Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Eine Frauenfrage der verschiednen statistischen Erhebungen -- in Deutschland hauptsächlich der Was die männlichen Dienstboten betrifft, oder wie die deutsche Statistik Eine Frauenfrage der verschiednen statistischen Erhebungen — in Deutschland hauptsächlich der Was die männlichen Dienstboten betrifft, oder wie die deutsche Statistik <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0242" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227144"/> <fw type="header" place="top"> Eine Frauenfrage</fw><lb/> <p xml:id="ID_789" prev="#ID_788"> der verschiednen statistischen Erhebungen — in Deutschland hauptsächlich der<lb/> von 1895 und der von 1882 — gegen einander halte. Dagegen scheint mir<lb/> der Glaube, oder wie ich meine, der Aberglaube, daß in den Wirtschafts- und<lb/> Erwerbsverhältnissen alles ganz neu und anders geworden sei, durch die sast<lb/> allgemeine Herrschaft, zu der er unter den Gebildeten — weit mehr als unter<lb/> den Arbeitern — gelangt ist, dahin zu führen, daß die soziale Thätigkeit<lb/> und Pflichtenerfüllung der wirtschaftenden und erwerbenden Menschen und<lb/> natürlich auch ihre Verantwortlichkeit immer mehr in die Brüche gehen, und<lb/> daß sich so auf moralischem Gebiet eine Umwälzung, oder vielmehr, da<lb/> man nichts neues an die Stelle des Alten zu setzen weiß, ein Verfall<lb/> vollzieht, der mit der Zeit auch den Umsturz der „Verhältnisse" zu bringen<lb/> droht. Namentlich scheint mir der Glaube an die Neuheit der heutigen<lb/> Verhältnisse zu einer überhasteten Gesetzmacherei und Vielregiererei auf dem<lb/> wirtschaftlichen und sozialen Gebiete zu verleiten. Wenn zum Beispiel Hirsch¬<lb/> berg sehr richtig die eigentlichen Mißstände im Dienstbotenwesen nicht in<lb/> den gesetzlichen und obrigkeitlichen Vorschriften, sondern in moralischen Ver¬<lb/> hältnissen sieht, so werden die „Modernen" unter den Sozialpolitikern einfach<lb/> zu dem Schlüsse kommen, daß da überhaupt gar nicht mehr zu helfen sei, daß<lb/> das Dienstbotenwesen eine verfallende, zum Abbruch reife Ruine, ein patriar¬<lb/> chalisches Überbleibsel aus alter Zeit sei. Und die Masse der Gebildeten, fürchte<lb/> ich, wird ihnen insoweit wenigstens nur zu gern glauben, daß sie jede mora¬<lb/> lische Leistung und Anstrengung des Einzelnen zur Abstellung der Mißstände<lb/> als aussichtlose, mit der Neuzeit nun doch einmal unverträgliche Bemühungen<lb/> von sich weisen. Ich für mein Teil bin der Meinung, daß es ein großes und<lb/> dabei keineswegs durch die neuen Erwerbsverhültnisfe unabwendbar gemachtes<lb/> Unglück wäre, wenn auch nur unsre großstädtischen weiblichen Dienstboten zu<lb/> Tagearbeiterinnen für häusliche Dienste würden, und wenn der patriarchalische<lb/> Charakter des deutschen Dienstbotenwesens aufhörte. Ich bin weiter der alt¬<lb/> modischen, aber hoffentlich über kurz oder lang doch wieder in die Mode<lb/> kommenden Überzeugung, daß wir gebildeten Leute, und namentlich die ge¬<lb/> bildeten Frauen, sehr viel dazu thun könnten und müßten, dieses Unglück ab¬<lb/> zuwenden. Deshalb wünschte ich sehr, daß die Leser sich über die Statistik<lb/> des deutschen Dienstbotenwesens selbst ein Urteil bildeten. Da die moderne<lb/> Soziologenzunft etwas andres durch sie beweisen zu können glaubt, als mein<lb/> durch die praktische Erfahrung von vier Jahrzehnten natürlich getrübtes Auge<lb/> aus ihr herausliest, so weiß ich wohl, daß man mir ohne die Zahlen nicht glaubt.</p><lb/> <p xml:id="ID_790" next="#ID_791"> Was die männlichen Dienstboten betrifft, oder wie die deutsche Statistik<lb/> den Begriff scharf begrenzt: die männlichen „Dienenden für häusliche Dienste,<lb/> im Hause der Herrschaft lebend," so mögen folgende Zahlen genügen. Ich setze<lb/> hier, und gelegentlich auch später, einige ausländische Zahlen zum Vergleich<lb/> daneben. Es sind gezählt worden:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0242]
