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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Zeitfragen

Tagung des Landesciusschusses Herrn Preiß wegen seiner Reichstagssünden
hauptsächlich darum abgekanzelt -- der wunderliche Vorgang gestattet kein
andres Wort --, weil dieser "junge Mann" nicht wie Ausgereifte die Not der
Zeiten habe kennen lernen. Wenn Herr Dr. Petri der Meinung war, es sei
nötig, aus dem Landesausschuß in die Reichstagsfenster hineinzureden, so war
vom deutschen Standpunkt jedes andre Argument mehr am Platze. Zum
Beispiel der Hinweis darauf, daß Herr Preiß als Referendar den Diensteid
geleistet habe; andre möchten vielleicht vorbringen dürfen, daß Elsaß-Lothringen
ungefragt annektirt worden sei, aber nicht Herr Preiß, denn könne es eine
feierlichere Zustimmung geben als diesen für den Dienst des deutschen Reichs¬
lands aufgestellten Eid? Dieser Pfeil würde getroffen haben, wäre aber freilich
auch auf das Martyrium zurückgeprallt, dem die Sache nicht gerade als Folie
gedient hätte, denn Herr Dr. Petri war bei seiner Absage an Frankreich mit
dem Eide in derselben Lage. Er handelte nur nach Ehre, Pflicht und Gewissen,
als er die Absage vollzog: bricht nicht jeder die Brücke zu Frankreich ab, der
dem deutschen Kaiser Treue und Gehorsam schwört? Und bleibt diese Folge
des Eides nicht bestehen, wenn seine positiven Versprechungen verblassen, weil
der Betreffende wieder aus dem Staatsdienste tritt, etwa Nechtsauwcilt wird?

Das alles ist klar und unwiderleglich, im Volke fühlt es jeder, Herr
Dr. Petri hat es als Jurist überdies gewußt. Für die politische Würdigung ist
es natürlich ein Mehr, wenn bei einer bedeutenden Gelegenheit ausdrücklich und
öffentlich wiederholt wird, was zwar schon feierlich bindet, weil vor Gott ver¬
sprochen, was aber doch nur vor wenigen Personen und -- nach dem juristischen
Kunstausdruck -- nur stillschweigend, iinvlioiw erklärt worden ist. Dieses Mehr
ist gewiß verdienstlich und reicht aus, für den Beginn einer politischen Lauf¬
bahn zu empfehlen, aber nicht weiter. Es ist weder ziemlich, sich mit seineu
Leiden zu brüsten, noch zeugt es auf unsrer Seite von nationaler Selbstachtung
und von Klugheit, daß wir aus einem Akt der Pflichterfüllung ein Riesen-
Verdienst schmieden: halb Heiligenschein, halb Wünschelrute. Diese Über¬
treibung reizt auch keineswegs zur Nachfolge, denn der Streber, der auf
äußern Lohn bedacht ist, wird sich fragen, woher die entsprechende Lohnmenge
für mehrere oder gar für viele genommen werden soll; wer dagegen den innern
Lohn voranstellt, wird durch den Überschwang wie durch jede andre Art vou
Mache abgeschreckt. Herr Dr, Petri seinerseits ist jedenfalls nicht zartfühlend.
Würde er auch sonst, ohne abzuwinken, das Quantum von Lob hinnehmen,
das ihm jahraus jahrein unser "führendes deutsches Organ," die Straßburger
Post, spendet? Ich bin deswegen lange Zeit geneigt gewesen, Herrn Dr. Petri,
den ich nicht persönlich kenne, für besonders geduldig und für eine etwas
Passive Natur zu halten, bis mich der Vorfall mit Herrn Preiß auf meinen
Irrtum aufmerksam machte.

Was hat nun Herr or. Petri seit seiner Absage an Frankreich noch für


Reichsländische Zeitfragen

Tagung des Landesciusschusses Herrn Preiß wegen seiner Reichstagssünden
hauptsächlich darum abgekanzelt — der wunderliche Vorgang gestattet kein
andres Wort —, weil dieser „junge Mann" nicht wie Ausgereifte die Not der
Zeiten habe kennen lernen. Wenn Herr Dr. Petri der Meinung war, es sei
nötig, aus dem Landesausschuß in die Reichstagsfenster hineinzureden, so war
vom deutschen Standpunkt jedes andre Argument mehr am Platze. Zum
Beispiel der Hinweis darauf, daß Herr Preiß als Referendar den Diensteid
geleistet habe; andre möchten vielleicht vorbringen dürfen, daß Elsaß-Lothringen
ungefragt annektirt worden sei, aber nicht Herr Preiß, denn könne es eine
feierlichere Zustimmung geben als diesen für den Dienst des deutschen Reichs¬
lands aufgestellten Eid? Dieser Pfeil würde getroffen haben, wäre aber freilich
auch auf das Martyrium zurückgeprallt, dem die Sache nicht gerade als Folie
gedient hätte, denn Herr Dr. Petri war bei seiner Absage an Frankreich mit
dem Eide in derselben Lage. Er handelte nur nach Ehre, Pflicht und Gewissen,
als er die Absage vollzog: bricht nicht jeder die Brücke zu Frankreich ab, der
dem deutschen Kaiser Treue und Gehorsam schwört? Und bleibt diese Folge
des Eides nicht bestehen, wenn seine positiven Versprechungen verblassen, weil
der Betreffende wieder aus dem Staatsdienste tritt, etwa Nechtsauwcilt wird?

