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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Zeitfragen

Herr Dr. Petri ist im Unterelsaß zu Hause, in dem Teile des Landes, der
immer am meisten Deutsches bewahrt hat; der Konfession nach gehört er zu
der Kirche Augsburgischen Bekenntnisses, der verbreitetsten unter unsern evange¬
lischen Religionsgemeinschaften. Er ist 1852 geboren, stand also im bilduugs-
sühigen Alter, als' sein Geburtsland auch im politischen Sinne deutsch wurde.
Als Referendar hat er den auch im Reichsland deutsch zugeschnittnen Vor¬
bereitungsdienst durchgemacht. Nach bestcindnem Assessorexamen ließ er sich in
Straßburg als Rechtsanwalt nieder und gewann auch bald eine ansehnliche
Praxis. Da trat eine Gelegenheit ein, die er dazu benutzte, der französischen
Vergangenheit des Landes öffentlich abzusagen, ausdrücklich und bestimmt.
Daß er es that, erwarb ihm, wie die Dinge damals standen, um die deutsche
Sache ein wirkliches Verdienst. Für ihn selbst war es ein Wagnis, denn er
machte sich dadurch viele Feinde, und er hat darunter gewiß nicht nur gesell¬
schaftlich, sondern auch im Broterwerb, in seiner Praxis zu leiden gehabt. Aber
es verschaffte ihm auch einflußreiche Freunde, und diese waren für ihn thätig.
Um dieselbe Zeit etwa wurde außerdem ein naher Verwandter von ihm an die Spitze
der Kirche Augsburgischen Bekenntnisses gestellt. Er selbst kam mit Hilfe der alt¬
deutschen Stimmen für die Stadt Straßburg in den Reichstag. Seine Praxis
erholte sich wieder und wurde sogar sehr groß und einträglich. Als später
die erste Kreditanstalt des Landes das durchmachte, was man ein kleines
Panama genannt hat, wurde zwar die Staatsdepositenverwaltung nicht ganz
davon abgetrennt, aber unter wirksamere Kautelen gestellt, und Herr Dr. Petri
wurde Bankdirektor für die betreffende Abteilung; wie niemand bezweifelt,
dnrch staatlichen Einfluß. Diese Stelle hat er bis jetzt inne gehabt, und er
ist außerdem Mitglied des Staatsrath, des Landesausschusses, des evangelischen
Oberkonsistoriums usw. Das alles verdankt er unmittelbar oder mittelbar der
Unterstützung der Negierung und der Altdeutschen, denn bei den "Kompatrioten"
ist er verhaßt, und bei denen, die uns günstiger gesinnt sind, fehlt es ihm an
persönlichem Einfluß. Nur in einem ziemlich engen Kreise in Straßburg gilt
er etwas. Dieser Kreis giebt sich ü, ig. Paris für das Herz des Landes aus,
ist es aber nicht und nicht einmal Straßburgs sicher. Bei der letzten Neichs-
tagswcchl 1893 wurde Herr Dr. Petri für Straßburg wieder aufgestellt, als
Versöhnnngskandidat und sogar als deutscher Kandidat, obgleich er bei der
Abstimmung über die Militärvorlage gefehlt hatte und über sein künftiges
Verhältnis dazu nur gewundne Erklärungen abgab; er wurde jedoch von dem
Sozialdemokraten geschlagen.

Man sieht: auf die schlechte Seite ist Herr Dr. Petri im ganzen nicht
gefallen; wenn er als Märtyrer gelitten hat, so hat es nicht lange gedauert,
und er ist reichlich entschädigt worden. Doch, diese Seite der Sache würde
ich nicht erwähnen, wenn ihm sein Leiden nicht noch immer als Folie diente,
bei andern und zu eignem Gebrauch. Hat er doch noch in der vorjährigen


Reichsländische Zeitfragen

Herr Dr. Petri ist im Unterelsaß zu Hause, in dem Teile des Landes, der
immer am meisten Deutsches bewahrt hat; der Konfession nach gehört er zu
der Kirche Augsburgischen Bekenntnisses, der verbreitetsten unter unsern evange¬
lischen Religionsgemeinschaften. Er ist 1852 geboren, stand also im bilduugs-
sühigen Alter, als' sein Geburtsland auch im politischen Sinne deutsch wurde.
Als Referendar hat er den auch im Reichsland deutsch zugeschnittnen Vor¬
bereitungsdienst durchgemacht. Nach bestcindnem Assessorexamen ließ er sich in
Straßburg als Rechtsanwalt nieder und gewann auch bald eine ansehnliche
Praxis. Da trat eine Gelegenheit ein, die er dazu benutzte, der französischen
Vergangenheit des Landes öffentlich abzusagen, ausdrücklich und bestimmt.
Daß er es that, erwarb ihm, wie die Dinge damals standen, um die deutsche
Sache ein wirkliches Verdienst. Für ihn selbst war es ein Wagnis, denn er
machte sich dadurch viele Feinde, und er hat darunter gewiß nicht nur gesell¬
schaftlich, sondern auch im Broterwerb, in seiner Praxis zu leiden gehabt. Aber
es verschaffte ihm auch einflußreiche Freunde, und diese waren für ihn thätig.
Um dieselbe Zeit etwa wurde außerdem ein naher Verwandter von ihm an die Spitze
der Kirche Augsburgischen Bekenntnisses gestellt. Er selbst kam mit Hilfe der alt¬
deutschen Stimmen für die Stadt Straßburg in den Reichstag. Seine Praxis
erholte sich wieder und wurde sogar sehr groß und einträglich. Als später
die erste Kreditanstalt des Landes das durchmachte, was man ein kleines
Panama genannt hat, wurde zwar die Staatsdepositenverwaltung nicht ganz
davon abgetrennt, aber unter wirksamere Kautelen gestellt, und Herr Dr. Petri
wurde Bankdirektor für die betreffende Abteilung; wie niemand bezweifelt,
dnrch staatlichen Einfluß. Diese Stelle hat er bis jetzt inne gehabt, und er
ist außerdem Mitglied des Staatsrath, des Landesausschusses, des evangelischen
Oberkonsistoriums usw. Das alles verdankt er unmittelbar oder mittelbar der
Unterstützung der Negierung und der Altdeutschen, denn bei den „Kompatrioten"
ist er verhaßt, und bei denen, die uns günstiger gesinnt sind, fehlt es ihm an
persönlichem Einfluß. Nur in einem ziemlich engen Kreise in Straßburg gilt
er etwas. Dieser Kreis giebt sich ü, ig. Paris für das Herz des Landes aus,
ist es aber nicht und nicht einmal Straßburgs sicher. Bei der letzten Neichs-
tagswcchl 1893 wurde Herr Dr. Petri für Straßburg wieder aufgestellt, als
Versöhnnngskandidat und sogar als deutscher Kandidat, obgleich er bei der
Abstimmung über die Militärvorlage gefehlt hatte und über sein künftiges
Verhältnis dazu nur gewundne Erklärungen abgab; er wurde jedoch von dem
Sozialdemokraten geschlagen.

