Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Huxley gegen Rousseau und Henry George Gelehrter imstande ist, über Dinge zu sprechen, von denen er nichts versteht, Im Eingange des zweiten Aufsatzes bemerkt Huxley, ein Kritiker des Huxley gegen Rousseau und Henry George Gelehrter imstande ist, über Dinge zu sprechen, von denen er nichts versteht, Im Eingange des zweiten Aufsatzes bemerkt Huxley, ein Kritiker des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0022" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226924"/> <fw type="header" place="top"> Huxley gegen Rousseau und Henry George</fw><lb/> <p xml:id="ID_35" prev="#ID_34"> Gelehrter imstande ist, über Dinge zu sprechen, von denen er nichts versteht,<lb/> und wenn Tille dem deutschen Publikum Ansichten, die ein leidlich intelligenter<lb/> deutscher Arbeiter zu widerlegen imstande sein würde, als neue und erhabne<lb/> Weisheit darzubieten wagt, so verdient das eine Zurückweisung.</p><lb/> <p xml:id="ID_36" next="#ID_37"> Im Eingange des zweiten Aufsatzes bemerkt Huxley, ein Kritiker des<lb/> ersten: Über die natürliche Ungleichheit der Menschen, habe geäußert, „er sei<lb/> ja ganz nett, aber zu welchem Zwecke Hütte ich mir die Mühe genommen,<lb/> etwas Todes noch einmal totzuschlagen?" Wir sind ganz der Ansicht dieses<lb/> Kritikers und dehnen sein Urteil auch auf den zweiten Aufsatz: Natürliche<lb/> und politische Rechte aus. Jedermann weiß heute, daß sich unter den Höhlen<lb/> oder Hütten der Urmenschen weder eine Notariatsstube noch ein Rathaus be¬<lb/> funden hat, wo Verträge hätten geschlossen werden können. Aber, schreibt<lb/> Stolzmann in dem kürzlich besprochnen Buche: Die soziale Kategorie: „Es ist<lb/> wohlfeil, die Geister des vorigen Jahrhunderts zu belächeln, wenn sie meinen,<lb/> daß ihre Typen, wie etwa der Ooickrxck 800ni, geschichtliche Zustände der<lb/> frühern Entwicklung der menschlichen Gesellschaft darstellen. Ein Typus braucht<lb/> nicht geschichtlich zu sein und kann doch für die Erkenntnis der Gesetze der be¬<lb/> stehenden Volkswirtschaft und ihrer künftigen Entwicklung von unentbehrlichen<lb/> Werte sein." Ja Huxley selbst gesteht auf S. 177 ein: „Vielleicht sind alle sozialen<lb/> Organisationspläne, die bis jetzt ausgeheckt worden sind, unpraktische Thorheiten.<lb/> Aber wenn dem so wäre, so bewiese das doch nicht, daß der ihnen zu Grunde<lb/> liegende Gedanke wertlos sei, sondern nur, daß sich die Sozialwissenschaft noch<lb/> in einem sehr unvollkommnen Zustande befände." Und S. 171 lesen wir sogar:<lb/> „So oft die Annahme eines sozialen Vertrages auch lächerlich gemacht worden<lb/> ist, so ist es doch Wohl genügend klar, daß sich alle soziale Organisation auf<lb/> etwas gründet, was in seinem Kerne ein Vertrag zwischen den Mitgliedern<lb/> der Gesellschaft ist, mag er nun ausgesprochen oder stillschweigend sein."<lb/> In der That beruht jede zivilisirte Gesellschaft auf einem stillschweigenden<lb/> Vertrag; jeder ihrer Angehörigen, mag ihm auch das Wort Vertrag oder der<lb/> entsprechende Begriff gar nicht in den Sinn kommen, erwartet doch, daß seinen<lb/> Leistungen Gegenleistungen der andern, der Gesellschaft entsprechen werden, und<lb/> wenn einer überzeugt wäre, daß die Gesellschaft ihre Pflichten gegen ihn nicht<lb/> erfülle, so würde auch er sich zu nichts mehr verpflichtet fühlen, und was er<lb/> dann noch leistete, das würde er nnr leisten, weil und so weit er sich dazu ge¬<lb/> zwungen sähe. Abgesehen ferner davon, daß wir einen reinen Naturzustand<lb/> gar nicht kennen, wissen wir heute zu viel von den sogenannten Naturvölkern,<lb/> als daß wir sie mit Rousseau glücklich preisen könnten. Aber wir wissen auch,<lb/> daß wir die Befreiung vou den aus einer übermächtigen Natur und aus Un¬<lb/> wissenheit entspringenden Übeln, die die Naturvölker bedrängen, mit andern Übeln<lb/> erkauft haben, die ein verwickelter Gesellschaftszustand erzeugt, und es war<lb/> keineswegs überflüssig, wenn Rousseau auf diese Übel nachdrücklich hinwies.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
Huxley gegen Rousseau und Henry George
Gelehrter imstande ist, über Dinge zu sprechen, von denen er nichts versteht,
und wenn Tille dem deutschen Publikum Ansichten, die ein leidlich intelligenter
deutscher Arbeiter zu widerlegen imstande sein würde, als neue und erhabne
Weisheit darzubieten wagt, so verdient das eine Zurückweisung.
