Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Zentrum und Flotte deutung einer starken Flotte zu unterschätzen, hat man es damals unterlassen, Grenzvoten I 1898 28
Zentrum und Flotte deutung einer starken Flotte zu unterschätzen, hat man es damals unterlassen, Grenzvoten I 1898 28
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227123"/> <fw type="header" place="top"> Zentrum und Flotte</fw><lb/> <p xml:id="ID_697" prev="#ID_696" next="#ID_698"> deutung einer starken Flotte zu unterschätzen, hat man es damals unterlassen,<lb/> einen gehörigen Bruchteil der „Milliarden" für Marinezwecke festzulegen, so<lb/> kann doch daraus heute kein Mann, der seine fünf Sinne beisammen hat,<lb/> folgern, daß die Neichsregierung in dem damaligen Fehler zu verharren habe,<lb/> wenn sie nicht das Vertrauen zum Reich im großen Haufen der Neichsangehörigen<lb/> erschüttern wolle. Mit Recht hat der Reichskanzler in seiner ersten Rede zur<lb/> Marinevorlage auf diese nur durch die zu Lande erfochtenen großen Siege<lb/> erklärbare Unterlassungssünde hingewiesen. Und doch widmet Müller dem<lb/> Pergleich der Denkschrift von 1873 und der jetzigen Vorlage einen langen Ab¬<lb/> schnitt seiner Schrift mit vielen Zahlen und andern schlagenden Argumenten für<lb/> Dinge, die niemand leugnet. Und was soll auch die hier wieder breitgetretene<lb/> Aufzählung von Wandlungen in den marinetcchnischen Anschauungen während<lb/> der letzte» Jahrzehnte für den ernsthaften Politiker sagen? Diese Wand¬<lb/> lungen haben sich in der ganzen Welt abgespielt, und wie anderwärts ist auch<lb/> in Deutschland die Marine jetzt endlich zu einem gewissen Abschluß gekommen,<lb/> zu einem feststehenden Urteil, soweit man in technischen Fragen überhaupt davon<lb/> sprechen kann. Auch hier werden die Beweise aufgebauscht für etwas, was<lb/> weder bewiesen zu werden braucht noch sachlich ins Gewicht füllt. Nur eins<lb/> galt es damit zu erreichen: der Masse die Parole beizubringen „Taschen zu!<lb/> Für die Flvttenpläne des Kaisers keinen Groschen!" Oder wagt es Müller<lb/> wirklich, einem urteilsfähigen Manne weismachen zu wollen, daß dnrch seine<lb/> Arbeit jemand, der den Schwindel nicht ahnt, zu einer andern Schlußfolgerung<lb/> gelange» könnte? Hat er wirklich die Stirn, zu behaupten, mit dieser Schrift<lb/> der „etatsmäßige» Bewilligung" der Flvttenvcrmehrung auch nur in einer Zeile<lb/> ehrlich das Wort geredet zu haben? Es lohnt sich, daraufhin auch die weitern<lb/> Abschnitte el» we»ig näher anzusehen. Da finden wir zunächst eine Über¬<lb/> schrift: „Schutz des Seehandels auf allen Meeren," aber kein Wort darunter,<lb/> das der Marine auch nur irgend welche Bedeutung für diesen Zweck zuerkenute.<lb/> Gerade das Gegenteil wird nicht etwa behauptet — und das ist so recht be¬<lb/> zeichnend —, aber zu beweisen versucht. Da wird ausgeführt, daß „die Pflege<lb/> guter Handelsbeziehungen mit unsern nächsten Nachbarn für die deutsche In¬<lb/> dustrie und den deutschen Ausfuhrhandel vo» viel größerer Bedeutung sei,<lb/> als alle überseeische» Erwerbungen und Unternehmungen in absehbarer Zeit<lb/> haben könnten"; „daß das Aufblühen des deutscheu Ein- und Ausfuhrhandels<lb/> von der Stärke der deutschen Marine unabhängig ist." daß „der auswärtige<lb/> Handel durch einen Krieg mit einer oder mehreren Großmächten auch keines¬<lb/> wegs lahmgelegt sein würde." Mit besondrer Zuversicht wird weiter der<lb/> Trumpf ausgespielt, daß die Marinevorlage für den „Auslandsdienst" nur<lb/> sechs Schiffe'für 32000000 Mark fordre. während für die „Schlachtflotte"<lb/> dreizehn Schiffe im Werte von 178000000 verlangt würden. Das soll heißen:<lb/> Mit dem Schutz des Handels ist es der Regierung überhaupt gar nicht Ernst!<lb/> Als ganz hinfällig wird dann der Grund der „Verteidigung der vaterländischen<lb/> Küsten" für die Flottenverstärkung hingestellt, nicht minder der „Schutz der<lb/> Kolonien." Da wird Fürst Bismarck als Eideshelfer ausgerufen, der einem<lb/> Mitarbeiter des Herrn Harden gesagt habe, „daß wir sogar die für unsern<lb/> Kolonialbesitz entscheidenden Schlachten auf dem europäischen Festlande aus-<lb/> zufechten haben werden." Und vollends der „Schutz der Deutschen im Aus¬<lb/> lande" durch die Marine wird ganz und gar lächerlich gemacht. Auch die<lb/> Beurteilung der „finanziellen Tragweite der Marinevorlage" läuft schließlich</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzvoten I 1898 28</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0221]