Das alles ist klar und unwiderleglich, im Volke fühlt es jeder, Herr
Dr. Petri hat es als Jurist überdies gewußt. Für die politische Würdigung ist
es natürlich ein Mehr, wenn bei einer bedeutenden Gelegenheit ausdrücklich und
öffentlich wiederholt wird, was zwar schon feierlich bindet, weil vor Gott ver¬
sprochen, was aber doch nur vor wenigen Personen und — nach dem juristischen
Kunstausdruck — nur stillschweigend, iinvlioiw erklärt worden ist. Dieses Mehr
ist gewiß verdienstlich und reicht aus, für den Beginn einer politischen Lauf¬
bahn zu empfehlen, aber nicht weiter. Es ist weder ziemlich, sich mit seineu
Leiden zu brüsten, noch zeugt es auf unsrer Seite von nationaler Selbstachtung
und von Klugheit, daß wir aus einem Akt der Pflichterfüllung ein Riesen-
Verdienst schmieden: halb Heiligenschein, halb Wünschelrute. Diese Über¬
treibung reizt auch keineswegs zur Nachfolge, denn der Streber, der auf
äußern Lohn bedacht ist, wird sich fragen, woher die entsprechende Lohnmenge
für mehrere oder gar für viele genommen werden soll; wer dagegen den innern
Lohn voranstellt, wird durch den Überschwang wie durch jede andre Art vou
Mache abgeschreckt. Herr Dr, Petri seinerseits ist jedenfalls nicht zartfühlend.
Würde er auch sonst, ohne abzuwinken, das Quantum von Lob hinnehmen,
das ihm jahraus jahrein unser „führendes deutsches Organ," die Straßburger
Post, spendet? Ich bin deswegen lange Zeit geneigt gewesen, Herrn Dr. Petri,
den ich nicht persönlich kenne, für besonders geduldig und für eine etwas
Passive Natur zu halten, bis mich der Vorfall mit Herrn Preiß auf meinen
Irrtum aufmerksam machte.

Was hat nun Herr or. Petri seit seiner Absage an Frankreich noch für


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[0251] Reichsländische Zeitfragen Tagung des Landesciusschusses Herrn Preiß wegen seiner Reichstagssünden hauptsächlich darum abgekanzelt — der wunderliche Vorgang gestattet kein andres Wort —, weil dieser „junge Mann" nicht wie Ausgereifte die Not der Zeiten habe kennen lernen. Wenn Herr Dr. Petri der Meinung war, es sei nötig, aus dem Landesausschuß in die Reichstagsfenster hineinzureden, so war vom deutschen Standpunkt jedes andre Argument mehr am Platze. Zum Beispiel der Hinweis darauf, daß Herr Preiß als Referendar den Diensteid geleistet habe; andre möchten vielleicht vorbringen dürfen, daß Elsaß-Lothringen ungefragt annektirt worden sei, aber nicht Herr Preiß, denn könne es eine feierlichere Zustimmung geben als diesen für den Dienst des deutschen Reichs¬ lands aufgestellten Eid? Dieser Pfeil würde getroffen haben, wäre aber freilich auch auf das Martyrium zurückgeprallt, dem die Sache nicht gerade als Folie gedient hätte, denn Herr Dr. Petri war bei seiner Absage an Frankreich mit dem Eide in derselben Lage. Er handelte nur nach Ehre, Pflicht und Gewissen, als er die Absage vollzog: bricht nicht jeder die Brücke zu Frankreich ab, der dem deutschen Kaiser Treue und Gehorsam schwört? Und bleibt diese Folge des Eides nicht bestehen, wenn seine positiven Versprechungen verblassen, weil der Betreffende wieder aus dem Staatsdienste tritt, etwa Nechtsauwcilt wird? Das alles ist klar und unwiderleglich, im Volke fühlt es jeder, Herr Dr. Petri hat es als Jurist überdies gewußt. Für die politische Würdigung ist es natürlich ein Mehr, wenn bei einer bedeutenden Gelegenheit ausdrücklich und öffentlich wiederholt wird, was zwar schon feierlich bindet, weil vor Gott ver¬ sprochen, was aber doch nur vor wenigen Personen und — nach dem juristischen Kunstausdruck — nur stillschweigend, iinvlioiw erklärt worden ist. Dieses Mehr ist gewiß verdienstlich und reicht aus, für den Beginn einer politischen Lauf¬ bahn zu empfehlen, aber nicht weiter. Es ist weder ziemlich, sich mit seineu Leiden zu brüsten, noch zeugt es auf unsrer Seite von nationaler Selbstachtung und von Klugheit, daß wir aus einem Akt der Pflichterfüllung ein Riesen- Verdienst schmieden: halb Heiligenschein, halb Wünschelrute. Diese Über¬ treibung reizt auch keineswegs zur Nachfolge, denn der Streber, der auf äußern Lohn bedacht ist, wird sich fragen, woher die entsprechende Lohnmenge für mehrere oder gar für viele genommen werden soll; wer dagegen den innern Lohn voranstellt, wird durch den Überschwang wie durch jede andre Art vou Mache abgeschreckt. Herr Dr, Petri seinerseits ist jedenfalls nicht zartfühlend. Würde er auch sonst, ohne abzuwinken, das Quantum von Lob hinnehmen, das ihm jahraus jahrein unser „führendes deutsches Organ," die Straßburger Post, spendet? Ich bin deswegen lange Zeit geneigt gewesen, Herrn Dr. Petri, den ich nicht persönlich kenne, für besonders geduldig und für eine etwas Passive Natur zu halten, bis mich der Vorfall mit Herrn Preiß auf meinen Irrtum aufmerksam machte. Was hat nun Herr or. Petri seit seiner Absage an Frankreich noch für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/251>, abgerufen am 08.01.2025.