Man sieht: auf die schlechte Seite ist Herr Dr. Petri im ganzen nicht
gefallen; wenn er als Märtyrer gelitten hat, so hat es nicht lange gedauert,
und er ist reichlich entschädigt worden. Doch, diese Seite der Sache würde
ich nicht erwähnen, wenn ihm sein Leiden nicht noch immer als Folie diente,
bei andern und zu eignem Gebrauch. Hat er doch noch in der vorjährigen


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[0250] Reichsländische Zeitfragen Herr Dr. Petri ist im Unterelsaß zu Hause, in dem Teile des Landes, der immer am meisten Deutsches bewahrt hat; der Konfession nach gehört er zu der Kirche Augsburgischen Bekenntnisses, der verbreitetsten unter unsern evange¬ lischen Religionsgemeinschaften. Er ist 1852 geboren, stand also im bilduugs- sühigen Alter, als' sein Geburtsland auch im politischen Sinne deutsch wurde. Als Referendar hat er den auch im Reichsland deutsch zugeschnittnen Vor¬ bereitungsdienst durchgemacht. Nach bestcindnem Assessorexamen ließ er sich in Straßburg als Rechtsanwalt nieder und gewann auch bald eine ansehnliche Praxis. Da trat eine Gelegenheit ein, die er dazu benutzte, der französischen Vergangenheit des Landes öffentlich abzusagen, ausdrücklich und bestimmt. Daß er es that, erwarb ihm, wie die Dinge damals standen, um die deutsche Sache ein wirkliches Verdienst. Für ihn selbst war es ein Wagnis, denn er machte sich dadurch viele Feinde, und er hat darunter gewiß nicht nur gesell¬ schaftlich, sondern auch im Broterwerb, in seiner Praxis zu leiden gehabt. Aber es verschaffte ihm auch einflußreiche Freunde, und diese waren für ihn thätig. Um dieselbe Zeit etwa wurde außerdem ein naher Verwandter von ihm an die Spitze der Kirche Augsburgischen Bekenntnisses gestellt. Er selbst kam mit Hilfe der alt¬ deutschen Stimmen für die Stadt Straßburg in den Reichstag. Seine Praxis erholte sich wieder und wurde sogar sehr groß und einträglich. Als später die erste Kreditanstalt des Landes das durchmachte, was man ein kleines Panama genannt hat, wurde zwar die Staatsdepositenverwaltung nicht ganz davon abgetrennt, aber unter wirksamere Kautelen gestellt, und Herr Dr. Petri wurde Bankdirektor für die betreffende Abteilung; wie niemand bezweifelt, dnrch staatlichen Einfluß. Diese Stelle hat er bis jetzt inne gehabt, und er ist außerdem Mitglied des Staatsrath, des Landesausschusses, des evangelischen Oberkonsistoriums usw. Das alles verdankt er unmittelbar oder mittelbar der Unterstützung der Negierung und der Altdeutschen, denn bei den „Kompatrioten" ist er verhaßt, und bei denen, die uns günstiger gesinnt sind, fehlt es ihm an persönlichem Einfluß. Nur in einem ziemlich engen Kreise in Straßburg gilt er etwas. Dieser Kreis giebt sich ü, ig. Paris für das Herz des Landes aus, ist es aber nicht und nicht einmal Straßburgs sicher. Bei der letzten Neichs- tagswcchl 1893 wurde Herr Dr. Petri für Straßburg wieder aufgestellt, als Versöhnnngskandidat und sogar als deutscher Kandidat, obgleich er bei der Abstimmung über die Militärvorlage gefehlt hatte und über sein künftiges Verhältnis dazu nur gewundne Erklärungen abgab; er wurde jedoch von dem Sozialdemokraten geschlagen. Man sieht: auf die schlechte Seite ist Herr Dr. Petri im ganzen nicht gefallen; wenn er als Märtyrer gelitten hat, so hat es nicht lange gedauert, und er ist reichlich entschädigt worden. Doch, diese Seite der Sache würde ich nicht erwähnen, wenn ihm sein Leiden nicht noch immer als Folie diente, bei andern und zu eignem Gebrauch. Hat er doch noch in der vorjährigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/250>, abgerufen am 07.01.2025.