Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Und wenn Huxley den Gleichheitsaposteln die Thatsache entgegenhält, daß Endlich hat ja Huxley vollkommen Recht, wenn er in witzigen Aus¬ Und wenn Huxley den Gleichheitsaposteln die Thatsache entgegenhält, daß Endlich hat ja Huxley vollkommen Recht, wenn er in witzigen Aus¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226925"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_37" prev="#ID_36"> Und wenn Huxley den Gleichheitsaposteln die Thatsache entgegenhält, daß<lb/> schon die Kinder einer und derselben Familie die auffälligste Ungleichheit in<lb/> Beziehung auf Begabung, Temperament und Charakter zu offenbaren Pflegen,<lb/> so war es ja eben das, was jene Gleichheitsapostel im Grunde genommen<lb/> gemeint haben. Sich mit der Thatsache der natürlichen Ungleichheit zu be¬<lb/> schäftigen hatten sie gar keine Veranlassung. Wogegen sie sich wendeten, das<lb/> war die gesellschaftliche und gesetzliche Ungleichheit, die es mit sich brachte,<lb/> daß der in der Höhe geborne ohne Rücksicht auf seine Begabung oben, und<lb/> der in der Tiefe geborne ebenfalls ohne Rücksicht auf seine Begabung zeitlebens<lb/> unten blieb.</p><lb/> <p xml:id="ID_38" next="#ID_39"> Endlich hat ja Huxley vollkommen Recht, wenn er in witzigen Aus¬<lb/> führungen die Rechtsgleichheit lächerlich macht, die ungefügen hilflosen Fleisch-<lb/> klümpchen zugeschrieben wird; in der That, wenn die Neugebornen in irgend<lb/> etwas gleich sind, so ist es ihre Hilflosigkeit, ihre Unfreiheit und ihre Recht¬<lb/> losigkeit. Aber den Begriff des Naturrechts mißversteht er doch gründlich.<lb/> Er sieht es in dem Rechte der Tiger, Menschen zu fressen, und in dem Rechte<lb/> des Menschen, sich der Tiger mit jedem ihm zu Gebote stehenden Mittel zu<lb/> erwehren. Er findet ganz richtig, daß dieses Naturrecht mit der Gewalt zu¬<lb/> sammenfalle und den Kampf aller gegen alle, den Kampf ums Dasein, sonst<lb/> nichts, erzeuge. Er meint — und das wollen wir uns gegen Tille und seine<lb/> Auslesetheorie merken —, diesem Naturrecht, diesem Kampfe aller gegen alle<lb/> mache eben die Zivilisation, die Gesellschaft, ein Ende und setze an dessen<lb/> Stelle „ein sittliches und bürgerliches Recht." Ganz richtig! Nur daß das<lb/> sittliche und das bürgerliche Recht keineswegs zusammenfallen, und daß das,<lb/> was die Männer der ältern idealistischen Weltanschauung unter Naturrecht<lb/> Verstehen, nicht das Recht der Tiger ist — der vernunftlosen Natur gehört<lb/> die Idee des Rechtes eben nicht an —, sondern das sittliche Recht im Unter¬<lb/> schiede vom bürgerlichen. Das bürgerliche Notrecht ist weiter nichts als der<lb/> juristische Ausdruck von Machtverhältnissen und ein Mittel, die rohesten Formen<lb/> des Kampfes ums Dasein, soweit dieser unter Menschen tobt, zu beseitigen,<lb/> die feinern Formen aber, die es bestehen läßt, zu regeln; es ist also im<lb/> Grunde genommen weiter nichts als eine höhere Stufe jenes Naturrechts, das<lb/> Huxley so nennt. Wir glauben nun aber, daß dem Menschen von Gott die<lb/> Idee der Gerechtigkeit eingepflanzt sei — des Anstoßes der äußern Umstünde<lb/> bedarf sie zu ihrer Entfaltung so gut wie alle übrigen Ideen —, die da<lb/> fordert, daß jedem vergolten werde nach seinem Verdienst oder Mißverdienst,<lb/> nach seinen Leistungen oder Unterlassungen, und daß jedem gelassen oder zu¬<lb/> gewendet werde, was er sich auf rechtmäßige Weise als Eigentum erworben<lb/> hat, Rechtsansprüche können natürlich erst in der Gesellschaft hervortreten<lb/> und müssen erworben werden, aber sobald sie hervortreten, sind sie ihrem<lb/> Wesen nach für alle gleich, das heißt: jeder hat Anspruch auf das Seine und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0023]
