Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Zentrum und Flotte ungeheure Dummheit, wollte der deutsche Michel auch auf diese Musterleistung Natürlich setzt Müller wie Eugen Richter seinen Angriff an dem schwächsten Zentrum und Flotte ungeheure Dummheit, wollte der deutsche Michel auch auf diese Musterleistung Natürlich setzt Müller wie Eugen Richter seinen Angriff an dem schwächsten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227122"/> <fw type="header" place="top"> Zentrum und Flotte</fw><lb/> <p xml:id="ID_695" prev="#ID_694"> ungeheure Dummheit, wollte der deutsche Michel auch auf diese Musterleistung<lb/> ultramontcmcr Geriebenheit hineinfallen, denu diese Borschützung der „konstitu¬<lb/> tionellen Bedenken" ist doch in der That schon zum puren Schwindel geworden.<lb/> Gerade das wird durch die Broschüre Müllers klipp und klar bewiesen: man<lb/> will die „alljährliche Ausgabebewilligung" behalten, nur um die „etatsmäßigen<lb/> Forderungen" nicht zu bewilligen. Und damit muß die dringende Notwendig¬<lb/> keit, daß unsre Seemacht durch Gesetz vor der Gefahr, die in den alljährlichen<lb/> etatsmäßigen Bewilligungen liegt, ein für allemal sichergestellt werde, für jeden,<lb/> der es ehrlich mit dem Reiche meint, völlig außer Zweifel gestellt sein. Wird<lb/> der deutsche Michel endlich die ultramontane Viedermeierei begreifen lernen?<lb/> Wird er endlich merken, was hinter den Bergen gebaut wird? Der freisinnigen<lb/> Partei mit ihrer verhältnismäßig geringen Vertrcterzahl im Reichstage und<lb/> ihrer, wie es scheint, in die Brüche gehenden Disziplin braucht man für die<lb/> Flottenfrage keine große Bedeutung mehr beizulegen, aber den Ultramontanen<lb/> muß die Maske vom Gesicht gerissen werden, mit der sie Volk und Regie¬<lb/> rungen so oft darüber hinweg getäuscht haben, welche Gefahr sie für die<lb/> Losung aller wirklich großen nationalen Fragen sind. Wir haben es vor der<lb/> so viel gepriesenen Rede des Abgeordneten Lieber bei der ersten Lesung der<lb/> Marinevorlage ausgesprochen, daß sich ultramontane Politik und Reichspolitik<lb/> scheiden wie Wasser und Feuer, daß der Ultramontanismus den großen Zielen<lb/> der Reichspolitik jederzeit ein Bein zu stellen suchen wird, solange er das ist,<lb/> was er ist, und daß der deutsche Kaiser, der ihm traut, auf Schlimmeres baut<lb/> als auf Sand. Wir fürchten, wir werden Recht behalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_696" next="#ID_697"> Natürlich setzt Müller wie Eugen Richter seinen Angriff an dem schwächsten<lb/> Punkt an, den die Stellung der Regierungen bietet. Mit einnehmenden<lb/> Scharfsinn und behaglicher Breite werden vor allem die Widersprüche aus¬<lb/> gebeutet, die unzweifelhaft zwischen der heutigen Marinevorlage nebst ihrer<lb/> Begründung und frühern Denkschriften und sonstigen Äußerungen der Ne¬<lb/> gierung und ihrer Vertreter vorhanden sind. Durch nichts könnte man den<lb/> Herren Müller und Richter einen größern Gefallen thun, als wenn man diese<lb/> Widersprüche leugnen wollte. Wir wollen sie nicht einmal entschuldigen. Graf<lb/> Limburg-Stirnen hatte Recht, wenn er den Vertretern der Negierung den Rat<lb/> gab, sich in Zukunft vor unnötigen Versteckenspielen z» hüten. Sachlich aber<lb/> ist mit diesen Widersprüchen natürlich gegen die Vorlage auch nicht das geringste<lb/> zu beweisen. Selbst wenn wir nicht vor einer wirklich völlig neuen Lage und<lb/> Aufgabe in der See- und Handelspolitik stünden, wäre das Aufgeben früherer<lb/> Irrtümer kein Fehler, sondern ein Verdienst. Die ungesunden Parteiverhältnisse<lb/> in der Volksvertretung tragen einen guten Teil der Schuld an dem Lavireu<lb/> der Negierung in den letzten Jahren, bis es nun endlich unvermeidlich geworden<lb/> ist, offen festen Kurs zu nehmen. Von Rücksichten der äußern Politik gar nicht<lb/> zu reden. Es ist traurig, sehr traurig, wenn die Regierung gegen die Volks¬<lb/> vertretung nicht offen sein zu dürfen glaubt, aber das Zentrum hat ganz gewiß<lb/> am wenigsten ein Recht, sich darüber entrüstet zu stellen, denn es giebt als die<lb/> stärkste Partei dem heutigen Reichstag vor allen andern Parteien das Gepräge,<lb/> das ihn des Vertrauens jeder pflichttreuen Negierung berauben muß. Was ist<lb/> es aber andres als Schwindel, wenn mau aus den Abweichungen von der<lb/> „Denkschrift von 1873" die Argumente gegen die Flottenverstärkung von 1898<lb/> hernehmen will? Hat man damals unter dem überwältigenden Eindruck der<lb/> deutscheu Siege von 1870/71 den großen Fehler gemacht, die zukünftige Be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0220]
Zentrum und Flotte
ungeheure Dummheit, wollte der deutsche Michel auch auf diese Musterleistung
ultramontcmcr Geriebenheit hineinfallen, denu diese Borschützung der „konstitu¬
tionellen Bedenken" ist doch in der That schon zum puren Schwindel geworden.
