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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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ReichslLndische Zeitfragen

nicht nach. Selbst der französische Beigeschmack, den diese Wertschätzung der
Advokatur hat, ist ein nebensächliches Bedenken. Diese ganze Seite der Sache
ist aber überhaupt anders anzusehen als das bisher Erörterte, denn es ist
sicher, daß sie bei der Entscheidung erwogen worden ist; die Kritik hat sich
also zu bescheiden, bis der Erfolg sichtbar wird. Dagegen ist nicht anzunehmen,
daß die politische Vergangenheit Herrn Dr. Petris an entscheidender Stelle in
demselben Maße gewürdigt worden ist. Ich kann mir z. B. nicht denken, daß
der Kaiser von dem Verhalten seines neuen Ministers in der Militärfrage
unterrichtet gewesen ist, und ebenso wenig glaube ich, daß unser Statthalter
bei seinem Vortrag darum wußte. Das allerdings scheint festzustehen, daß
Fürst Hohenlohe-Lmigenbnrg die Ernennung selber angeregt und betrieben hat,
während er bisher die Initiative mehr dem Staatssekretär von Puttkamer über¬
ließ. Ich gehöre nicht zu den Anhängern Herrn von Puttkamers, kann mich
aber nicht darüber freuen, daß bei dieser Gelegenheit sein Abraten oder seine
Lauheit unberücksichtigt geblieben ist. Ist er doch ein genauer Kenner der Volks¬
schichten, bei denen wir eine Stütze suchen, und hat er doch in Einräumungen
an die einheimische Adresse eher zu große Freigebigkeit als vorsichtige Sparsam¬
keit bewiesen. Wenn er sich gegen eine weitere Einräumung ausspricht oder
auch nur zurückhaltend verhält, so ist sie nicht angebracht. Natürlich macht
der Klatsch aus der Zurückhaltung sofort einen tiefen Gegensatz, und mancher
Politische Pflastertreter in Straßburg sieht schon Herrn Dr. Petri zum Staats¬
sekretär aufrücken.

Einen besonders schweren Stand wird Herr Dr. Petri als Kultusminister
haben. Auf dessen Aufgaben wird er jedenfalls durch Kenntnis der Gesetzgebung
vorbereitet sein, aber es fehlt ihm an genügender praktischer Erfahrung. Als
Rechtsanwalt und als Bankdirektor hat er keine erworben, und die Erfahrungen,
die er als Mitglied des evangelischen Oberkonsistoriums gesammelt hat, helfen
ihm nichts für das Verhältnis zur katholischen Kirche und werden ihm schon
jetzt als Befangenheit vorgeworfen. Hoffentlich weist er jede Anwandlung von
Politischen Protestantismus zurück und verweist er den dazu geneigten Teil
seiner Straßburger Bundesgenossenschaft in die Schranken, die von der Parität
gefordert werden! Er ist ja ein Verehrer Fürst Bismarcks, wenigstens hat er
ihn in seiner großen Rede von 1896 zitirt, wenn auch nicht ganz getreu, er
wird daher geneigt sein, das zu beherzigen, was Fürst Bismarck zu einem
evangelischen Geistlichen unsers Landes bemerkt hat, als ihm dieser seinen Dank
für die Wiedervereinigung des Reichslaudes aussprach unter besondrer Be¬
tonung des evangelischen Standpunkts. Fürst Bismarck hat den sehr tüchtigen,
aber etwas übereifriger Mann mit Wohlwollen angehört, ihm aber doch zum
Schluß gesagt: Herr Prediger, das deutsche Reich ist nicht konfessionell.

Die richtige Auffassung der Staatsaufsicht über die katholische Kirche geht
nicht auf den Polizeibefehl oder auf romantisch frömmelnde Mache aus, sondern
sucht ihr Ziel darin, zwischen der Kirche und den übrigen Mächten des mersch-


ReichslLndische Zeitfragen

nicht nach. Selbst der französische Beigeschmack, den diese Wertschätzung der
Advokatur hat, ist ein nebensächliches Bedenken. Diese ganze Seite der Sache
ist aber überhaupt anders anzusehen als das bisher Erörterte, denn es ist
sicher, daß sie bei der Entscheidung erwogen worden ist; die Kritik hat sich
also zu bescheiden, bis der Erfolg sichtbar wird. Dagegen ist nicht anzunehmen,
daß die politische Vergangenheit Herrn Dr. Petris an entscheidender Stelle in
demselben Maße gewürdigt worden ist. Ich kann mir z. B. nicht denken, daß
der Kaiser von dem Verhalten seines neuen Ministers in der Militärfrage
unterrichtet gewesen ist, und ebenso wenig glaube ich, daß unser Statthalter
bei seinem Vortrag darum wußte. Das allerdings scheint festzustehen, daß
Fürst Hohenlohe-Lmigenbnrg die Ernennung selber angeregt und betrieben hat,
während er bisher die Initiative mehr dem Staatssekretär von Puttkamer über¬
ließ. Ich gehöre nicht zu den Anhängern Herrn von Puttkamers, kann mich
aber nicht darüber freuen, daß bei dieser Gelegenheit sein Abraten oder seine
Lauheit unberücksichtigt geblieben ist. Ist er doch ein genauer Kenner der Volks¬
schichten, bei denen wir eine Stütze suchen, und hat er doch in Einräumungen
an die einheimische Adresse eher zu große Freigebigkeit als vorsichtige Sparsam¬
keit bewiesen. Wenn er sich gegen eine weitere Einräumung ausspricht oder
auch nur zurückhaltend verhält, so ist sie nicht angebracht. Natürlich macht
der Klatsch aus der Zurückhaltung sofort einen tiefen Gegensatz, und mancher
Politische Pflastertreter in Straßburg sieht schon Herrn Dr. Petri zum Staats¬
sekretär aufrücken.

