlich Die geistige Luft, in der unsre Jugend heranwächst, ist nicht gesund. Die Weit geringer als die Verstärkung der Zukunftsgefahren schlage ich bei Reichsländische Zeitfragen den Ausdruck zu mild finden. Wenn ich es allein oder fast allein öffentlich Die geistige Luft, in der unsre Jugend heranwächst, ist nicht gesund. Die Weit geringer als die Verstärkung der Zukunftsgefahren schlage ich bei <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227156"/> <fw type="header" place="top"> Reichsländische Zeitfragen</fw><lb/> <p xml:id="ID_826" prev="#ID_825"> den Ausdruck zu mild finden. Wenn ich es allein oder fast allein öffentlich<lb/> ausspreche, so giebt es dafür mancherlei Gründe, verwerfliche, aber auch zu<lb/> entschuldigende. Es ist z. B., wie ich in den letzten Jahren selbst erfahren<lb/> habe, sehr schwer, die Wahrheit über Elsaß-Lothringen in die altdeutsche Presse<lb/> zu bringen. Unsre Landespresse nimmt fast ausnahmslos Rücksichten, oder<lb/> ihre Richtung steht einem gar zu fern. Die Rücksichten, die genommen werden,<lb/> sind nicht bloß der Wahrheit, sondern auch dem Deutschtum schädlich, ganz<lb/> ähnlich wie die Kompromisse im reichsländischen Staatsleben wohl der Zu¬<lb/> friedenheitslegende und der Vertuschung zu gute kommen, aber thatsächlich, wenn<lb/> auch von uns nicht gewollt, auf Kosten der deutschen Sache geschlossen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_827"> Die geistige Luft, in der unsre Jugend heranwächst, ist nicht gesund. Die<lb/> Jugend steht, daß wir uns in allem Wesentlichen — Feste und Hurraschreien<lb/> sind nur Zuthaten — mit dem Deutschtum zur Seite drücken. Und da sollen<lb/> Achtung und Zuneigung für uns in die jungen Seelen einziehen. Die Jngend<lb/> richtet nach dem großen Eindruck: Kann unser Verhalten imponiren? Da, wo<lb/> sie achtet, liebt sie meistens, aber immer haßt sie, wo sie nicht achten kann.<lb/> Und sie haßt um so stärker, je mehr sie, in uusern Schulen z. V., bearbeitet<lb/> wird, zu lieben. Ganz ähnlich gestimmt ist die Seele des sogenannten gemeinen<lb/> Mannes. Auch er empfindet unmittelbar Achtung, Liebe und Haß. Auch<lb/> er liebt uns nicht und kann es nicht, ohne seinem natürlichen Wesen untreu<lb/> zu werden, gleichsam aus der Haut zu fahren; nicht eher wird er es können,<lb/> als bis wir fest und deutsch auftreten. Der jetzige Stand der Gemüter<lb/> ist betrübend, und unser Schulbänken daran ist groß, aber sollen wir darum<lb/> die Träger solcher Gesinnungen zu Beamten, zu Trügern unsers Staats¬<lb/> gebäudes machen, das doch deutsch ist? Ist Herr Dr. Petri der Mann, der zur<lb/> richtigen Auslese berufen erscheint? Er ist ja selber ein Kunstprodukt unsrer<lb/> falschen Politik, die unter den Mitteln, die Gemüter zu lenken und zu be¬<lb/> herrschen, gerade die natürlichen und nächstliegenden auf den Kopf gestellt hat,<lb/> gerade die, die überall und zu allen Zeiten wirken und dieselben bleiben. Seine<lb/> Ernennung ist eine große Konzession, aber keine Maßregel, die zu richtiger<lb/> Politik umlenkte.</p><lb/> <p xml:id="ID_828" next="#ID_829"> Weit geringer als die Verstärkung der Zukunftsgefahren schlage ich bei<lb/> der Ernennung Herrn Dr. Petris den Umstand an, daß sie von der üblichen<lb/> Besetzungsweise abweicht. Zur Zeit der altpreußischen Kollegien wäre sie nicht<lb/> möglich gewesen, ging doch deren Macht so weit, daß sie sich in der Regel<lb/> durch eine Art von Kooptation selbst ergänzten, aber dergleichen ist ja überall<lb/> abgekommen, seit der Konstitutionalismus aufgekommen ist, und unsre modernen<lb/> Obergerichte haben zwar an Schwerfälligkeit, aber auch an berechtigtem Selbst¬<lb/> gefühl und Zusammenhalt verloren. In mancher Beziehung ist es auch kein<lb/> Schaden, wenn andres Blut in die obern Stellen kommt, und was die Be¬<lb/> fähigung anlangt, so steht ein tüchtiger und angesehener Rechtsanwalt, was<lb/> Herr Dr. Petri gewesen ist, einem Ministeria trat oder einem höhern Richter</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0254]