Gerade das wird durch die Broschüre Müllers klipp und klar bewiesen: man
will die „alljährliche Ausgabebewilligung" behalten, nur um die „etatsmäßigen
Forderungen" nicht zu bewilligen. Und damit muß die dringende Notwendig¬
keit, daß unsre Seemacht durch Gesetz vor der Gefahr, die in den alljährlichen
etatsmäßigen Bewilligungen liegt, ein für allemal sichergestellt werde, für jeden,
der es ehrlich mit dem Reiche meint, völlig außer Zweifel gestellt sein. Wird
der deutsche Michel endlich die ultramontane Viedermeierei begreifen lernen?
Wird er endlich merken, was hinter den Bergen gebaut wird? Der freisinnigen
Partei mit ihrer verhältnismäßig geringen Vertrcterzahl im Reichstage und
ihrer, wie es scheint, in die Brüche gehenden Disziplin braucht man für die
Flottenfrage keine große Bedeutung mehr beizulegen, aber den Ultramontanen
muß die Maske vom Gesicht gerissen werden, mit der sie Volk und Regie¬
rungen so oft darüber hinweg getäuscht haben, welche Gefahr sie für die
Losung aller wirklich großen nationalen Fragen sind. Wir haben es vor der
so viel gepriesenen Rede des Abgeordneten Lieber bei der ersten Lesung der
Marinevorlage ausgesprochen, daß sich ultramontane Politik und Reichspolitik
scheiden wie Wasser und Feuer, daß der Ultramontanismus den großen Zielen
der Reichspolitik jederzeit ein Bein zu stellen suchen wird, solange er das ist,
was er ist, und daß der deutsche Kaiser, der ihm traut, auf Schlimmeres baut
als auf Sand. Wir fürchten, wir werden Recht behalten.
Natürlich setzt Müller wie Eugen Richter seinen Angriff an dem schwächsten
Punkt an, den die Stellung der Regierungen bietet. Mit einnehmenden
Scharfsinn und behaglicher Breite werden vor allem die Widersprüche aus¬
gebeutet, die unzweifelhaft zwischen der heutigen Marinevorlage nebst ihrer
Begründung und frühern Denkschriften und sonstigen Äußerungen der Ne¬
gierung und ihrer Vertreter vorhanden sind. Durch nichts könnte man den
Herren Müller und Richter einen größern Gefallen thun, als wenn man diese
Widersprüche leugnen wollte. Wir wollen sie nicht einmal entschuldigen. Graf
Limburg-Stirnen hatte Recht, wenn er den Vertretern der Negierung den Rat
gab, sich in Zukunft vor unnötigen Versteckenspielen z» hüten. Sachlich aber
ist mit diesen Widersprüchen natürlich gegen die Vorlage auch nicht das geringste
zu beweisen. Selbst wenn wir nicht vor einer wirklich völlig neuen Lage und
Aufgabe in der See- und Handelspolitik stünden, wäre das Aufgeben früherer
Irrtümer kein Fehler, sondern ein Verdienst. Die ungesunden Parteiverhältnisse
in der Volksvertretung tragen einen guten Teil der Schuld an dem Lavireu
der Negierung in den letzten Jahren, bis es nun endlich unvermeidlich geworden
ist, offen festen Kurs zu nehmen. Von Rücksichten der äußern Politik gar nicht
zu reden. Es ist traurig, sehr traurig, wenn die Regierung gegen die Volks¬
vertretung nicht offen sein zu dürfen glaubt, aber das Zentrum hat ganz gewiß
am wenigsten ein Recht, sich darüber entrüstet zu stellen, denn es giebt als die
stärkste Partei dem heutigen Reichstag vor allen andern Parteien das Gepräge,
das ihn des Vertrauens jeder pflichttreuen Negierung berauben muß. Was ist
es aber andres als Schwindel, wenn mau aus den Abweichungen von der
„Denkschrift von 1873" die Argumente gegen die Flottenverstärkung von 1898
hernehmen will? Hat man damals unter dem überwältigenden Eindruck der
deutscheu Siege von 1870/71 den großen Fehler gemacht, die zukünftige Be-
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