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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Zeitfragen

die deutsche Sache gethan? Ich habe mich schon oft darnach gefragt, und
auch andre, weiß aber nichts zu finden und kann auch nichts erfahren. Da¬
gegen ist mir aus seinem spätern Verhalten manches aufgefallen, was die
deutsche Sache schädigte. Seine zweideutige Haltung in der Militärfrage ist schon
erwähnt worden; Bewegungsfreiheit darin durfte er als reichsländischer Abge¬
ordneter noch weniger in Anspruch nehmen, als wenn er im sonstigen Deutsch¬
land gewühlt gewesen wäre, denn bei uns hieß es in dieser Frage nur: Hie
Deutschland, hie Frankreich! Vorher hatte er sich einmal von einem franzö¬
sischen Journalisten "interviewen" lassen, der gern wissen wollte, wie es in
Elsaß-Lothringen stünde. Herr Dr. Petri antwortete, seines Erachtens sei die
Losreißung Elsaß-Lothringens von Deutschland weder möglich, noch zu wünschen.
Die Straßburger Post war entzückt; ich möchte glauben, für einen Deutschen
gäbe es nur die Autwort, dem Frager die Thür zu weisen. Wer das für
chauvinistisch und illiberal hält, wird als Deutscher wenigstens nicht wünschen,
daß der Ton der Antwort für uns gönnerhaft klinge. Das war aber der
Eindruck, den die Petrische Antwort machte, im Gegensatz zu Herrn Dr. Höffel,
der etwa um dieselbe Zeit auf eine ähnliche Frage ja ebenfalls Antwort gab,
sachlich gleichlautend, aber zugleich in einer Form, die das eigne Ich nicht
störend hervortreten ließ. Das darf auch nicht anders sein, denn das Gefühl
fürs Vaterland ist Ehrfurcht; es steht so hoch, daß sich Niedres nicht ein¬
mischen darf.

Im Jahre 1396, bei dem fünfundzwanzigjährigen "Jubiläum" der Ein¬
verleibung, hat Herr Dr. Petri im Landesausschuß eine Art von Perikleischer
Staatsrede gehalten. Ich war ästhetisch sehr enttäuscht, denn die Leistung,
die ich zu hören bekam, streifte das Mure turn^öux nicht bloß an. Auch das
"Haus" teilte diesen Eindruck und atmete offenbar erleichtert auf, als der
Staatssekretär von Puttkamer den Redner ablöste. Das muß zwar erwähnt
werden, weil Herr Dr. Petri auch geistig überschätzt wird, aber für die Be¬
deutung seiner Bundesgenossenschaft steht es doch nur in zweiter Reihe. Läßt
sich dasselbe davon sagen, daß er in seiner Rede unter anderm an uns Alt¬
deutsche eine feierliche Mahnung zur Geduld richtete? Die Elsaß-Lothringer
verlangten eine behutsame und milde Behandlung. Ist das ein Freund, der
so spricht? Wir haben die Bewohner des Reichslands als Schoßkinder be¬
handelt und ernten den Dank von Schoßkindern, den Dank, den unfromme
Eltern -- der Ausdruck stammt von Lagarde -- auch verdienen. Wenn uns
Herr Dr. Petri, der wie jeder andre Bescheid weiß, das vorgehalten hätte, so
wäre es als Quittung über die fünfundzwanzig Jahre nicht angenehm gewesen,
Hütte aber der Wahrheit entsprochen, und für die Wahrheit soll man danken.
Aber freilich, wir sind, wie ich von früher her wiederhole, lauter Vergeben und
Vergessen, und der Landesausschuß hört so etwas, wie es Herr Dr. Petri
gesagt hat, sehr gern.


Reichsländische Zeitfragen

die deutsche Sache gethan? Ich habe mich schon oft darnach gefragt, und
auch andre, weiß aber nichts zu finden und kann auch nichts erfahren. Da¬
gegen ist mir aus seinem spätern Verhalten manches aufgefallen, was die
deutsche Sache schädigte. Seine zweideutige Haltung in der Militärfrage ist schon
erwähnt worden; Bewegungsfreiheit darin durfte er als reichsländischer Abge¬
ordneter noch weniger in Anspruch nehmen, als wenn er im sonstigen Deutsch¬
land gewühlt gewesen wäre, denn bei uns hieß es in dieser Frage nur: Hie
Deutschland, hie Frankreich! Vorher hatte er sich einmal von einem franzö¬
sischen Journalisten „interviewen" lassen, der gern wissen wollte, wie es in
Elsaß-Lothringen stünde. Herr Dr. Petri antwortete, seines Erachtens sei die
Losreißung Elsaß-Lothringens von Deutschland weder möglich, noch zu wünschen.
Die Straßburger Post war entzückt; ich möchte glauben, für einen Deutschen
gäbe es nur die Autwort, dem Frager die Thür zu weisen. Wer das für
chauvinistisch und illiberal hält, wird als Deutscher wenigstens nicht wünschen,
daß der Ton der Antwort für uns gönnerhaft klinge. Das war aber der
Eindruck, den die Petrische Antwort machte, im Gegensatz zu Herrn Dr. Höffel,
der etwa um dieselbe Zeit auf eine ähnliche Frage ja ebenfalls Antwort gab,
sachlich gleichlautend, aber zugleich in einer Form, die das eigne Ich nicht
störend hervortreten ließ. Das darf auch nicht anders sein, denn das Gefühl
fürs Vaterland ist Ehrfurcht; es steht so hoch, daß sich Niedres nicht ein¬
mischen darf.