Eine Frauenfrage
der verschiednen statistischen Erhebungen — in Deutschland hauptsächlich der
von 1895 und der von 1882 — gegen einander halte. Dagegen scheint mir
der Glaube, oder wie ich meine, der Aberglaube, daß in den Wirtschafts- und
Erwerbsverhältnissen alles ganz neu und anders geworden sei, durch die sast
allgemeine Herrschaft, zu der er unter den Gebildeten — weit mehr als unter
den Arbeitern — gelangt ist, dahin zu führen, daß die soziale Thätigkeit
und Pflichtenerfüllung der wirtschaftenden und erwerbenden Menschen und
natürlich auch ihre Verantwortlichkeit immer mehr in die Brüche gehen, und
daß sich so auf moralischem Gebiet eine Umwälzung, oder vielmehr, da
man nichts neues an die Stelle des Alten zu setzen weiß, ein Verfall
vollzieht, der mit der Zeit auch den Umsturz der „Verhältnisse" zu bringen
droht. Namentlich scheint mir der Glaube an die Neuheit der heutigen
Verhältnisse zu einer überhasteten Gesetzmacherei und Vielregiererei auf dem
wirtschaftlichen und sozialen Gebiete zu verleiten. Wenn zum Beispiel Hirsch¬
berg sehr richtig die eigentlichen Mißstände im Dienstbotenwesen nicht in
den gesetzlichen und obrigkeitlichen Vorschriften, sondern in moralischen Ver¬
hältnissen sieht, so werden die „Modernen" unter den Sozialpolitikern einfach
zu dem Schlüsse kommen, daß da überhaupt gar nicht mehr zu helfen sei, daß
das Dienstbotenwesen eine verfallende, zum Abbruch reife Ruine, ein patriar¬
chalisches Überbleibsel aus alter Zeit sei. Und die Masse der Gebildeten, fürchte
ich, wird ihnen insoweit wenigstens nur zu gern glauben, daß sie jede mora¬
lische Leistung und Anstrengung des Einzelnen zur Abstellung der Mißstände
als aussichtlose, mit der Neuzeit nun doch einmal unverträgliche Bemühungen
von sich weisen. Ich für mein Teil bin der Meinung, daß es ein großes und
dabei keineswegs durch die neuen Erwerbsverhültnisfe unabwendbar gemachtes
Unglück wäre, wenn auch nur unsre großstädtischen weiblichen Dienstboten zu
Tagearbeiterinnen für häusliche Dienste würden, und wenn der patriarchalische
Charakter des deutschen Dienstbotenwesens aufhörte. Ich bin weiter der alt¬
modischen, aber hoffentlich über kurz oder lang doch wieder in die Mode
kommenden Überzeugung, daß wir gebildeten Leute, und namentlich die ge¬
bildeten Frauen, sehr viel dazu thun könnten und müßten, dieses Unglück ab¬
zuwenden. Deshalb wünschte ich sehr, daß die Leser sich über die Statistik
des deutschen Dienstbotenwesens selbst ein Urteil bildeten. Da die moderne
Soziologenzunft etwas andres durch sie beweisen zu können glaubt, als mein
durch die praktische Erfahrung von vier Jahrzehnten natürlich getrübtes Auge
aus ihr herausliest, so weiß ich wohl, daß man mir ohne die Zahlen nicht glaubt.
Was die männlichen Dienstboten betrifft, oder wie die deutsche Statistik
den Begriff scharf begrenzt: die männlichen „Dienenden für häusliche Dienste,
im Hause der Herrschaft lebend," so mögen folgende Zahlen genügen. Ich setze
hier, und gelegentlich auch später, einige ausländische Zahlen zum Vergleich
daneben. Es sind gezählt worden:
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