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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Zeitfragen

hebt. Daß dabei der Einfluß der Kreisdirektionen allmächtig sei, wird be¬
hauptet, ist aber nicht richtig, mau wollte denn mit denen, die mit der Be¬
hauptung nur den Wunsch maskiren, ihren eignen Einfluß konkurrenzfrei zu
machen, Besonnenheit und verständige Rücksicht auf die Staatslenkung als Ab¬
hängigkeit und Servilismus verschreien. Wie die Verhältnisse in unserm Lande
liegen, ist diese Form von Zwischenwahlen die einzige, die das Wahlergebnis,
in Bausch und Bogen genommen, vor den Gefahren des allgemeinen Wahl¬
rechts bewahrt, dieses erträglich macht, ohne Koteriewesen zu begünstigen.

In den Bezirkstagen dagegen steht das Koteriewesen in üppiger Blüte.
Es kann auch gar nicht anders sein, denn sie zählen nicht ganz dreimal soviel
Mitglieder, als sie aus ihrer Mitte an Abgeordneten in den Landesausschuß
zu wühlen haben. Wie soll bei so geringer Auswahl rechte und freie Wahl
möglich sein? Bei uus kommt noch die schleichende Macht des Notabelnwesens
hinzu. Das haben wir gehegt und noch mächtiger gemacht, ohne uns irgend
welche Gegenleistungen zu sichern, und es stützt sich gerade auf die Bezirke
als die Erben der französischen Departements. Es sind ja deu Bezirken manche
Amtsbefugnisse abgenommen und auf die Kreise übertragen worden, aber der
Abzug wurde bald durch parlamentarische Stärkung der Bezirkstage ersetzt.
Überhaupt greift alles, was mit den Bezirken zusammenhängt, in den Gang
der Dinge viel tiefer ein, als man gewöhnlich meint. Wir sprechen von Elsaß-
Lothringen oder vom Reichsland nur als von einer Einheit, in Wirklichkeit
jedoch stehen sich schon Oberelsaß und Unterelsaß sehr fern, und Lothringen
vollends ist eine ganz andre Welt; des Trennenden giebt es viel mehr als
dessen, was innerlich einigt. Das, worin sich politisch in allen drei Bezirken
die Bevölkerung eins fühlt, ist nur die französische Tradition als Gegensatz
und vermeintlicher Vorzug, und dann, als positive Ergänzung, der Wunsch,
sich von jeder Gestalt deutscher Einflüsse freizumachen; wie ich es schon früher
bezeichnet habe: das Band, das die drei Bezirke innerlich und auch parlamen¬
tarisch zusammenhält, ist ein französisch gefärbter Separatismus. Sonst streben
die Bezirke ü, 1a Schweizer Kantönli aus einander; wenn je der Separatismus
siegen sollte, so wäre sofort der Bezirkszwist da. Einstweilen bilden die Bezirks¬
tage den Mittelpunkt für alles, was uotabel ist, notabel wiederum ist in neun¬
zehn von zwanzig Füllen deutschfeindlich, nur im Uuterelsaß ist die Verhältniswahl
günstiger, und so sind es die Herde der gegen uns gerichteten Bestrebungen,
die mehr als die Hülste des Landesausschusses besetzen.

Das Wahlgesetz für den Landesausschuß ist also in der That ver¬
besserungsbedürftig, sogar dringend und in hohem Maße, aber in einer ganz
andern Richtung als nach dem Antrag, der dem Reichstag vorliegt. Das
Wahlgesetz ist vielmehr so zu verbessern, daß das Wahlrecht der Bezirkstage
beseitigt wird, und ihre Abgeordneten, der Gesamtzahl nach vielleicht etwas
heruntergesetzt, auf die Städte und Landkreise verteilt werden, je nach Be¬
deutung und Bevölkerung. Dieses Ziel sollte die Negierung angrisfsweise durch


Reichsländische Zeitfragen

hebt. Daß dabei der Einfluß der Kreisdirektionen allmächtig sei, wird be¬
hauptet, ist aber nicht richtig, mau wollte denn mit denen, die mit der Be¬
hauptung nur den Wunsch maskiren, ihren eignen Einfluß konkurrenzfrei zu
machen, Besonnenheit und verständige Rücksicht auf die Staatslenkung als Ab¬
hängigkeit und Servilismus verschreien. Wie die Verhältnisse in unserm Lande
liegen, ist diese Form von Zwischenwahlen die einzige, die das Wahlergebnis,
in Bausch und Bogen genommen, vor den Gefahren des allgemeinen Wahl¬
rechts bewahrt, dieses erträglich macht, ohne Koteriewesen zu begünstigen.

