Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Friedrich Ratzeis Völkerkunde und Politische Geographie wir in ihr nicht, wie es bisher üblich war, eine Vereinigung von starr von¬ Die wichtigste und mächtigste der gesellschaftlichen Bildungen, die die Friedrich Ratzeis Völkerkunde und Politische Geographie wir in ihr nicht, wie es bisher üblich war, eine Vereinigung von starr von¬ Die wichtigste und mächtigste der gesellschaftlichen Bildungen, die die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0207" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227109"/> <fw type="header" place="top"> Friedrich Ratzeis Völkerkunde und Politische Geographie</fw><lb/> <p xml:id="ID_642" prev="#ID_641"> wir in ihr nicht, wie es bisher üblich war, eine Vereinigung von starr von¬<lb/> einander gesonderten Arten, Abarten, Volksgruppen, Völkern, Stammen er¬<lb/> blicken. Sobald irgend ein Teil der Menschheit gelernt hatte, die länder¬<lb/> trennenden Meere zu durchfurchen, war ihr auch schon das Ziel immer weiter¬<lb/> gehender Verschmelzung gesteckt. Nehmen wir mit der großen Mehrzahl heutiger<lb/> Anthropologen einen einheitlichen Ursprung des Menschen an, so ist die Wieder¬<lb/> vereinigung der durch Spielartenbildung anseinandergegangneu Teile der<lb/> Menschheit zu einer wahren Einheit das unbewußte letzte Ziel dieser Be¬<lb/> wegungen der Menschen.....Die Rasse hat mit dem Kulturbesitz an sich nichts<lb/> zu thun. Es wäre zwar thöricht, zu leugnen, daß in unsrer Zeit die höchste<lb/> Kultur von der sogenannten kaukasischen oder weißen Rasse getragen wird;<lb/> aber andrerseits ist es eine ebenso wichtige Thatsache, daß seit Jahrtausenden<lb/> in aller Kulturbewegung die Tendenz vorherrscht, alle Rassen heranzuziehen<lb/> zu ihren Lasten und Pflichten und dadurch Ernst zu machen mit dem großen<lb/> Begriff »Menschheit,« dessen Besitz zwar als eine auszeichnende Eigenschaft<lb/> der modernen Welt von allen gerühmt, an dessen Verwirklichung aber von<lb/> vielen noch nicht geglaubt wird" (I, 9 und 18).</p><lb/> <p xml:id="ID_643" next="#ID_644"> Die wichtigste und mächtigste der gesellschaftlichen Bildungen, die die<lb/> Grundlage jeder Kulturthütigkeit sind, ist der Staat. Dessen Zusammenhang<lb/> mit dem Boden stellt Ratzel in seiner Politischen Geographie dar. Sollte<lb/> man nicht meinen, schreibt er in der Vorrede, es sei Sache der Staatswissen¬<lb/> schaft, die Beziehungen zwischen dem Staat und dem Boden zu erforschen?<lb/> „Diese Wissenschaft hat sich aber bisher streng ferngehalten von aller räum¬<lb/> lichen Betrachtung, Messung, Zählung und Vergleichung der Staaten und<lb/> Staatenteile; und das ist es ja gerade, was der politischen Geographie erst<lb/> ihr Leben giebt. Für manche Staatswissenschaftler und Soziologen steht der<lb/> Staat geradeso in der Luft, wie für viele Historiker, und der Boden des<lb/> Staates ist ihnen nur eine größere Art von Grundbesitz." Durch die Auf-<lb/> deckung der Beziehungen der Staaten zu den verschieden großen und verschieden<lb/> gelegnen Räumen, in denen sie sich entwickelt haben, zu den Gebirgen, Flüssen<lb/> und Meeren, die sie begrenzen oder durchziehen, wirft Ratzel auf die wichtigsten<lb/> geschichtlichen Ereignisse alter und neuer Zeit ein neues Licht, das viele über¬<lb/> raschen wird. Was uns in Deutschland am allermeisten fehlt, die Über¬<lb/> einstimmung von Negierung und Volk i» der Überzeugung von der Notwendig¬<lb/> keit des Strebens nach gewissen klar erkannten Zielen, das wäre nnr ans dem<lb/> Wege solcher Betrachtungen erreichbar, wie sie dieses Buch enthält. Den<lb/> Politikern, die sich um Quisquilien zanken und abmühen, empfehlen wir vor¬<lb/> läufig nur folgende Gedanken, denen sich Dutzende von gleicher Bedeutung<lb/> anreihen ließen, zur Erwägung. „Je einfacher und unmittelbarer der Zu¬<lb/> sammenhang des Staates mit seinem Boden, desto gesunder ist jederzeit sein<lb/> Leben und Wachstum. Vorzüglich gehört dazu auch, daß mindestens die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0207]