Im Jahre 1396, bei dem fünfundzwanzigjährigen „Jubiläum" der Ein¬
verleibung, hat Herr Dr. Petri im Landesausschuß eine Art von Perikleischer
Staatsrede gehalten. Ich war ästhetisch sehr enttäuscht, denn die Leistung,
die ich zu hören bekam, streifte das Mure turn^öux nicht bloß an. Auch das
„Haus" teilte diesen Eindruck und atmete offenbar erleichtert auf, als der
Staatssekretär von Puttkamer den Redner ablöste. Das muß zwar erwähnt
werden, weil Herr Dr. Petri auch geistig überschätzt wird, aber für die Be¬
deutung seiner Bundesgenossenschaft steht es doch nur in zweiter Reihe. Läßt
sich dasselbe davon sagen, daß er in seiner Rede unter anderm an uns Alt¬
deutsche eine feierliche Mahnung zur Geduld richtete? Die Elsaß-Lothringer
verlangten eine behutsame und milde Behandlung. Ist das ein Freund, der
so spricht? Wir haben die Bewohner des Reichslands als Schoßkinder be¬
handelt und ernten den Dank von Schoßkindern, den Dank, den unfromme
Eltern — der Ausdruck stammt von Lagarde — auch verdienen. Wenn uns
Herr Dr. Petri, der wie jeder andre Bescheid weiß, das vorgehalten hätte, so
wäre es als Quittung über die fünfundzwanzig Jahre nicht angenehm gewesen,
Hütte aber der Wahrheit entsprochen, und für die Wahrheit soll man danken.
Aber freilich, wir sind, wie ich von früher her wiederhole, lauter Vergeben und
Vergessen, und der Landesausschuß hört so etwas, wie es Herr Dr. Petri
gesagt hat, sehr gern.


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[0252] Reichsländische Zeitfragen die deutsche Sache gethan? Ich habe mich schon oft darnach gefragt, und auch andre, weiß aber nichts zu finden und kann auch nichts erfahren. Da¬ gegen ist mir aus seinem spätern Verhalten manches aufgefallen, was die deutsche Sache schädigte. Seine zweideutige Haltung in der Militärfrage ist schon erwähnt worden; Bewegungsfreiheit darin durfte er als reichsländischer Abge¬ ordneter noch weniger in Anspruch nehmen, als wenn er im sonstigen Deutsch¬ land gewühlt gewesen wäre, denn bei uns hieß es in dieser Frage nur: Hie Deutschland, hie Frankreich! Vorher hatte er sich einmal von einem franzö¬ sischen Journalisten „interviewen" lassen, der gern wissen wollte, wie es in Elsaß-Lothringen stünde. Herr Dr. Petri antwortete, seines Erachtens sei die Losreißung Elsaß-Lothringens von Deutschland weder möglich, noch zu wünschen. Die Straßburger Post war entzückt; ich möchte glauben, für einen Deutschen gäbe es nur die Autwort, dem Frager die Thür zu weisen. Wer das für chauvinistisch und illiberal hält, wird als Deutscher wenigstens nicht wünschen, daß der Ton der Antwort für uns gönnerhaft klinge. Das war aber der Eindruck, den die Petrische Antwort machte, im Gegensatz zu Herrn Dr. Höffel, der etwa um dieselbe Zeit auf eine ähnliche Frage ja ebenfalls Antwort gab, sachlich gleichlautend, aber zugleich in einer Form, die das eigne Ich nicht störend hervortreten ließ. Das darf auch nicht anders sein, denn das Gefühl fürs Vaterland ist Ehrfurcht; es steht so hoch, daß sich Niedres nicht ein¬ mischen darf. Im Jahre 1396, bei dem fünfundzwanzigjährigen „Jubiläum" der Ein¬ verleibung, hat Herr Dr. Petri im Landesausschuß eine Art von Perikleischer Staatsrede gehalten. Ich war ästhetisch sehr enttäuscht, denn die Leistung, die ich zu hören bekam, streifte das Mure turn^öux nicht bloß an. Auch das „Haus" teilte diesen Eindruck und atmete offenbar erleichtert auf, als der Staatssekretär von Puttkamer den Redner ablöste. Das muß zwar erwähnt werden, weil Herr Dr. Petri auch geistig überschätzt wird, aber für die Be¬ deutung seiner Bundesgenossenschaft steht es doch nur in zweiter Reihe. Läßt sich dasselbe davon sagen, daß er in seiner Rede unter anderm an uns Alt¬ deutsche eine feierliche Mahnung zur Geduld richtete? Die Elsaß-Lothringer verlangten eine behutsame und milde Behandlung. Ist das ein Freund, der so spricht? Wir haben die Bewohner des Reichslands als Schoßkinder be¬ handelt und ernten den Dank von Schoßkindern, den Dank, den unfromme Eltern — der Ausdruck stammt von Lagarde — auch verdienen. Wenn uns Herr Dr. Petri, der wie jeder andre Bescheid weiß, das vorgehalten hätte, so wäre es als Quittung über die fünfundzwanzig Jahre nicht angenehm gewesen, Hütte aber der Wahrheit entsprochen, und für die Wahrheit soll man danken. Aber freilich, wir sind, wie ich von früher her wiederhole, lauter Vergeben und Vergessen, und der Landesausschuß hört so etwas, wie es Herr Dr. Petri gesagt hat, sehr gern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/252>, abgerufen am 09.01.2025.