Und wenn Huxley den Gleichheitsaposteln die Thatsache entgegenhält, daß
schon die Kinder einer und derselben Familie die auffälligste Ungleichheit in
Beziehung auf Begabung, Temperament und Charakter zu offenbaren Pflegen,
so war es ja eben das, was jene Gleichheitsapostel im Grunde genommen
gemeint haben. Sich mit der Thatsache der natürlichen Ungleichheit zu be¬
schäftigen hatten sie gar keine Veranlassung. Wogegen sie sich wendeten, das
war die gesellschaftliche und gesetzliche Ungleichheit, die es mit sich brachte,
daß der in der Höhe geborne ohne Rücksicht auf seine Begabung oben, und
der in der Tiefe geborne ebenfalls ohne Rücksicht auf seine Begabung zeitlebens
unten blieb.
Endlich hat ja Huxley vollkommen Recht, wenn er in witzigen Aus¬
führungen die Rechtsgleichheit lächerlich macht, die ungefügen hilflosen Fleisch-
klümpchen zugeschrieben wird; in der That, wenn die Neugebornen in irgend
etwas gleich sind, so ist es ihre Hilflosigkeit, ihre Unfreiheit und ihre Recht¬
losigkeit. Aber den Begriff des Naturrechts mißversteht er doch gründlich.
Er sieht es in dem Rechte der Tiger, Menschen zu fressen, und in dem Rechte
des Menschen, sich der Tiger mit jedem ihm zu Gebote stehenden Mittel zu
erwehren. Er findet ganz richtig, daß dieses Naturrecht mit der Gewalt zu¬
sammenfalle und den Kampf aller gegen alle, den Kampf ums Dasein, sonst
nichts, erzeuge. Er meint — und das wollen wir uns gegen Tille und seine
Auslesetheorie merken —, diesem Naturrecht, diesem Kampfe aller gegen alle
mache eben die Zivilisation, die Gesellschaft, ein Ende und setze an dessen
Stelle „ein sittliches und bürgerliches Recht." Ganz richtig! Nur daß das
sittliche und das bürgerliche Recht keineswegs zusammenfallen, und daß das,
was die Männer der ältern idealistischen Weltanschauung unter Naturrecht
Verstehen, nicht das Recht der Tiger ist — der vernunftlosen Natur gehört
die Idee des Rechtes eben nicht an —, sondern das sittliche Recht im Unter¬
schiede vom bürgerlichen. Das bürgerliche Notrecht ist weiter nichts als der
juristische Ausdruck von Machtverhältnissen und ein Mittel, die rohesten Formen
des Kampfes ums Dasein, soweit dieser unter Menschen tobt, zu beseitigen,
die feinern Formen aber, die es bestehen läßt, zu regeln; es ist also im
Grunde genommen weiter nichts als eine höhere Stufe jenes Naturrechts, das
Huxley so nennt. Wir glauben nun aber, daß dem Menschen von Gott die
Idee der Gerechtigkeit eingepflanzt sei — des Anstoßes der äußern Umstünde
bedarf sie zu ihrer Entfaltung so gut wie alle übrigen Ideen —, die da
fordert, daß jedem vergolten werde nach seinem Verdienst oder Mißverdienst,
nach seinen Leistungen oder Unterlassungen, und daß jedem gelassen oder zu¬
gewendet werde, was er sich auf rechtmäßige Weise als Eigentum erworben
hat, Rechtsansprüche können natürlich erst in der Gesellschaft hervortreten
und müssen erworben werden, aber sobald sie hervortreten, sind sie ihrem
Wesen nach für alle gleich, das heißt: jeder hat Anspruch auf das Seine und
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