Reichsländische Zeitfragen
den Ausdruck zu mild finden. Wenn ich es allein oder fast allein öffentlich
ausspreche, so giebt es dafür mancherlei Gründe, verwerfliche, aber auch zu
entschuldigende. Es ist z. B., wie ich in den letzten Jahren selbst erfahren
habe, sehr schwer, die Wahrheit über Elsaß-Lothringen in die altdeutsche Presse
zu bringen. Unsre Landespresse nimmt fast ausnahmslos Rücksichten, oder
ihre Richtung steht einem gar zu fern. Die Rücksichten, die genommen werden,
sind nicht bloß der Wahrheit, sondern auch dem Deutschtum schädlich, ganz
ähnlich wie die Kompromisse im reichsländischen Staatsleben wohl der Zu¬
friedenheitslegende und der Vertuschung zu gute kommen, aber thatsächlich, wenn
auch von uns nicht gewollt, auf Kosten der deutschen Sache geschlossen werden.
Die geistige Luft, in der unsre Jugend heranwächst, ist nicht gesund. Die
Jugend steht, daß wir uns in allem Wesentlichen — Feste und Hurraschreien
sind nur Zuthaten — mit dem Deutschtum zur Seite drücken. Und da sollen
Achtung und Zuneigung für uns in die jungen Seelen einziehen. Die Jngend
richtet nach dem großen Eindruck: Kann unser Verhalten imponiren? Da, wo
sie achtet, liebt sie meistens, aber immer haßt sie, wo sie nicht achten kann.
Und sie haßt um so stärker, je mehr sie, in uusern Schulen z. V., bearbeitet
wird, zu lieben. Ganz ähnlich gestimmt ist die Seele des sogenannten gemeinen
Mannes. Auch er empfindet unmittelbar Achtung, Liebe und Haß. Auch
er liebt uns nicht und kann es nicht, ohne seinem natürlichen Wesen untreu
zu werden, gleichsam aus der Haut zu fahren; nicht eher wird er es können,
als bis wir fest und deutsch auftreten. Der jetzige Stand der Gemüter
ist betrübend, und unser Schulbänken daran ist groß, aber sollen wir darum
die Träger solcher Gesinnungen zu Beamten, zu Trügern unsers Staats¬
gebäudes machen, das doch deutsch ist? Ist Herr Dr. Petri der Mann, der zur
richtigen Auslese berufen erscheint? Er ist ja selber ein Kunstprodukt unsrer
falschen Politik, die unter den Mitteln, die Gemüter zu lenken und zu be¬
herrschen, gerade die natürlichen und nächstliegenden auf den Kopf gestellt hat,
gerade die, die überall und zu allen Zeiten wirken und dieselben bleiben. Seine
Ernennung ist eine große Konzession, aber keine Maßregel, die zu richtiger
Politik umlenkte.
Weit geringer als die Verstärkung der Zukunftsgefahren schlage ich bei
der Ernennung Herrn Dr. Petris den Umstand an, daß sie von der üblichen
Besetzungsweise abweicht. Zur Zeit der altpreußischen Kollegien wäre sie nicht
möglich gewesen, ging doch deren Macht so weit, daß sie sich in der Regel
durch eine Art von Kooptation selbst ergänzten, aber dergleichen ist ja überall
abgekommen, seit der Konstitutionalismus aufgekommen ist, und unsre modernen
Obergerichte haben zwar an Schwerfälligkeit, aber auch an berechtigtem Selbst¬
gefühl und Zusammenhalt verloren. In mancher Beziehung ist es auch kein
Schaden, wenn andres Blut in die obern Stellen kommt, und was die Be¬
fähigung anlangt, so steht ein tüchtiger und angesehener Rechtsanwalt, was
Herr Dr. Petri gewesen ist, einem Ministeria trat oder einem höhern Richter
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