Friedrich Ratzeis Völkerkunde und Politische Geographie
wir in ihr nicht, wie es bisher üblich war, eine Vereinigung von starr von¬
einander gesonderten Arten, Abarten, Volksgruppen, Völkern, Stammen er¬
blicken. Sobald irgend ein Teil der Menschheit gelernt hatte, die länder¬
trennenden Meere zu durchfurchen, war ihr auch schon das Ziel immer weiter¬
gehender Verschmelzung gesteckt. Nehmen wir mit der großen Mehrzahl heutiger
Anthropologen einen einheitlichen Ursprung des Menschen an, so ist die Wieder¬
vereinigung der durch Spielartenbildung anseinandergegangneu Teile der
Menschheit zu einer wahren Einheit das unbewußte letzte Ziel dieser Be¬
wegungen der Menschen.....Die Rasse hat mit dem Kulturbesitz an sich nichts
zu thun. Es wäre zwar thöricht, zu leugnen, daß in unsrer Zeit die höchste
Kultur von der sogenannten kaukasischen oder weißen Rasse getragen wird;
aber andrerseits ist es eine ebenso wichtige Thatsache, daß seit Jahrtausenden
in aller Kulturbewegung die Tendenz vorherrscht, alle Rassen heranzuziehen
zu ihren Lasten und Pflichten und dadurch Ernst zu machen mit dem großen
Begriff »Menschheit,« dessen Besitz zwar als eine auszeichnende Eigenschaft
der modernen Welt von allen gerühmt, an dessen Verwirklichung aber von
vielen noch nicht geglaubt wird" (I, 9 und 18).
Die wichtigste und mächtigste der gesellschaftlichen Bildungen, die die
Grundlage jeder Kulturthütigkeit sind, ist der Staat. Dessen Zusammenhang
mit dem Boden stellt Ratzel in seiner Politischen Geographie dar. Sollte
man nicht meinen, schreibt er in der Vorrede, es sei Sache der Staatswissen¬
schaft, die Beziehungen zwischen dem Staat und dem Boden zu erforschen?
„Diese Wissenschaft hat sich aber bisher streng ferngehalten von aller räum¬
lichen Betrachtung, Messung, Zählung und Vergleichung der Staaten und
Staatenteile; und das ist es ja gerade, was der politischen Geographie erst
ihr Leben giebt. Für manche Staatswissenschaftler und Soziologen steht der
Staat geradeso in der Luft, wie für viele Historiker, und der Boden des
Staates ist ihnen nur eine größere Art von Grundbesitz." Durch die Auf-
deckung der Beziehungen der Staaten zu den verschieden großen und verschieden
gelegnen Räumen, in denen sie sich entwickelt haben, zu den Gebirgen, Flüssen
und Meeren, die sie begrenzen oder durchziehen, wirft Ratzel auf die wichtigsten
geschichtlichen Ereignisse alter und neuer Zeit ein neues Licht, das viele über¬
raschen wird. Was uns in Deutschland am allermeisten fehlt, die Über¬
einstimmung von Negierung und Volk i» der Überzeugung von der Notwendig¬
keit des Strebens nach gewissen klar erkannten Zielen, das wäre nnr ans dem
Wege solcher Betrachtungen erreichbar, wie sie dieses Buch enthält. Den
Politikern, die sich um Quisquilien zanken und abmühen, empfehlen wir vor¬
läufig nur folgende Gedanken, denen sich Dutzende von gleicher Bedeutung
anreihen ließen, zur Erwägung. „Je einfacher und unmittelbarer der Zu¬
sammenhang des Staates mit seinem Boden, desto gesunder ist jederzeit sein
Leben und Wachstum. Vorzüglich gehört dazu auch, daß mindestens die
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