Zentrum und Flotte
deutung einer starken Flotte zu unterschätzen, hat man es damals unterlassen,
einen gehörigen Bruchteil der „Milliarden" für Marinezwecke festzulegen, so
kann doch daraus heute kein Mann, der seine fünf Sinne beisammen hat,
folgern, daß die Neichsregierung in dem damaligen Fehler zu verharren habe,
wenn sie nicht das Vertrauen zum Reich im großen Haufen der Neichsangehörigen
erschüttern wolle. Mit Recht hat der Reichskanzler in seiner ersten Rede zur
Marinevorlage auf diese nur durch die zu Lande erfochtenen großen Siege
erklärbare Unterlassungssünde hingewiesen. Und doch widmet Müller dem
Pergleich der Denkschrift von 1873 und der jetzigen Vorlage einen langen Ab¬
schnitt seiner Schrift mit vielen Zahlen und andern schlagenden Argumenten für
Dinge, die niemand leugnet. Und was soll auch die hier wieder breitgetretene
Aufzählung von Wandlungen in den marinetcchnischen Anschauungen während
der letzte» Jahrzehnte für den ernsthaften Politiker sagen? Diese Wand¬
lungen haben sich in der ganzen Welt abgespielt, und wie anderwärts ist auch
in Deutschland die Marine jetzt endlich zu einem gewissen Abschluß gekommen,
zu einem feststehenden Urteil, soweit man in technischen Fragen überhaupt davon
sprechen kann. Auch hier werden die Beweise aufgebauscht für etwas, was
weder bewiesen zu werden braucht noch sachlich ins Gewicht füllt. Nur eins
galt es damit zu erreichen: der Masse die Parole beizubringen „Taschen zu!
Für die Flvttenpläne des Kaisers keinen Groschen!" Oder wagt es Müller
wirklich, einem urteilsfähigen Manne weismachen zu wollen, daß dnrch seine
Arbeit jemand, der den Schwindel nicht ahnt, zu einer andern Schlußfolgerung
gelange» könnte? Hat er wirklich die Stirn, zu behaupten, mit dieser Schrift
der „etatsmäßige» Bewilligung" der Flvttenvcrmehrung auch nur in einer Zeile
ehrlich das Wort geredet zu haben? Es lohnt sich, daraufhin auch die weitern
Abschnitte el» we»ig näher anzusehen. Da finden wir zunächst eine Über¬
schrift: „Schutz des Seehandels auf allen Meeren," aber kein Wort darunter,
das der Marine auch nur irgend welche Bedeutung für diesen Zweck zuerkenute.
Gerade das Gegenteil wird nicht etwa behauptet — und das ist so recht be¬
zeichnend —, aber zu beweisen versucht. Da wird ausgeführt, daß „die Pflege
guter Handelsbeziehungen mit unsern nächsten Nachbarn für die deutsche In¬
dustrie und den deutschen Ausfuhrhandel vo» viel größerer Bedeutung sei,
als alle überseeische» Erwerbungen und Unternehmungen in absehbarer Zeit
haben könnten"; „daß das Aufblühen des deutscheu Ein- und Ausfuhrhandels
von der Stärke der deutschen Marine unabhängig ist." daß „der auswärtige
Handel durch einen Krieg mit einer oder mehreren Großmächten auch keines¬
wegs lahmgelegt sein würde." Mit besondrer Zuversicht wird weiter der
Trumpf ausgespielt, daß die Marinevorlage für den „Auslandsdienst" nur
sechs Schiffe'für 32000000 Mark fordre. während für die „Schlachtflotte"
dreizehn Schiffe im Werte von 178000000 verlangt würden. Das soll heißen:
Mit dem Schutz des Handels ist es der Regierung überhaupt gar nicht Ernst!
Als ganz hinfällig wird dann der Grund der „Verteidigung der vaterländischen
Küsten" für die Flottenverstärkung hingestellt, nicht minder der „Schutz der
Kolonien." Da wird Fürst Bismarck als Eideshelfer ausgerufen, der einem
Mitarbeiter des Herrn Harden gesagt habe, „daß wir sogar die für unsern
Kolonialbesitz entscheidenden Schlachten auf dem europäischen Festlande aus-
zufechten haben werden." Und vollends der „Schutz der Deutschen im Aus¬
lande" durch die Marine wird ganz und gar lächerlich gemacht. Auch die
Beurteilung der „finanziellen Tragweite der Marinevorlage" läuft schließlich
Grenzvoten I 1898 28
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