Im Eingange des zweiten Aufsatzes bemerkt Huxley, ein Kritiker des
ersten: Über die natürliche Ungleichheit der Menschen, habe geäußert, „er sei
ja ganz nett, aber zu welchem Zwecke Hütte ich mir die Mühe genommen,
etwas Todes noch einmal totzuschlagen?" Wir sind ganz der Ansicht dieses
Kritikers und dehnen sein Urteil auch auf den zweiten Aufsatz: Natürliche
und politische Rechte aus. Jedermann weiß heute, daß sich unter den Höhlen
oder Hütten der Urmenschen weder eine Notariatsstube noch ein Rathaus be¬
funden hat, wo Verträge hätten geschlossen werden können. Aber, schreibt
Stolzmann in dem kürzlich besprochnen Buche: Die soziale Kategorie: „Es ist
wohlfeil, die Geister des vorigen Jahrhunderts zu belächeln, wenn sie meinen,
daß ihre Typen, wie etwa der Ooickrxck 800ni, geschichtliche Zustände der
frühern Entwicklung der menschlichen Gesellschaft darstellen. Ein Typus braucht
nicht geschichtlich zu sein und kann doch für die Erkenntnis der Gesetze der be¬
stehenden Volkswirtschaft und ihrer künftigen Entwicklung von unentbehrlichen
Werte sein." Ja Huxley selbst gesteht auf S. 177 ein: „Vielleicht sind alle sozialen
Organisationspläne, die bis jetzt ausgeheckt worden sind, unpraktische Thorheiten.
Aber wenn dem so wäre, so bewiese das doch nicht, daß der ihnen zu Grunde
liegende Gedanke wertlos sei, sondern nur, daß sich die Sozialwissenschaft noch
in einem sehr unvollkommnen Zustande befände." Und S. 171 lesen wir sogar:
„So oft die Annahme eines sozialen Vertrages auch lächerlich gemacht worden
ist, so ist es doch Wohl genügend klar, daß sich alle soziale Organisation auf
etwas gründet, was in seinem Kerne ein Vertrag zwischen den Mitgliedern
der Gesellschaft ist, mag er nun ausgesprochen oder stillschweigend sein."
In der That beruht jede zivilisirte Gesellschaft auf einem stillschweigenden
Vertrag; jeder ihrer Angehörigen, mag ihm auch das Wort Vertrag oder der
entsprechende Begriff gar nicht in den Sinn kommen, erwartet doch, daß seinen
Leistungen Gegenleistungen der andern, der Gesellschaft entsprechen werden, und
wenn einer überzeugt wäre, daß die Gesellschaft ihre Pflichten gegen ihn nicht
erfülle, so würde auch er sich zu nichts mehr verpflichtet fühlen, und was er
dann noch leistete, das würde er nnr leisten, weil und so weit er sich dazu ge¬
zwungen sähe. Abgesehen ferner davon, daß wir einen reinen Naturzustand
gar nicht kennen, wissen wir heute zu viel von den sogenannten Naturvölkern,
als daß wir sie mit Rousseau glücklich preisen könnten. Aber wir wissen auch,
daß wir die Befreiung vou den aus einer übermächtigen Natur und aus Un¬
wissenheit entspringenden Übeln, die die Naturvölker bedrängen, mit andern Übeln
erkauft haben, die ein verwickelter Gesellschaftszustand erzeugt, und es war
keineswegs überflüssig, wenn Rousseau auf diese Übel nachdrücklich hinwies.
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