In den Bezirkstagen dagegen steht das Koteriewesen in üppiger Blüte.
Es kann auch gar nicht anders sein, denn sie zählen nicht ganz dreimal soviel
Mitglieder, als sie aus ihrer Mitte an Abgeordneten in den Landesausschuß
zu wühlen haben. Wie soll bei so geringer Auswahl rechte und freie Wahl
möglich sein? Bei uus kommt noch die schleichende Macht des Notabelnwesens
hinzu. Das haben wir gehegt und noch mächtiger gemacht, ohne uns irgend
welche Gegenleistungen zu sichern, und es stützt sich gerade auf die Bezirke
als die Erben der französischen Departements. Es sind ja deu Bezirken manche
Amtsbefugnisse abgenommen und auf die Kreise übertragen worden, aber der
Abzug wurde bald durch parlamentarische Stärkung der Bezirkstage ersetzt.
Überhaupt greift alles, was mit den Bezirken zusammenhängt, in den Gang
der Dinge viel tiefer ein, als man gewöhnlich meint. Wir sprechen von Elsaß-
Lothringen oder vom Reichsland nur als von einer Einheit, in Wirklichkeit
jedoch stehen sich schon Oberelsaß und Unterelsaß sehr fern, und Lothringen
vollends ist eine ganz andre Welt; des Trennenden giebt es viel mehr als
dessen, was innerlich einigt. Das, worin sich politisch in allen drei Bezirken
die Bevölkerung eins fühlt, ist nur die französische Tradition als Gegensatz
und vermeintlicher Vorzug, und dann, als positive Ergänzung, der Wunsch,
sich von jeder Gestalt deutscher Einflüsse freizumachen; wie ich es schon früher
bezeichnet habe: das Band, das die drei Bezirke innerlich und auch parlamen¬
tarisch zusammenhält, ist ein französisch gefärbter Separatismus. Sonst streben
die Bezirke ü, 1a Schweizer Kantönli aus einander; wenn je der Separatismus
siegen sollte, so wäre sofort der Bezirkszwist da. Einstweilen bilden die Bezirks¬
tage den Mittelpunkt für alles, was uotabel ist, notabel wiederum ist in neun¬
zehn von zwanzig Füllen deutschfeindlich, nur im Uuterelsaß ist die Verhältniswahl
günstiger, und so sind es die Herde der gegen uns gerichteten Bestrebungen,
die mehr als die Hülste des Landesausschusses besetzen.

Das Wahlgesetz für den Landesausschuß ist also in der That ver¬
besserungsbedürftig, sogar dringend und in hohem Maße, aber in einer ganz
andern Richtung als nach dem Antrag, der dem Reichstag vorliegt. Das
Wahlgesetz ist vielmehr so zu verbessern, daß das Wahlrecht der Bezirkstage
beseitigt wird, und ihre Abgeordneten, der Gesamtzahl nach vielleicht etwas
heruntergesetzt, auf die Städte und Landkreise verteilt werden, je nach Be¬
deutung und Bevölkerung. Dieses Ziel sollte die Negierung angrisfsweise durch


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[0019] Reichsländische Zeitfragen hebt. Daß dabei der Einfluß der Kreisdirektionen allmächtig sei, wird be¬ hauptet, ist aber nicht richtig, mau wollte denn mit denen, die mit der Be¬ hauptung nur den Wunsch maskiren, ihren eignen Einfluß konkurrenzfrei zu machen, Besonnenheit und verständige Rücksicht auf die Staatslenkung als Ab¬ hängigkeit und Servilismus verschreien. Wie die Verhältnisse in unserm Lande liegen, ist diese Form von Zwischenwahlen die einzige, die das Wahlergebnis, in Bausch und Bogen genommen, vor den Gefahren des allgemeinen Wahl¬ rechts bewahrt, dieses erträglich macht, ohne Koteriewesen zu begünstigen. In den Bezirkstagen dagegen steht das Koteriewesen in üppiger Blüte. Es kann auch gar nicht anders sein, denn sie zählen nicht ganz dreimal soviel Mitglieder, als sie aus ihrer Mitte an Abgeordneten in den Landesausschuß zu wühlen haben. Wie soll bei so geringer Auswahl rechte und freie Wahl möglich sein? Bei uus kommt noch die schleichende Macht des Notabelnwesens hinzu. Das haben wir gehegt und noch mächtiger gemacht, ohne uns irgend welche Gegenleistungen zu sichern, und es stützt sich gerade auf die Bezirke als die Erben der französischen Departements. Es sind ja deu Bezirken manche Amtsbefugnisse abgenommen und auf die Kreise übertragen worden, aber der Abzug wurde bald durch parlamentarische Stärkung der Bezirkstage ersetzt. Überhaupt greift alles, was mit den Bezirken zusammenhängt, in den Gang der Dinge viel tiefer ein, als man gewöhnlich meint. Wir sprechen von Elsaß- Lothringen oder vom Reichsland nur als von einer Einheit, in Wirklichkeit jedoch stehen sich schon Oberelsaß und Unterelsaß sehr fern, und Lothringen vollends ist eine ganz andre Welt; des Trennenden giebt es viel mehr als dessen, was innerlich einigt. Das, worin sich politisch in allen drei Bezirken die Bevölkerung eins fühlt, ist nur die französische Tradition als Gegensatz und vermeintlicher Vorzug, und dann, als positive Ergänzung, der Wunsch, sich von jeder Gestalt deutscher Einflüsse freizumachen; wie ich es schon früher bezeichnet habe: das Band, das die drei Bezirke innerlich und auch parlamen¬ tarisch zusammenhält, ist ein französisch gefärbter Separatismus. Sonst streben die Bezirke ü, 1a Schweizer Kantönli aus einander; wenn je der Separatismus siegen sollte, so wäre sofort der Bezirkszwist da. Einstweilen bilden die Bezirks¬ tage den Mittelpunkt für alles, was uotabel ist, notabel wiederum ist in neun¬ zehn von zwanzig Füllen deutschfeindlich, nur im Uuterelsaß ist die Verhältniswahl günstiger, und so sind es die Herde der gegen uns gerichteten Bestrebungen, die mehr als die Hülste des Landesausschusses besetzen. Das Wahlgesetz für den Landesausschuß ist also in der That ver¬ besserungsbedürftig, sogar dringend und in hohem Maße, aber in einer ganz andern Richtung als nach dem Antrag, der dem Reichstag vorliegt. Das Wahlgesetz ist vielmehr so zu verbessern, daß das Wahlrecht der Bezirkstage beseitigt wird, und ihre Abgeordneten, der Gesamtzahl nach vielleicht etwas heruntergesetzt, auf die Städte und Landkreise verteilt werden, je nach Be¬ deutung und Bevölkerung. Dieses Ziel sollte die Negierung angrisfsweise durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/19>, abgerufen am 07.01.2025.