Einen besonders schweren Stand wird Herr Dr. Petri als Kultusminister
haben. Auf dessen Aufgaben wird er jedenfalls durch Kenntnis der Gesetzgebung
vorbereitet sein, aber es fehlt ihm an genügender praktischer Erfahrung. Als
Rechtsanwalt und als Bankdirektor hat er keine erworben, und die Erfahrungen,
die er als Mitglied des evangelischen Oberkonsistoriums gesammelt hat, helfen
ihm nichts für das Verhältnis zur katholischen Kirche und werden ihm schon
jetzt als Befangenheit vorgeworfen. Hoffentlich weist er jede Anwandlung von
Politischen Protestantismus zurück und verweist er den dazu geneigten Teil
seiner Straßburger Bundesgenossenschaft in die Schranken, die von der Parität
gefordert werden! Er ist ja ein Verehrer Fürst Bismarcks, wenigstens hat er
ihn in seiner großen Rede von 1896 zitirt, wenn auch nicht ganz getreu, er
wird daher geneigt sein, das zu beherzigen, was Fürst Bismarck zu einem
evangelischen Geistlichen unsers Landes bemerkt hat, als ihm dieser seinen Dank
für die Wiedervereinigung des Reichslaudes aussprach unter besondrer Be¬
tonung des evangelischen Standpunkts. Fürst Bismarck hat den sehr tüchtigen,
aber etwas übereifriger Mann mit Wohlwollen angehört, ihm aber doch zum
Schluß gesagt: Herr Prediger, das deutsche Reich ist nicht konfessionell.

Die richtige Auffassung der Staatsaufsicht über die katholische Kirche geht
nicht auf den Polizeibefehl oder auf romantisch frömmelnde Mache aus, sondern
sucht ihr Ziel darin, zwischen der Kirche und den übrigen Mächten des mersch-


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[0255] ReichslLndische Zeitfragen nicht nach. Selbst der französische Beigeschmack, den diese Wertschätzung der Advokatur hat, ist ein nebensächliches Bedenken. Diese ganze Seite der Sache ist aber überhaupt anders anzusehen als das bisher Erörterte, denn es ist sicher, daß sie bei der Entscheidung erwogen worden ist; die Kritik hat sich also zu bescheiden, bis der Erfolg sichtbar wird. Dagegen ist nicht anzunehmen, daß die politische Vergangenheit Herrn Dr. Petris an entscheidender Stelle in demselben Maße gewürdigt worden ist. Ich kann mir z. B. nicht denken, daß der Kaiser von dem Verhalten seines neuen Ministers in der Militärfrage unterrichtet gewesen ist, und ebenso wenig glaube ich, daß unser Statthalter bei seinem Vortrag darum wußte. Das allerdings scheint festzustehen, daß Fürst Hohenlohe-Lmigenbnrg die Ernennung selber angeregt und betrieben hat, während er bisher die Initiative mehr dem Staatssekretär von Puttkamer über¬ ließ. Ich gehöre nicht zu den Anhängern Herrn von Puttkamers, kann mich aber nicht darüber freuen, daß bei dieser Gelegenheit sein Abraten oder seine Lauheit unberücksichtigt geblieben ist. Ist er doch ein genauer Kenner der Volks¬ schichten, bei denen wir eine Stütze suchen, und hat er doch in Einräumungen an die einheimische Adresse eher zu große Freigebigkeit als vorsichtige Sparsam¬ keit bewiesen. Wenn er sich gegen eine weitere Einräumung ausspricht oder auch nur zurückhaltend verhält, so ist sie nicht angebracht. Natürlich macht der Klatsch aus der Zurückhaltung sofort einen tiefen Gegensatz, und mancher Politische Pflastertreter in Straßburg sieht schon Herrn Dr. Petri zum Staats¬ sekretär aufrücken. Einen besonders schweren Stand wird Herr Dr. Petri als Kultusminister haben. Auf dessen Aufgaben wird er jedenfalls durch Kenntnis der Gesetzgebung vorbereitet sein, aber es fehlt ihm an genügender praktischer Erfahrung. Als Rechtsanwalt und als Bankdirektor hat er keine erworben, und die Erfahrungen, die er als Mitglied des evangelischen Oberkonsistoriums gesammelt hat, helfen ihm nichts für das Verhältnis zur katholischen Kirche und werden ihm schon jetzt als Befangenheit vorgeworfen. Hoffentlich weist er jede Anwandlung von Politischen Protestantismus zurück und verweist er den dazu geneigten Teil seiner Straßburger Bundesgenossenschaft in die Schranken, die von der Parität gefordert werden! Er ist ja ein Verehrer Fürst Bismarcks, wenigstens hat er ihn in seiner großen Rede von 1896 zitirt, wenn auch nicht ganz getreu, er wird daher geneigt sein, das zu beherzigen, was Fürst Bismarck zu einem evangelischen Geistlichen unsers Landes bemerkt hat, als ihm dieser seinen Dank für die Wiedervereinigung des Reichslaudes aussprach unter besondrer Be¬ tonung des evangelischen Standpunkts. Fürst Bismarck hat den sehr tüchtigen, aber etwas übereifriger Mann mit Wohlwollen angehört, ihm aber doch zum Schluß gesagt: Herr Prediger, das deutsche Reich ist nicht konfessionell. Die richtige Auffassung der Staatsaufsicht über die katholische Kirche geht nicht auf den Polizeibefehl oder auf romantisch frömmelnde Mache aus, sondern sucht ihr Ziel darin, zwischen der Kirche und den übrigen Mächten des mersch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/255>, abgerufen am 09.01.2025.